20.05.2016

Absichtlich Radioaktivität freigesetzt
aus dem AKW Hamm-Uentrop

Wappen von Hamm-Uentrop + Radioaktiv - Collage: Samy - Creative-Commons-Lizenz Nicht-Kommerziell 3.0
Nach Aussagen des damals im AKW Hamm-Uentrop beschäftigten Dr. Ing. Hermann Schollmeyer, wurde am 4. Mai 1986 aus dem Hochtemperatur-Reaktor radioaktiv kontaminiertes Helium mit voller Absicht in die Umwelt ausgeblasen. Die Betriebsleitung war sich sicher, daß die freigesetzte Radioaktivität wegen der acht Tage zuvor über ganz Europa verteilten Radioaktivität infolge des Super-GAU von Tschernobyl nicht auffallen würde.

Der heute 83-jährige Schollmeyer war damals in dem mit hohen Erwartungen der Atom-Branche verbundenen Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR) im nordrhein-westfälischen Hamm-Uentrop für die Abschalt-Einrichtung und die fünf Dampfturbinen der vier Milliarden D-Mark teuren Anlage zuständig. Nach eigenem Bekunden nahm er an entscheidenden Sitzungen vor gut 30 Jahren teil, als wegen wiederholter Probleme mit zerbrochenen Brennelemente-Kugeln die skandalöse Entscheidung getroffen wurde. Schollmeyer ist noch heute vom ambitionierten Konzept des THTR-Atomkraftwerks überzeugt.

Der THTR war 1985 nach mehrjähriger Bauzeit in Betrieb gegangen. Bereits im September 1989 mußte er - nach offiziellen Angaben - aus technischen, sicherheitstechnischen und wirtschaftlichen (!) Überlegungen nach nur 423 Tagen Volllast-Betrieb endgültig stillgelegt werden. Der Atom- und Kohlestrom-Konzern RWE war mit 31 Prozent Hauptgesellschafter. Außerdem waren zahlreiche Städte und auch der Atom- und Kohlestrom-Konzern E.on am THTR beteiligt. Der Reaktor befindet sich bis heute im sogenannten "sicheren Einschluß".

In der Umgebung des THTR besteht für Frauen ein um 64 Prozent erhöhtes Risiko an Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Die erhöhte Rate von Leukämie bei Kindern in der Umgebung von Hamm-Uentrop (wie sie in der 50-Kilometer-Zone um die damals in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke in der Untersuchung von 2007 nachgewiesen wurde) blieb bei wissenschaftlichen Untersuchungen bis heute außen vor. Auch die nachweislich erhöhte Rate von Brustkrebs bei Frauen in der Umgebung von Atomkraftwerken ist im Falle des THTR nie untersucht worden. Das von dem Pseudo-Grünen Johannes Remmel geführte "Umwelt"-Ministerium Nordrhein-Westfalens bestreitet indessen bis heute, daß es einen Zusammenhang zwischen der signifikant erhöhten Zahl von Krebsfällen und dem THTR gebe.

Der THTR verursacht weitere Kosten von jährlich 6,5 Millionen Euro. Obwohl diese Kosten bis 2009 ausschließlich von der öffentlichen Hand getragen wurden, erhielten die Eigentümer von der EU Steuervergünstigungen für die Stilllegung.

Von offizieller Seite wurde die am 4. Mai 1986 erfolgte Freisetzung von Radioaktivität zunächst vollständig geleugnet. Lange Zeit konnte aufgrund von Indizien nur gemutmaßt werden, daß ein folgenschwerer Unfall im THTR stattgefunden haben mußte. Der Zeitpunkt war unklar und ließ sich nicht genauer innerhalb des Jahres 1986 einkreisen.

Erst im Laufe der Jahre ließ sich mit Hilfe eines Whistleblowers rekonstruieren, daß es im Mai - und zu etlichen weiteren Zeiten - zu einer Verstopfung der Zuleitung zum Reaktor-Kern wegen zerbrochener Brennelemente-Kugeln gekommen war. Wegen der hohen Radioaktivität im Inneren der Anlage ließ sich der wiederholt auftretende Kugel-Bruch und die so verursachten Verstopfungen nicht direkt beseitigen. Am 4. Mai 1986 muß sich die Situation nach Versuchen, die Verstopfung zu beseitigen, verschlimmert haben. Es zerbrachen noch mehr der Brennelemente-Kugeln. Teile des Röhren-Systems, das der Zuleitung solcher Kugeln in den Reaktor-Kern dient, verformten sich. Die Strahlenbelastung in der Umgebung erreichte zeitweise das Vierfache der Werte, die nach dem Super-GAU von Tschernobyl gemessen wurden. Bis dato war nur bekannt geworden, daß damals radioaktive Aerosole aus der Anlage austraten. Und die offizielle Reaktion auf diese nicht mehr zu leugnende Tatsache bestand darin, zu behaupten, der Austritt von Radioaktivität am 4. Mai 1986 sei versehentlich geschehen.

"Das war Absicht," erklärt der mittlerweile 83-jährige Schollmeyer. Dabei hätte die Anlage nur wenige Tage abgeschaltet bleiben müssen, denn Filter waren bereits bestellt. Diese Filter sollten dazu dienen, beim Ausblasen der zerbrochenen Brennelemente-Kugeln unter den behördlich vorgegebenen Grenzwerten zu bleiben. "Irgendein Schlaumeier" sei in einer Besprechung dann auf die Idee gekommen, daß bei einem sofortigen Ausblasen die freigesetzte Radioaktivität doch ohnehin wegen der Tschernobyl-Wolke niemand bemerken würde. Schollmeyer betont, daß er bei dieser entscheidenden Sitzung nicht zugegen gewesen sei. Trotzdem gebe es keine andere Erklärung: "Das Gas wurde von Hand abgelassen," sagt er.

Verantwortlich war Dipl.-Ingenieur Dr. Hassan Daoud, der damalige technische Leiter des THTR. Es war eine "eigenverantwortliche Entscheidung" dieses Mannes, der die Freisetzung von Radioaktivität "gegen jede Warnung durchführte und wegen fehlender Fachkompetenz zu verheimlichen suchte," so Schollmeyer. Und er ergänzt: "Man hätte damals einfach nur warten müssen. Die Filter-Anlagen waren doch schon bestellt. Aber man wollte den Reaktor nicht noch weitere zwei oder drei Wochen abschalten." Auf die Frage, warum er sein Wissen so lange für sich behalten habe, gab Schollmeyer eine verblüffende Antwort: "Mich hat ja nie jemand gefragt."

Interessant dürfte nun sein, ob auch ans Licht kommt, seit wann den Behörden in Nordrhein-Westfalen der komplette Verlauf der kriminellen Handlungen am 4. Mai 1986 im THTR bekannt ist - und: Ob es strafrechtliche Konsequenzen geben wird.

 

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