Waffenlieferungen und Asylsuchende -

ein Zusammenhang ?

 

"Fluchtbewegungen" haben vielfältige Ursachen. Ökonomische Unterentwicklung oder ökologische Fehlentwicklung, noch politische, ethnische oder religiöse Konflikte in und zwischen einzelnen Ländern erklären nicht vollständig, warum Menschen fliehen. Nach Angaben des UNHCR waren Anfang 1999 21,5 Mio. Menschen auf der Flucht. Eine weitere wenig beachtete Ursache ist der Zusammenhang zwischen Flucht und Rüstungslieferungen.

Darauf wird von Asylgruppen und Kritikern von Rüstungsexporten seit Jahren aufmerksam gemacht. Zu Recht wurde kritisiert, dass die Bundesregierung in der Regel Menschenrechte und die Lebenssituationen der potentiellen Flüchtlinge in der Regel wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen unterwarf. Zwischen 1994 und 98 exportierte die Bundesrepublik für 7221 Mio. US-$ konventionelle Waffen.

Die Rot-Grüne Bundesregierung beschloss bekanntlich neue Richtlinien zum Rüstungsexport. Die am 28. Juni vom Bundessicherheitsrat beschlossene Lieferung von 1200 Panzerfäusten nach Saudi-Arabien bestärken meine Skepsis, dass es der Regierung ernst ist, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Problematisch ist die Tatsache, dass das Außenwirtschaftsgesetz nicht entsprechend restriktiv angepasst wurde. Das anstehende Panzergeschäft mit der Türkei wird der entscheidende Gradmesser dafür sein, welchen Stellenwert Rüstungsexporte aus Deutschland zukünftig besitzen.

Gewaltige gesellschaftliche Umbrüche in der nachkolonialen Welt und knallharte Bedingungen einer kapitalistischen Weltwirtschaft führen zu Transformations- (Bürger)kriegen, in denen nachkoloniale Eliten gegen den Industriestaaten ideologisch nahestehende Kräfte kämpfen.

In einigen Konfliktregionen, z.B. Kurdistan, Tschetschenien oder Indonesien, werden von den dortigen Regimes stellvertretend unter anderem auch Interessen der Industrienationen, wie der Einfluss auf Rohstoffquellen, mit militärischen Mitteln gesichert. Weiter setzen herrschende Regimes ihre bewaffneten Kräfte zur Verfolgung der Opposition oder zur Vertreibung ethnischer und religiöser Minderheiten ein. Hierbei werden Waffen aus den Industrienationen verwandt, in vielen Fallen von Konfliktparteien aus beiden Lagern.

Nur wenige Entwicklungsländer sind technologisch und finanziell in der Lage, an diesem Geschäft mit dem Tod zu partizipieren. Opfer dieser mit unvorstellbarer Grausamkeit geführten Kriege sind Zivilisten, die vor Soldaten oder bewaffneten Banden auf der Flucht sind. Die Geflohenen sind in der Regel Unschuldige, denen meist nach Ankunft in Europa und Deutschland die Anerkennung von Asyl verwehrt wird. Rüstungs- und Wirtschaftshilfen der reichen Exportnationen zementieren diese Verhältnisse.

Diese Zusammenhänge werden in der Regel von Befürwortern der Rüstungsexporte und Militärhilfen abgestritten. Für die Lobbyisten der Geschäfte mit dem Tod hört die Verantwortung hinter dem Werkstor, spätestens hinter der Staatsgrenze, auf.

Als bedeutende Empfängerländer von Waffen unterziehe ich die Türkei und Indonesien einer näheren Betrachtung. Die Türkei ist nach Taiwan und Saudi Arabien mit 6615 Mio. US-$ (1994-98) der drittgrößte Waffenimporteur von konventionellen Waffen. Indonesien liegt mit 1713 Mio. US-$ auf dem 20. Platz. Auch das von Krieg und Armut gebeutelte Sri Lanka importierte im genannten Zeitraum Waffen in Höhe von 356 Mio. US-$.

Im gleichen Zeitraum kamen aus der Türkei 97040 Flüchtlinge nach Deutschland. Die Anerkennungsquote lag allerdings durchschnittlich bei 15,6 Prozent, was im Vergleich zu anderen Herkunftsländern noch relativ hoch erscheint, aber keinesfalls einer humanen Politik entspricht. Gleichzeitig kamen aus den Nachbarregionen der Türkei 44.000 Flüchtlinge in das Land. 1998/99 nahm die Türkei unter großem Propagandagetöse noch einmal 4900 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien auf. Über die Zahl der Binnenflüchtlinge (Kurdenkrieg) gibt es keine Angaben. Vermutlich liegt diese Zahl zwischen 2 und 3 Mio. Die kurdischen Binnenflüchtlinge leben unter schwierigsten sozialen Bedingungen in den türkischen Metropolen wie Istanbul, Izmir oder Ankara und werden von keiner offiziellen Institution als Flüchtlinge registriert, obwohl der Krieg ihre Lebensgrundlagen in Kurdistan völlig zerstört hat.

Aus Indonesien kommen kaum Flüchtlinge nach Europa. Die dort Verfolgten leben als Binnenflüchtlinge immer nah am Ort der Verfolgung und haben keine Chance auf Entkommen, wie das Drama in Ost-Timor verdeutlichte. Aus Sri Lanka kommend stellten 1999 1256 Menschen in Deutschland einen Asylantrag.

In der Welt bewegen sich bekanntlich weit größere Flüchtlingsströme, als die genannten Angaben widerspiegeln. Das Internationale Rote Kreuz schätzt die Zahl der Flüchtlinge weltweit sogar auf 500 Millionen Menschen. Davon erreichen nur die wenigsten überhaupt Europa. Die größte Last der Flüchtlingsbewegungen haben die armen Staaten der "Dritten Welt" zu tragen, wie die Beispiele Ruanda/Zaire oder die Flüchtlingsrepublik Südkurdistan zeigen.

Im Zusammenhang mit schändlichen Diskussionen über das Asylrecht in Deutschland, die Zahl der Asylbewerber nahm von 438.000 (1992) auf 99.00 (1998) ab, wird auch über die Beseitigung von Fluchtursachen gesprochen. Über den Stand von Sonntagsreden kommt allerdings die offizielle Politik kaum hinaus. Ursachenbekämpfung kann nur bedeuten, sich dringend der Elendsprobleme in der Welt anzunehmen.

Dies macht den Willen erforderlich, neue Wege zu gehen und bedeutet eine generelle Änderung der Außen- und Wirtschaftspolitik der Industrienationen.

Für Kriegswaffen müssen Grenzen geschlossen werden, nicht aber für die Menschen, die vor Kriegen und dadurch bedingter sozialer Not fliehen. Deutschland hätte hierbei die historische Aufgabe die Vorreiterrolle zu übernehmen. Die Politik der rot-grünen Bundesregierung macht eine solche Richtungsänderung nicht deutlich.

Milliarden, die jährlich zur Entwicklung von immer neueren, perfideren Waffen und deren Produktion und der antagonistischen Aufrechterhaltung von Armeen ausgegeben werden, fehlen der "Dritten Welt" zur Bewältigung der Probleme. Soziale Not und ökologische Probleme stellen auf jeden Fall eine weitere Art der politischen Verfolgung dar. Bewusst wird übergangen, dass Waffenverkäufe an Entwicklungsländer deren soziale Grundlagen zerstören bzw. erheblich verschlechtern.

Die Konsequenz müsste daher eine völlige Restriktion von Waffenexporten sein. Ein wie auch immer geartetes Sicherheitsinteresse Deutschlands darf in Zukunft nicht Entscheidungsgrundlage sein, sondern einzig das Wohl der Menschen in potentiellen Empfängerstaaten.

Eine Politik der völligen Restriktion sehe ich durch die Neuen Politischen Richtlinien nicht garantiert, da der Export von Kriegswaffen in NATO-Staaten kaum beschränkt wird. "Der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in diese Länder hat sich an den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Bündnisses und der EU zu orientieren". Hier ist jedoch erhebliche Skepsis angebracht. Wie wird in Zukunft zum Beispiel mit der Türkei umgegangen? Menschenrechtsklauseln verbieten den Export, die NATO lässt sie aber zu. Mit welchen Mitteln wird eine Bundesregierung gegen NATO-Partner vorgehen, die gegen die Entverbleibsbestimmungen verstoßen. Darauf geben die Richtlinien keine Antwort.

Die zukünftige Debatte darüber wird langwierig und schwierig sein, denn die Lobbyisten der Waffenindustrie werden nicht ruhen, Restriktionen zu bekämpfen und Druck auf die rot-grüne Bundesregierung in Ihrem Interesse zu erhöhen. Ob dies die rot-grüne Bundesregierung aushalten wird, lässt große Skepsis bestehen.

Folgender Bericht des Internationalen Vereins für Menschenrechte verdeutlicht der zynische Umgang deutscher Behörden mit vor Krieg und Unterdrückung geflohener Menschen:

Nach Abschiebung und Folter soll kurdischer Flüchtling erneut abgeschoben werden

Wie der Niedersächsische Flüchtlingsrat und Pro Asyl am 29. Mai in Hannover mitteilten, soll ein nach seiner ersten Abschiebung in der Türkei gefolterter Kurde wieder abgeschoben werden.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) lehnte ein Asylfolgeverfahren mit der Begründung ab, der Kurde habe schon in seinem ersten Asylverfahren eine Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Diese Argumentation sei an Zynismus kaum zu übertreffen, so die Flüchtlingsorganisationen.

Schließlich hätten die gerichtlichen Fehlentscheidungen den Kurden, Abdülhalim Nayir, nach seiner Abschiebung im Februar 1999 direkt in den türkischen Folterkeller gebracht. Er sei auf dem Flughafen von Izmir festgenommen und der berüchtigten "Anti-Terror-Abteilung" der örtlichen Polizei überstellt worden. Der Kurde sei unter Folter und Todesdrohungen gezwungen worden, Aussagen über seine politischen Aktivitäten zu machen und Bekannte und Verwandte zu denunzieren, erklärten der Flüchtlingsrat und Pro Asyl weiter.

Um sein Leben zu retten, habe er eingewilligt, als Spitzel für die türkischen Sicherheitskräfte zu arbeiten. Bei seiner Freilassung erhielt Nayir einen Zettel mit einer Kontaktnummer, die er anrufen sollte. Er wurde auf das laufende Strafverfahren gegen ihn hingewiesen und für den Fall einer Rücknahme der erklärten Kooperationsbereitschaft sogar mit dem Tod bedroht.

Nayirs Prozess vor dem Staatssicherheitsgericht Izmir endete mit einem Freispruch, vermutlich aufgrund seiner Kooperationsbereitschaft. Jedoch wollte er nicht mehr mit der Polizei zusammenarbeiten und floh im Mai 1999 zusammen mit seiner Familie ein zweites Mal nach Deutschland. In Köln angekommen, wurde die Familie vom Bundesgrenzschutz festgenommen.

In ihrer Entscheidung behauptete der BAFl, Nayir habe sich nicht in einer ausweglosen Notsituation befunden und sei zudem noch in den Genuss von "Spitzelbelohnungen" gekommen. Eine konkrete Gefahr sei für den Fall einer Rückkehr in die Türkei nicht ersichtlich, resümierte das Amt. Das Verwaltungsgericht muss nun über die Zulässigkeit des Folgeantrags entscheiden.

Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat schon den Asylantrag eines Cousins von Nayir bewilligt. Am 28. Dezember 1999 beschloss es: "Nach dem hinreichend glaubhaft gemachten Vortrag der Antragsteller wurde inzwischen ein Großteil der Familie Nayir (...) entweder als asylberechtigt anerkannt (...), bei einer Wiedereinreise in die Türkei festgenommen (...) oder sonstwie in der Heimat verfolgt. (...) Das Gericht ist nach alledem der Auffassung, dass sich die Maßnahmen gegen die Großfamilie Nayir aus Yaylacik derart verdichtet haben, dass eine Gefährdung einzelner Mitglieder bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mehr auszuschließen ist."

Der Fall Abdülhalim Nayir wurde bereits im Juni 1999 von Pro Asyl und dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat neben 18 weiteren Fällen in ihrem Bericht "Von Deutschland in den türkischen Folterkeller" dokumentiert als erwiesener Fall von Folter nach der Abschiebung. Inzwischen liegen insgesamt 32 vergleichbare Fallbeschreibungen vor (siehe WID Nr. 26 vom 22.7.99 und 63-64 vom 4./11.5.00). (Agence France Presse, Pro Asyl, 30.5.00)

Alexander Kauz

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