11.04.2005

Artikel

Gedenkfeier in Weimar:
Vertreter von Sinti
und Roma durfte nun doch reden

historischer Hintergrund:
Selbstbefreiung
KZ Buchenwald am 11. April 1945

Zunächst sollte kein Vertreter der Sinti und Roma auf der Gedenkfeier an die "Befreiung" der Konzentrationslager am gestrigen Sonntag sprechen dürfen. Erst nachdem der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma, Romani Rose, zum letzten Mittel griff und einen Offenen Brief1 an die Verantwortlichen richtete, lenkten Bundeskanzler Schröder und der thüringische Ministerpräsidenten Althaus ein. Die polnische Regierung hatte es als selbstverständlich erachtet, einen Vertreter der Sinti und Roma zur zentralen Gedenkfeier im Staatlichen Museum Auschwitz am 27. Januar einzuladen.

13 Mitglieder aus der Familie Romani Roses sind in den Todeslagern ermordet worden. 500.000 der Minderheit der Sinti und Roma wurden von den Nazis ermordet. Heute leben 40.000 Roma und 70.000 Sinti in Deutschland. 1933 waren die Roses eine Familie wie viele andere in Deutschland. Fotos im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma zeigen Männer im dunklen Anzug oder in Offiziersuniform, Frauen in eleganten Seidenkleidern, Jungen in Matrosenanzügen oder Mädchen in Kommunionskleidern. Erst die Nazis mit ihrem mördeischen Rassenwahn machten sie zu "Zigeunern". Selbst "Achtelzigeuner" wurden mit Hilfe aberwitziger Gutachten erfaßt.

Verständlich, daß Menschen, die in jener Zeit mit einem Z zwangstätowiert wurden, die Bezeichnung "Zigeuner" als diskriminierend empfinden. So kämpft Romani Rose auch gegen eine offiziell vorgesehene Inschrift, die am Mahnmahl für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma angebracht werden soll und worin einmal mehr das Wort "Zigeuner" Verwendung fand. Geduldig erklärt Romani Rose, daß die Minderheit sich selbst Sinti und Roma nennt und den Begriff Zigeuner für sich selbst nie verwendet hat. "Würde auf einem Gedenkstein für Martin Luther King das Wort 'Nigger' stehen?", fragt er.

In seinem Offenen Brief erinnerte Romani Rose an die unrühmliche Tradition bundesdeutscher Erinnerungspolitik, nämlich Sinti und Roma aus dem offiziellen Gedenken auszuschließen oder sie allenfalls als Fußnote zum Völkermord an den Juden zu erwähnen. Aber er erinnert auch an die Worte des Bundespräsidenten Roman Herzog, der anläßlich der Eröffnung des Heidelberger Dokumentationszentrums am 16. März 1997 sagte: "Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im gesamten Einflußbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet." Allein im KZ Buchenwald und seinen Außenlagern wurden mehrere Tausend Angehörige der Sinti und Roma gequält und ermordet.

Leider aber gibt es auch heute noch entgegengesetzte Äußerungen wie etwa die des Stuttgarter Historikers Eberhard Jäckel, der meint, der Holocaust dürfe durch ein gemeinsames Mahnmal für Juden und Sinti und Roma nicht relativiert werden.

Nach wie vor ist noch einiges in der offiziellen Geschichtsschreibung gerade zu rücken. So ist vielfach unreflektiert von der "Befreiung" der Konzentrationslager die Rede. Dabei ist heute längst klar erwiesen, daß zumindest die Alliierten kein Interesse an einer möglichst schnellen Beendigung des Massenmord in den KZs zeigten. Die Bahn- verbindungen zum KZ Auschwitz hätten schon Anfang 1943 bombardiert werden können - die britische und die US-amerikanische Regierung waren entgegen ihren späteren Lügen sehr wohl über die KZs und das, was dort vor sich ging, informiert.2

Und auch heute noch wird in vielen Geschichtsbüchern die Befreiung des KZ Buchenwald der am 11. April 1945 eintreffenden Vorhut der US-Armee zugeschrieben. Tatsächlich übergab ein Komitee der Buchenwald-Häftlinge die überwältigten KZ-Aufseher den am Abend des 11. April eintreffenden US-Einheiten. US-amerikanische Aufklärer berichteten: "Die Leitung des Lagers befindet sich in der Hand eines gut organisierten Komitees, das alle im Lager vorhandenen Nationalitäten umfaßt." ('Konzentrationslager Buchenwald 1937 bis 1945', Göttingen 1999, Hrsg. Gedenkstätte Buchenwald).

Ein international zusammengesetztes Lagerkomitee hatte die Befreiungsaktion verbreitet. Es hatte 178 bewaffnete Gruppen mit insgesamt 850 Kämpfern organisiert. Letztlich kam es nicht zum offenen Kampf mit der SS, weil diese vor der US-amerikanischen Armee in die Wälder geflohen war. Die bewaffneten Häftlinge mußten bei der Einnahme der Lagertürme von ihren Waffen keinen Gebrauch machen. Die Häftlinge stellten die flüchtenden Nazi-Schergen in den umliegenden Wäldern und verhinderten so eine Vergeltungsaktion der SS mit Verstärkung aus Weimar.

Am 19. April 1945 verlasen Häftlinge aus zahlreichen Ländern bei einer Totenfeier ein Gelöbnis in ihrer Landessprache, das als Schwur von Buchenwald bekannt wurde. Darin heißt es: "Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel."

In der Formel "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!" wurde der Schur von Buchenwald vielfach weitergegeben. Schlimmer noch, als daß er vergessen worden wäre, ist, daß er das Leerformel heute mißbraucht wird. Wie sonst ist es erklärbar, daß die gestrige Gedenkfeier zusammen mit einem Bundeskanzler stattfinden konnte, der Deutschland erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder in Kriege führte?

Es hätte nicht sein dürfen, daß Romani Rose seine Teilnahme erst einfordern mußte. Alle, die nicht sofort für seine Teilnahme Partei ergriffen und statt dessen die Teilnahme Gerhard Schröders duldeten, haben den Schwur von Buchenwald zu einer leeren Phrase herabgewürdigt.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen

1 Siehe auch den Offenen Brief

      'Gedenkfeier Buchenwald: Sinti und Roma nicht vertreten' (31.03.05)

2 Siehe auch unseren Artikel

      'Auschwitz war den Westmächten gleichgültig' (27.01.05)

 

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