Wohin steuert 'attac' ?
Bislang war die Position von 'attac' als Teil der Anti-Globalisierung-Bewegung seltsam diffus. Begonnen hatte 'attac', was
für Angriff steht und sich ja nicht so friedlich anhört, als pressure group für die Einführung einer neuen Steuer, der
Tobin-Steuer. Davon zeugt der Name, der die Abkürzung von "Association pour la taxation des transactions financières
et l'aide au citoyen" darstellt. Schließlich wurde 'attac' 1998 in Frankreich gegründet. Aber das wissen heute die
wenigsten und die Anfänge als selbsternannte RegierungsberaterInnen zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des
Kapitalismus dürfte die heutigen Mitglieder kaum noch interessieren.
Die Analyse des gegenwärtigen neo-liberal orientierten globalen Kapitalismus in Sabine Leidigs Rede
ist klug und ausgewogen. Sie widersteht sowohl der populistischen Versuchung, die USA zu dämonisieren, als auch in den
Anti-Reflex zu verfallen, "Deutsch-Europa" als auferstehendes antisemitisches Weltreich aufzuplustern. Der Horizont
wird erweitert durch einen Blick auf die anderen Weltmächte Japan, China und Rußland: "Es beinhaltet einen gnadenlosen
Standortkampf in dem sich die reichen Länder wechselseitig und die >>übrige Welt<< noch mehr unter Druck setzen, um
den eigenen transnationalen Konzernen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und die Konkurrenten in die Verlustzone zu
treiben."
Hier kommen wir allerdings zum springenden Punkt: "...den eigenen transnationalen Konzernen" - ja ist denn
beispielsweise DaimlerChrysler ein deutscher Konzern, dem die deutsche Bundesregierung (weil es ein deutscher Konzern
ist ?) Wettbewerbsvorteile zu verschaffen versucht und zugleich ein US-amerikanischer Konzern, dem auch die
US-amerikanische Regierung ebensolche Wohltaten versucht angedeihen zu lassen ? Etwa aus dem übergeordneten
Motiv heraus, "Wohlstand und Arbeitsplätze für alle" zu schaffen ? Die entscheidende Frage ist heute: Wer sind die
Akteure ? Die Regierungen oder die Konzerne ? Wen meint Sabine Leidig mit "Konkurrenten" ? Die anderen Staaten
oder die anderen Konzerne ? Dies bleibt leider im Unklaren.
Es wirkt doch oft geradezu rührend, wenn aus "globalisierungskritischen" Kreisen eine Klage über den Machtverlust der
nationalstaatlichen Regierungen zu vernehmen ist, dem entgegen zu wirken sei. Tatsächlich waren doch bereits vor
Beginn der Globalisierung nationale Regierungen nur auf dem Papier die Souveräne staatlicher Macht. Bereits Tucholsky
schrieb: "Sie meinen, sie seien an der Macht, dabei sind sie nur an der Regierung." Ich möchte dies nun keineswegs
orthodox-kommunistisch so verstanden wissen, daß zu jenen Zeiten allein "das Kapital" die Politik bestimmt und die
Regierungen ausschließlich deren Erfüllungsgehilfen oder "Agenturen" waren. Diese Sichtweise ist zu platt.
Nicht zuletzt aber auch nicht ausschließlich als eine Folge der Blockkonfrontation waren die nationalen Regierungen
"Resultierende" eines Kräfteparallelogramms, bei dem beispielsweise die Gewerkschaften eine bei der hierzulande
"soziale Marktwirtschaft" genannten Ausgestaltung des Kapitalismus mit-entscheidende Rolle spielen konnten.
Diese Rolle war um so stärker, je nach Nachfrage an Arbeitskräften. In den 60er Jahren herrschte Mangel, es mußten
"Gastarbeiter" importiert werden und entsprechend nach links, "Große Koalition", verschob sich auch das politische
Klima als sekundäres Resultat. Systembedingt sinkt die Nachfrage nach Arbeitskräften, mit dem zunehmenden Heer der
Erwerbs-Arbeitslosen schwindet die Macht der Gewerkschaften und der resultierende Kräftepfeil schwenkt weiter und
weiter nach rechts - wie dieses Resultat auch immer eingefärbt werden mag: "Seit mehr als zwei Jahrzehnten sinkt der
Anteil der Löhne am Volkseinkommen, wird Sozialabbau betrieben und die Verteilung von unten nach oben beschleunigt",
so Sabine Leidig.
Hinzu kommt - und allein das ist das Neue an der Globalisierung, daß auf der einen Seite die Gewerkschaften, mehr und
mehr geschwächt und zudem meist noch in nationale Einzelgewerkschaften aufgespalten (Viele GewerkschafterInnen
wissen ja selbst nicht mal, welch historisch bedeutende Errungenschaft die deutsche Einheitsgewerkschaft war, sonst
hätten sie rechtzeitig für einen Zusammenschluß der europäischen Gewerkschaften gekämpft) ihre Macht nicht durch
Zusammenschlüsse ausbauen konnten, während auf der anderen Seite die Konzerne immer mehr die geographischen
Beschränkungen der Nationalstaaten sprengten und nicht nur durch transnationale Zusammenschlüsse und schiere
Größe, sondern auch zunehmende globale Verflechtung ihre Macht vervielfachen konnten.
Nunmehr mangels realer gesellschaftlicher Kräfte, die diesen Verschiebungen innerhalb des kapitalistischen Systems
entgegenwirken könnten, ausgerechnet an die Regierungen zu appellieren, ist leider vollkommen "utopisch" - im
schlechtesten Sinne des Wortes...
Aber davon war in Sabine Leidigs Rede glücklicherweise nichts oder nur noch wenig zu hören:
"Wirtschaften nicht gegen die Konkurrenz, sondern für Bedürfnisbefriedigung der Menschen - ein Ziel, das über viele
Wege und Treppenstufen erreicht werden kann, wenn Menschen überall auf der Welt und international vernetzt unter ihren
jeweils konkreten Bedingungen darum ringen. Binnenmärkte stärken, faire Handelsbeziehungen entwickeln, alle
Einkommen gerecht besteuern, die öffentliche Nachfrage erweitern und Reichtum zum gesellschaftlichen Wohlstand
nutzen, ökologisch umbauen, Sozialsysteme ausbauen, würdige Arbeitsplätze schaffen, Abrüsten und Rüstungsexporte
verhindern…"
Nun ja, von Steuern und Nachfragebelebung ist brav keynesianisch doch wieder die Rede - vergessen wir's ! Alle anderen
Zielsetzungen aber sind - ob über viele Wege und Treppenstufen oder wie auch immer - nur durch die Abschaffung oder
lokal vorangetriebenes Verdrängen des Kapitalismus möglich. Dann stellen sich konkret die Fragen: Wie wollen
beispielsweise zwei Druckereien oder zwei Buchläden bei noch so viel gutem Willen die gegenseitige Konkurrenz
überwinden ? Illegale Preisabsprachen ? Kundenzuordnung je nach Wohnort ? Absprachen, nicht über gegenseitig
respektierte "Binnen"-Märkte hinaus zu liefern ? Aktionen beispielsweise gegen Bier, das mehr als 200 km von der
Brauerei entfernt verkauft wird ?
Darüber war von Sabine Leidig noch wenig zu hören. Aber das ist ihr nicht vorzuwerfen, denn diese Diskussion ist erst im
Entstehen.
"Um diese andere Welt greifbarer zu machen, ist gemeinsamer und radikaler Widerstand gegen ihre weitere Zerstörung
durch Kriege, durch Ausgrenzung, und Verödung notwendig."
Um diese durchaus sinnvolle Forderung zu verwirklichen, ist es allerdings nötig, sie durch In-Beziehung-Setzen zu
unserem Alltag, "greifbar" zu machen, sonst bleibt sie unkonkret und diffus.
"Wenn die Friedensbewegung, die Globalisierungskritiker und die Gewerkschaften ihre Kämpfe verbinden, kann richtig
Sand ins neoliberale Globalisierungsgetriebe kommen - dann ist es mögliche, die Richtung zu ändern."
Sand allein genügt nicht. Das jetzige Wirtschaftssystem ist von seinen grundlegenden Bedingungen auf Zerstörung
ausgerichtet und darf nicht nur gebremst, sondern muß radikal verändert werden. Während dieses System schrumpft,
weil immer mehr Menschen die Mitarbeit verweigern oder schlichtweg von der Mitarbeit ausgeschlossen werden, muß
in die andere Richtung ein Wirtschaftssystem von den Menschen in Eigenverantwortung und demokratisch legitimiert
aufgebaut werden, das um so konkreter Gestalt annimmt, je mehr sich Theorie und Praxis, Diskussion und reale
Gestaltung wechselseitig befruchten.
Ute Daniels