5.01.2008

Bundesgerichtshof erklärt
Razzien bei G-8-GegnerInnen
für rechtswidrig

Eine weitere Schlappe für die Bundesanwaltschaft und Generalbundesanwältin Monika Harms: Die bundesweiten Razzien bei G-8-GegnerInnen im Vorfeld des Weltwirtschaftsgipfels in Heiligendamm waren rechtswidrig. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe urteilte gestern, für die Ermittlungen sei die Bundesanwaltschaft nicht zuständig gewesen. Ernsthafte Hinweise für die Existenz terroristischer Vereinigungen - wie für das Eingreifen der Bundesanwaltschaft zwingend vorgeschrieben - konnten dem BGH nicht vorgelegt werden.

"Eine von den Beschuldigten etwa gebildete Vereinigung kann (...) nicht als terroristische Vereinigung eingeordnet werden, was die Zuständigkeit des Bundes ohne weiteres begründet hätte," urteilte der 3. Strafsenat des BGH, dem nach eigenen Angaben "eine Vielzahl" von Beschwerden gegen die Polizei-Aktionen vorliegen. Das aktuelle Urteil betraf eine erste derartige Beschwerde eines Beschuldigten und hob den gegen ihn gerichteten Durchsuchungs- und Beschlagnahme- Beschluß auf.

Im Mai 2007 hatte die Polizei im Auftrag der Bundesanwaltschaft im Vorfeld des Weltwirtschaftsgipfels in Heiligendamm etwa 40 Wohnungen und linke Kulturzentren in sechs Bundesländern gestürmt und durchsucht sowie Computer und Unterlagen beschlagnahmt. An den Razzien in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen waren insgesamt rund 900 PolizistInnen beteiligt. Die völlig überzogenen Polizei-Aktionen, die sogar in den Verdacht gerieten, der Mobilisierung der Anti-G-8-AktivistInnen zu dienen, wurden vollends der Lächerlichkeit preisgeben, als von Beschuldigten "Geruchsproben" genommen wurden. Ermittelt wurde gegen G-8-GegnerInnen, die angeblich für Brandanschläge in Norddeutschland verantwortlich sein sollten.

Bei den Brandanschlägen und ähnlichen Aktionen handele es sich laut BGH zwar "um nicht zu verharmlosende Straftaten". Zuständig seien dafür aber die Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer. Die Bundesanwaltschaft hatte dem Beschwerdeführer und weiteren Beschuldigten vorgeworfen, sich an einer terroristischen Vereinigung beteiligt zu haben, deren Ziel es gewesen sei, durch Brandanschläge auf Sachen wie Autos sowie ein leerstehendes Gebäude und durch Sachbeschädigungen "gewaltbereite" GesinnungsgenossInnen zu mobilisieren, um den G-8-Gipfel vom Juni 2007 in Heiligendamm "durch Gewalttaten erheblich zu stören oder zu verhindern". Die Bundesanwaltschaft rechnete der von ihr phantasierten "terroristischen Vereinigung" zwölf gewalttätige Aktionen zu, die im Zeitraum Juli 2005 bis März 2007 ausgeführt wurden.

Erst kürzlich hatte Generalbundesanwältin Harms einen schweren Rückschlag in ihrem Kampf gegen den "Linksextremismus" hinnehmen müssen, als der BGH Haftbefehle gegen vermeintliche Mitglieder der 'militanten gruppe' (mg) einkassierte. Das Karlsruher Gericht mußte auf die Klage eines Betroffenen hin feststellen, daß es sich bei der mg, die sich zu 25 Brandanschlägen bekannt hat, nicht um eine terroristische Vereinigung handelt. Haftbefehle gegen drei der von der obersten Anklagebehörde verdächtigten Personen wurden ausgesetzt, ein weiterer aufgehoben. Der Versuch, im "Gedenken" an das zum Jahr des Terrors hochstilisierte 1977 eine Hysterie zu entfachen, darf nunmehr als gescheitert angesehen werden.

Bei aller Freude über dieses Urteil, die jedeRM gegönnt sei, sollte dennoch nicht vergessen werden: Nicht alles, was eine deutsche Bundesregierung als bedrohlich empfindet, ist deswegen unbedingt sinnvoll.1 Und: Ob dieses Urteil Konsequenzen haben wird, ist zweifelhaft: Im Wendland mußte seit Jahren die Erfahrung gemacht werden, daß es wenig nutzt, wenn Polizei-Aktionen im Nachhinein von Gerichten als rechtswidrig verurteilt wurden. Die Polizei-Aktionen gegen den CASTOR-Protest sind dennoch Jahr für Jahr von weiteren rechtswidrigen Praktiken gekennzeichnet.

Für Heiterkeit sorgt derweil der sogenannte "rote" Innenexperte Dieter Wüfelspütz. Unverdrossen verteidigt er heute in der 'Frankfurter Rundschau' die rechtswidrigen Razzien der Bundesanwaltschaft, die "gute Gründe" für ihre Maßnahmen gehabt habe.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel:

      G8 - Zwei Sorten Gewalttäter,
      zwei Sorten Unpolitische
      und eine strahlende zweifache Blenderin (8.06.07)

 

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