29.01.2004

Hutton beschafft Alibi

Lordrichter Hutton, von dem viele meinten, er sei eine unabhängige Instanz, legte nun den "mit Spannung erwarteten" (so die Sprachregelung in den Massenmedien) Untersuchungsbericht über die Kelly-Affaire vor. Wer wußte, welche Rolle Hutton bereits vor Jahren als "unabhängiger" Richter in Nordirland gespielt hatte, ist allerdings weniger überrascht. Bekannt sind allerdings auch Fälle, bei denen er in seiner Nordirland-Zeit dem politischen Druck nicht nachgegeben und bei Verbrechen von englischer Seite, wenn sie denn allzu klar bewiesen werden konnten, formalrechtlich korrekt urteilte. So ist letztlich die dünne Beweislage, Tagebuchnotizen von Politikern, denen nun mal kaum das Gewicht von Indizien beizumessen ist, entscheidend dafür, daß Tony Blair einmal mehr den Kopf aus der Schlinge ziehen konnte.

Darüber hinaus ist die Rolle des BBC-Journalisten Andrew Gilligan äußerst dubios. Durch seine offensichtlich nur auf Aussagen des britischen Geheimdienstlers und Waffeninspekteurs David Kelly basierenden Veröffentlichungen lenkten die öffentliche Diskussion in Großbritannien auf die Frage, ob die vermeintlichen irakischen Massenvernichtungswaffen in 45 Minuten einsatzbereit sein oder ob das irakische Militär etwa Minuten oder Stunden länger dafür benötigt würde. Dadurch wurde von der entscheidenden Frage abgelenkt: Wußte Blair, daß es seit Jahren schon keine einsatzfähigen Massenvernichtungswaffen mehr im Irak gab. Da dies der CIA wußte1 und bis in den Herbst 2002 auch ungeniert öffentlich bekundete, wird kein vernünftiger Mensch annehmen, daß Blair es nicht ebenso sicher wußte. Nur: Plausibilität ersetzt keinen Beweis.

Irgendwo aber sind mit Sicherheit Beweise darüber zu finden. Daß Hutton diese ernsthaft suchen würde, war nicht anzunehmen. So ist ihm mit Recht vorzuwerfen, daß er durch Unterlassung dem britischen Premier das fürs politische Überleben nötige Alibi verschaffte. Dennoch hängt Blairs Überleben weiterhin am seidenen Faden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Beweise zu Tage kommen, daß Blair tatsächlich Bescheid wußte. Interessant ist nur, ob in den nächsten Monaten und ob dies dann zum Sturz Blairs ausreichen wird. Denn Blairs Stärke im britischen politischen System ist von zwei Größen abhängig: Einerseits, ob er Labour vor einer Spaltung "bewahren" kann und zweitens von der anhaltenden Schwäche der Tories.

 

Harry Weber

 

Anmerkung:
1 Siehe auch unseren Artikel
      Irak-Krieg nach Auskunft des CIA: "unnötig" v. 14.10.2002

 

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