4.04.2008

Artikel

Ein Heer von LobbyistInnen
arbeitet in den Ministerien

Wie Parlamentarismus funktioniert

Gestern berichtete das TV-Magazin 'Monitor', daß deutlich mehr LobbyistInnen der großen Konzerne in den Berliner Ministerien beschäftigt sind, als bislang bekannt. Durch einen Bericht des Bundesrechnungshofs war erst bekannt geworden, daß rund 300 Unternehmens- und Verbändevertreter, sogenannte Leihbeamte, die von ihren AuftraggeberInnen bezahlt wurden, allein in den Jahren 2004 bis 2006 in Ministerien gearbeitet haben. Wie viele dort aktuell an Gesetzesvorlagen mitarbeiten und diese im Sinne des Systems beeinflussen, ist nicht bekannt. Ein Regierungssprecher erklärte indes, es sei eine "absurde Unterstellung", daß diese "Leihbeamte" Einfluß aufs Regieren nehmen könnten.

'Lobby Control' führt auf ihrer Internet-Seite (www.keine-lobbyisten-in-ministerien.de) eine Datenbank über die bekannten Unternehmen, die ihre Leute in Ministerien plaziert haben. Alstom, ABB, BASF, Bayer, BP, Daimler AG, E.on, Lanxess, alle großen Banken, zahlreiche Versicherungen, Siemens, EADS und der BDI (Bundesverband der deutschen Industrie).

"Daß diese nicht nur Kaffee gekocht haben, liegt auf der Hand. Die 'Leihbeamten' haben in großem Umfang Leitungs- und Repräsentationsaufgaben übernommen: weit über die Hälfte hat Leitungsvorlagen erstellt, 60 Prozent die Bundesregierung nach außen vertreten, 20 Prozent haben direkt an Vorlagen für Gesetze oder Bestimmungen mitgeschrieben, ein gutes Viertel war an Vergabeverfahren beteiligt", schreibt 'LobbyControl'.

Ein Skandal ist dies allerdings längst nicht mehr. So war bereits 1967 zu erkennen, daß mit dem Aufkommen organisierter Verbandsinteressen, dem Lobbyistentum, das sich zunehmend direkt an die Exekutive und an die Ministerialbürokratie wandte, um seine Forderungen durchzusetzen das Parlament als vom Grundgesetz vorgesehene Legislative ausgehebelt wurde.1

Johannes Agnoli hat diese reale Funktion des Parlamentarismus als Herrschaftsinstrument in seinem Klassiker "Transformation der Demokratie" bereits 1967 präzise analysiert. Das Parlament, das in seiner historischen Entstehung einmal bürgerliche Kontrollinstanz und Waffe gegen Fürstenwillkür war, hat nicht einfach nur diese Funktion verloren, sondern, so Agnoli, in fließendem Übergang die Funktion der Stabilisierung der kapitalistischen Ordnung übernommen: "Nicht die gänzliche Abschaffung des Parlaments (macht) den neuen Staat stark, sondern die Verlegung der Entscheidungsbefugnisse vom Parlament in den engeren Kreis nicht öffentlich tagender »Eliten«." Auch wenn LobbyistInnen in Ministerien und Abgeordnetenbüros aus und eingehen, darf nicht naiverweise angenommen werden, diese würden Gesetzestexte Buchstabe für Buchstabe vorgeben. Selbstverständlich findet ein Feilschen um Nuancen und um Vorteile im Konkurrenzkampf der Konzerne statt. Doch die Gesamtrichtung der gesetzlichen "Feinmechanik" wird aus den Vorstandsetagen über Lobbyisten und pseudo-wissenschaftliche Sachverständige nach unten ins Kabinett durchgereicht, von dort durch die Fraktionen in den Bundestag, in Landes- und Kommunalparlamente und Stufe für Stufe über die Parteienhierarchien bis an deren Basis weiter gegeben. Und nur in Ausnahmefällen treffen die Direktiven auf nennenswerten Widerstand in diesem seit Jahrzehnten fein eingespielten Uhrwerk.2

Von daher ist es auch müßig aufzulisten, wieviel welche Parteien an Spenden von Seiten der großen Konzerne erhielten.3 Das Augenmerk hierauf zu lenken könnte leicht vergessen machen, daß die gesetzgeberischen Einflußmöglichkeiten des Parlaments gegenüber der Exekutive nur noch minimal sind.

Unglaublich schnell hat bereits heute die Bundesregierung reagiert und erklärt, sie wolle die Richtlinien für "Leihbeamte" verschärfen - es könnten vielleicht ansonsten zu viele BundesbürgerInnen bemerken, daß es sich bei diesem "Mißstand" nicht etwa um einen Ausrutscher handelt, sondern daß er für symptomatisch für unser gesamtes politisches System ist.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch

      Parlamentarismus
      systembedingt undemokratisch (26.11.2000)

2 Siehe hierzu auch

      Wählen oder nicht wählen
      - eine existentielle Frage? (30.05.04)

3 Hierzu ein Beispiel:

Der "Bekanntmachung von Rechenschaftsberichten politischer Parteien" des Deutschen Bundestages zufolge (Drucksache 15/2800) spendete der Versicherungs-Konzern Allianz, Großaktionär der Atomkraftwerks-Betreiber RWE und E.on, im Kalenderjahr 2002 insgesamt 450.000 Euro an die Parteien (125.000 an die SPD, 125.000 an die CDU). Die Daimler-Chrysler AG bezahlte die Politik mit rund 500.000 Euro (davon 211.000 an die SPD und 150.000 an die CDU), die Deutsche Bank mit rund 360.000 Euro. Die Commerzbank spendierte im selben Jahr 400.000 Euro und die Dresdner Bank 11.000 Euro. Der zu DaimlerChrysler gehörende Rüstungskonzern EADS legte nochmals 44.000 Euro drauf (26.000 an die SPD und 18.000 an die CDU) und bekam umgekehrt von "Rot-Grün" Rüstungs-Aufträge in Milliardenhöhe. Der Panzerhersteller Rheinmetall DeTec zahlte 51.000 Euro an die Politik. Vom Verband der Metall- und Elektroindustrie NRW kamen 129.000 Euro. Der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie, in dessen Präsidium unter anderem Siemens, EADS, Bosch, BMW, Audi, und MAN vertreten sind oder waren, zahlte 2002 sogar 1.200.000 Euro an CSU, FDP, Grüne und SPD (Stand 27.05.2003).

 

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