15.01.2004

Artikel

Afrika
vor einem neuen Blutbad

Krieg zwischen Somaliland und Puntland?

Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit ist am Horn von Afrika ein weiterer Konflikt eskaliert. Zwar gibt es immer wieder Bemühungen für ein Ende des Bürgerkriegs im Süden, doch bislang mit mäßigem Erfolg. Nun scheint der Krieg auch in den bislang stabilen Norden gekommen zu sein. Zwischen Somaliland und Puntland sind nach den Entwicklungen der letzten Wochen alle Messen gesungen. Ein Krieg scheint unabwendbar. Und wer Afrika kennt, weiß: er wird viel Blut kosten, vor allem das der Zivilbevölkerung.

Dabei muß man der Regierung in der somaliländischen Hauptstadt Hargeisa ein ungewöhnliches Maß an Geduld bescheinigen. Schon seit Mitte Dezember halten sich puntländische Milizverbände in den Grenzprovinzen Sool und Sanaag auf. Und dies nicht zum ersten Mal; erhebt Puntland doch inzwischen traditionell gewordene Gebietsansprüche. Hargeisa beließ es jedoch zunächst bei scharfen Protesten in Richtung der puntländischen Hauptstadt Garowe, die aber nach Weihnachten immer heftiger wurden. Nachdem vor einigen Tagen puntländische Besatzungstruppen den Konvoi des somaliländischen Ministers für die Landbevölkerung, Fou'ad Adan Ade, angriffen und einen Leibwächter erschossen, scheint die Geduld jedoch erschöpft zu sein.

Als Reaktion darauf traten nun die somaliländische Regierung und Vertreter des Parlaments vor die Öffentlichkeit. Man werde die unglaubliche Provokation nicht unbeantwortet lassen und Garowes Truppen die angemessene Antwort zukommen lassen, hieß es. Bereits zuvor hatte das Militär darauf hingewiesen, es wüßte, wie man die Grenzen des Vaterlandes sichere. Fou'ad Adan Ade ließ unterdessen Bilder von sich verbreiten, in denen er im ANC-Stil mit geballter Faust und umgehängtem Patronengurt dargestellt wird.

Wenig stören dürfte dies Abdullahi Yussuf Amad, Präsident Puntlands und in den somaliländischen Medien geringschätzend als Abdullahi von Puntland bezeichnet. Der Politiker hatte seine Absetzung wegen Amtsmißbrauch durch den Ältestenrat im November 2001 mit einem Putsch gegen seinen Nachfolger Jama Ali Jama beantwortet. Amads Milizverbände besetzten dabei rasch die Hauptstadt, jedoch zogen sich Unruhen und Zusammenstöße noch bis in das vergangene Jahr hin. Erst jetzt scheint Amad seine Position gefestigt zu haben und nimmt dies zum Anlaß, um seinen Gebietsansprüchen auf das Nachbarland Nachdruck zu verleihen. Die Regierung Somalilands solle den Willen der Bewohner der Grenzregionen zur Kenntnis nehmen, künftig zu Puntland gehören, heißt es in der Sprachregelung Garowes.

Die Entwicklung ist tragisch, da sie einen der wenigen Orte von Stabilität und halbwegs gerechter Verteilung in Afrika zerstören könnte. Dem 1991 von Somalia abgefallenen Somaliland gelang unter seinem Präsidenten Mohamed Egal - der auch der erste gesamtsomalische Staatschef nach der Unabhängigkeit im Jahre 1960 war - ein atemberaubender Aufstieg. Vom vernachlässigten Armenhaus Somalias entwickelte sich die Republik zu einem Staat mit politischer Stabilität. Somaliland hat ein Parteiensystem und ein arbeitendes Parlament. Seine Politiker gelten als gebildet und kultiviert. Aus dem nichts wurde ein Gesundheits- und Bildungssystem errichtet, daß sich sehen lassen kann. Hargeisa gilt als vielleicht sicherste Stadt des Kontinents. Auch nach dem Tod Egals vor knapp zwei Jahren verlief der Machtwechsel reibungslos und die Wahlen, trotz zwischenzeitlichem Nichtanerkennes durch die Opposition, letztlich glatt.

Anders die Situation in den übrigen Gebieten des früheren Somalias. Zwar sind die Zustände der frühen 90er Jahre, als Mord, Vergewaltigung und Brandschatzung an der Tagesordnung waren, inzwischen Vergangenheit. Doch eine Zentralregierung gibt es nach wie vor nicht, immer wieder kommt es zu Ausbrüchen teilweise exzessiver Gewalt. Die Kämpfe um die Macht im Staat sind jedoch dem Bemühen der rivalisierenden Gruppen gewichen, ihre Herrschaftsgebiete zu stabilisieren. So existieren die Region um die Hauptstadt Mogadischu, das nördliche Puntland und die unlängst gegründete Südwest-Republik faktisch unabhängig voneinander - wenn sie auch alle verbal am Ziel eines wiedervereinigten Somalias festhalten. Im Gegensatz zu Somaliland, das einen eigenen Weg gehen will.

Kritikwürdig ist auch das Verhalten der sogenannten Internationalen Gemeinschaft. In ihrem Wahn, an der Unverletzlichkeit der Grenzen festzuhalten, ignoriert sie die Existenz Somalilands entschlossen. Erst jüngst erklärte ein Vertreter der arabischen Liga, das Land könne nur nach einer Volksabstimmung im ganzen früheren Somalia anerkannt werden, die jedoch kaum zu realisieren ist. Die USA drohten Somaliland zwischenzeitlich sogar mit einem Krieg, falls sie gegen den Süden zu Felde ziehen werden. Zudem hat die fehlende Anerkennung drastische wirtschaftliche Folgen. Die Tatsache, daß die faktische nationale Fluggesellschaft "Daalo Airlines" im Nachbarstaat Dschibuti registriert ist, um international operieren zu können, ist da noch harmlos. Somaliland sind internationale Kredite weitgehend verschlossen. Dies wiegt um so schwerer, als der Export von Rindern und Schafen - wichtigstes Ausfuhrgut des Landes - durch eine Tierkrankheit im vergangenen Jahr drastisch reduziert werden mußte. Zudem kann Somaliland Geschäfte fast ausschließlich mit Jemen, Eritrea und Saudi-Arabien abwickeln. Immerhin wird Hargeisa inzwischen halboffiziell zur Kenntnis genommen. Die Regierung unterhält Vertretungen bei wichtigen Organisationen und in verschiedenen Ländern, darunter den USA. Allerdings benötigt selbst der Außenminister bei internationalen Missionen Visa.

Die weiteren Entwicklungen abzuschätzen, ist aus der Entfernung fast unmöglich. Die Stärke der Streitkräfte ist unbekannt, ebenso der Wille der puntländischen Führung, einen längeren Krieg zu führen. Doch die Kriege Afrikas zeichnen sich weniger durch Feldschlachten, als durch Überfälle und Gemetzel aus. Stille und vergessene Blutorgien, wie man sie im Sudan, im Kongo und anderswo beobachten kann.

 

Martin Müller-Mertens

 

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