30.01.2007

AKW Forsmark
Pfusch und Alkohol

Ein interner Bericht offenbart unhaltbare Zustände im schwedischen AKW Forsmark:

Unzählige Pannen mit "potentiell" katastrophalen Folgen, Alkohol im Dienst und eine laxe Einstellung gegenüber den Sicherheitsvorschriften listen Forsmark-TechnikerInnen in einem internen Bericht auf, der nun den schwedischen Medien zugespielt wurde. "Wir können nicht ständig Glück haben", warnen die AutorInnen. "Früher oder später kommt es zu einem ernsthaften Unglück."

Der Leiter des AKW Forsmark, das am 25. Juli 2006 nur knapp an einem Super-GAU vorbei geschlittert war,1 hielt den internen Bericht drei Monate lang unter Verschluß. Doch dann gelangte er mit unbekannter Hilfe in die Hände von RedakteurInnen des öffentlich-rechtlichen TV-Senders SVT. Der charakterisierte die Informationen, die am gestrigen Montagabend publik gemacht wurden, als "reinsten Sprengstoff". Der Bericht basiert zu großen Teilen auf den Untersuchungen, die nach dem 25. Juli angestrengt wurden. Der Stromausfall, der mehrere Sicherheitssysteme zugleich außer Kraft gesetzt und zur Beinahe-Katastrophe geführt hatte, wird darin als besonders gravierend beschrieben. Die schwedische Atomenergie-Überwachungsbehörde SKI (Statens Kärnkraftinspektion) erstattete nun - mit einem halben Jahr Verzögerung - gegen den Leiter des AKW Forsmark Anzeige, weil dieser den Reaktor nicht sofort, sondern erst am Folgetag gestoppt hatte.

Doch der 25. Juli sei nur der "Höhepunkt des Verfalls der Sicherheitskultur" im AKW Forsmark gewesen, führt der interne Bericht weiter aus. Die Sicherheit der Anlage werde bereits seit Jahren aus wirtschaftlichen Gründen klein geschrieben. Selbst die schwedische SKI hatte zuletzt im November bemängelt, daß die Forsmark-Reaktoren nach dem Neustart mit zu hoher Leistung betrieben wurden.

"Inakzeptabele Qualitätsmängel" werden von den Forsmark-TechnikerInnen im Bericht kristisiert. Eine "immer freizügigere Interpretation" von Sicherheitsregeln mache sich beispielsweise darin bemerkbar, daß Fehler wie undichte Ventile oder falsch verschaltete Kabel nicht weitergemeldet würden. Die nötigen Schlüsse könnten so nicht gezogen werden. Bei der Renovierung des zweiten Reaktors habe es mehrere Unfälle gegeben, die Todesopfer zur Folge hätten haben können, und bei einer Stichproben-Kontrolle eine Woche nach dem 25. Juli von 25 Arbeitern seien drei so betrunken gewesen, daß sie nach Hause geschickt wurden. Insgesamt listet der Bericht 22 Unglücksfälle und 68 minderschwere Zwischenfälle allein bei den Reparaturarbeiten nach dem 25. Juli auf. Bei einem Drogentest seien 2 Personen mit "illegalen Rauschmitteln" im Blut erwischt worden. "Viel schlimmer kann es nicht mehr werden", sagt Björn Karlsson, der Vorsitzende des Ausschusses für Reaktorsicherheit.

Forsmarks Aufsichtsrats-Chef Göran Lundgren gesteht ein, daß der "Fokus auf die Sicherheit unterhöhlt" worden sei: "Wenn alles jahrelang so gut läuft, ist man nicht mehr so wachsam," versucht er dies sogleich zu beschönigen. Er bestreitet ernsthafte Probleme. Die Grenze, ab der etwas als Zwischenfall eingestuft werde, sei in Schweden sehr niedrig. Das AKW Forsmark habe nicht versucht, die Kritik der eigenen MitarbeiterInnen zu vertuschen. "Die SKI bekommt, wonach sie fragt. Danach hat sie nicht gefragt."

Der schwedischen Atom-Industrie und insbesondere dem Vattenfall-Konzern, der auch in Deutschland zu den vier den marktbeherrschenden Strom-Konzernen zählt, kommt die Veröffentlichung des Berichts äußerst ungelegen: Gerade war eine neue PR-Kampagne für Atomstrom begonnen worden. Der Kommentator des TV-Senders SVT meinte hierzu: "Die meisten Schweden akzeptierten Atomkraft, weil sie von der Sicherheit überzeugt seien. Werde diese in Frage gestellt, wird eine neue Atomdebatte unvermeidlich." Tatsächlich jedoch ist auch in Schweden seit 1979 eine Mehrheit für einen Ausstieg aus der Atomenergie. Doch ähnlich wie in Deutschland wurde sie mit einem angeblichen Atomausstieg getäuscht.2

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel:

      Schwedisches AKW 7 Minuten vor GAU
      Versagte eine Komponente »Made in Germany«? (3.08.06)

2 Siehe auch unseren Artikel:

      Schwedens "Atomausstieg" (27.09.06)

 

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