22.03.2003

Dokumentation

Rede
von Jürgen Grässlin

(Der Redetext ist um die Passagen gekürzt, die sich inhaltlich bereits an anderer Stelle auf den Seiten von NETZWERK REGENBOGEN in Texten von Jürgen Grässlin finden.)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

Die US-Army wird in diesen Tagen die Restbestände derjenigen Waffen im Irak einsammelt, die sie und ihre Verbündeten, gerade auch Deutschland, in den Jahrzehnten zuvor geliefert haben. Eine der maßgeblichen Ursachen von Gewalteskalation und Kriegen sind Waffenlieferungen. Laut dem irakischen Abrüstungsbericht an die UNO haben sich seit Ende der Siebziger Jahre 80 deutsche Firmen an den atomaren, biologischen, chemischen und konventionellen Waffenprogrammen des Irak beteiligt. Auf der Liste von Husseins Helfern stehen solch klangvolle Namen wie Siemens und Daimler-Benz.

Die eigentlichen Massenvernichtungswaffen aber sind die so genannten "Kleinwaffen". Von zehn Opfern auf den Schlachtfeldern in aller Welt kommen neun durch "Kleinwaffen" ums Leben - allein sechs durch Gewehrschüsse. Auf Grund von Direktexporten und Lizenzvergaben, der Vergabe von Nachbaurechten, steht Deutschland in der Verbreitung von "Kleinwaffen" weltweit auf dem unrühmlichen dritten Platz. Mit Unterstützung aller Bundesregierungen ist die Oberndorfer Waffenfirma Heckler&Koch zum "Weltmeister bei Lizenzvergaben" aufgestiegen.

In fast allen Staaten der Golfregion befinden sich Waffen von Heckler&Koch oder den 15 G3-Lizenzstätten im tödlichen Einsatz. Sobald der Bodenkrieg ausbricht, werden dort auch H&K-Waffen eingesetzt.

Die irakische Armee verfügt über mehrere 10.000 G3-Gewehre, die im zweiten Golfkrieg als Beutewaffen von den iranischen Streitkräften erbeutet worden sind.

Die britische Armee verfügt über eine überarbeitete Version des SA-80-Gewehrs. Die SA-80-Gewehre werden in Großbritannien gefertigt, wobei Bauteile aus Oberndorf stammen. In Oberndorf werden diese Gewehre modernisiert.

Türkische Militäreinheiten sind mit G3-Gewehren und MP5-Maschinenpistolen in den Nordirak einmarschiert und bedrohen dort die kurdische Bevölkerung. Dabei ist bekannt, dass die türkische Armee nicht vor Massakern mit den H&K-Waffen zurückschreckt.

Und die US-Spezialeinheiten der Vereinigten Staaten verfügen über MP5-Maschinenpistolen und USP-Pistolen für ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Gestern sind die ersten Flüchtlinge an den Grenzen des Irak eingetroffen. In den kommenden Wochen befürchten die Vereinten Nationen eine Massenflucht aus dem Irak. Dort werden die Not leidenden Flüchtlinge von iranischen und saudi-arabischen Militäreinheiten mit G3-Gewehren und MP5-Maschinenpistolen aus eigener Lizenzfabrikation am Betreten des Landes gehindert.

Heckler&Koch verschweigt, dass das Unternehmen zu den Profiteuren des Irak-Kriegs zählt. Die Geschäftsführung dieses Unternehmens kennt keine Moral und Skrupel, wie nicht zuletzt auch der beantragte Export von G36-Gewehren in das Bürgerkriegsland Nepal beweist.

Wir verurteilen diese Exportpolitik der H&K-Geschäftsführung! Und wir sagen hier in Oberndorf entschieden NEIN zu den skrupellosen Waffenexporten und Lizenzvergaben von Heckler&Koch und den mitverantwortlichen Bundesregierungen.

Im Rahmen meines neuen Buchprojektes "Versteck dich, wenn sie schießen" über die Opfer deutscher Rüstungsexporte bin ich in den vergangenen zwei Jahren mehrfach nach Türkisch-Kurdistan und nach Somalia gereist. Mit eigenen Augen habe ich die Massengräber gesehen, in denen oftmals Opfer liegen, die mit Waffen von Heckler&Koch oder einer der Lizenznehmer der H&K-Waffen erschossen worden sind.

In Behindertenwerkstätten und Rehabilitationszentren habe ich mit einer Vielzahl von Verwundeten gesprochen, die ihre Arme oder Beine verloren haben oder Jahre nach dem Krieg noch immer Granatsplitter und Gewehrkugeln im Körper tragen. In den Wohnungen habe ich mit den Angehörigen der Getöteten gesprochen. Eines habe ich dabei schmerzlich erfahren: Kriege enden nicht in dem Moment, an dem die Bombardements eingestellt werden. Die Angehörigen der Opfer können niemals den Tag vergessen, an dem ihre Oma oder Opa, Mutter oder Vater, Schwester oder Bruder oder eines ihrer Kinder gestorben sind. Auch Jahre und Jahrzehnte nach Kriegsende leiden sie unter den Verstümmelungen oder unter Traumata. Wenn der Krieg gegen den Irak vorüber sein sollte, werden wieder Abertausende ihre nächsten Verwandten verloren haben, oft durch den Einsatz deutscher Waffen.

In Somaliland habe ich Abdirahman Dahir Mohamed getroffen. Er saß in einem Rehabilitationszentrum des Roten Kreuzes. Sein erster Satz lautete: "Ich habe mein rechtes Bein durch die Kugel eines G3 verloren." Ausführlich hat Abdirahman erzählt, wie er von einer G3-Kugel getroffen und verletzt worden ist. Seit mehr als einem Jahrzehnt humpelt der Familienvater auf Holzkrücken durch die Gegend. Sein Bein musste inzwischen bis zum Stumpf amputiert werden. Der Knochen wuchert weiter, die Schmerzen sind unerträglich.

Abdirahman ist einer von unzähligen Menschen, die durch G3-Gewehre verstümmelt worden sind. Auch in Türkisch-Kurdistan habe ich viele G3-Opfer kennen gelernt, die bis heute unter den Folgen des G3-Einsatzes leiden.

Deshalb demonstrieren wir heute mit Krücken gegen die Gewehrexporte von Heckler&Koch. Denn die H&K-Geschäftspolitik führt zur Verstümmelung unzähliger Menschen!

Rund 11 Millionen H&K-Waffen befinden sich derzeit in Kriegen und Bürgerkriegen im Einsatz. Wie die Pest wütete der Heckler-Waffenvirus in den vergangenen Jahrzehnten und mordet bis heute auf den Schlachtfeldern in Afrika, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Südostasien. Anders als früher sind es weit überwiegend Zivilisten, die von den in Oberndorf entwickelten Maschinenpistolen und Gewehren durchsiebt und zerfetzt werden. Noch im ersten Weltkrieg waren lediglich 5 Prozent der Opfer Zivilisten, so hat sich das Verhältnis nahezu umgekehrt: Heute sind unschuldige Kinder, Frauen und Männer zu rund 85 Prozent die Opfer. In Folge der Lizenzvergaben von H&K-Waffen und durch Direktexporte aus Oberndorf starben im Zeitraum von 1961 bis heute mehr als 1,5 Millionen Menschen. Für jeden Arbeitsplatz bei Heckler & Koch mussten seit der Firmengründung rund 151 Menschen sterben.

Deshalb lasst uns hier in Oberndorf entschieden NEIN sagen zur Geschäftspolitik von Heckler&Koch - denn diese ist Beihilfe zum Massenmord!

Völlig unstrittig hat das Regime von Saddam Hussein schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Das irakische Regime ging und geht brutal gegen politische Oppositionelle und Kurden vor.

Wir sagen heute entschieden NEIN zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung durch das Regime Hussein.

Doch soll der Krieg gegen den Irak tatsächlich dem Kampf gegen den Terror dienen, so ist er das falscheste aller möglichen Mittel. Wer Krieg gegen den Irak führt, gießt Öl ins Feuer des internationalen Terrorismus. Dabei ist bekannt, dass gerade Terroristen über Heckler&Koch-Waffen verfügen. Schon die RAF (Rote Armee Fraktion) hat mit H&K-Waffen gemordet. Palästinensische Selbstmordattentäter verwenden H&K-Gewehre, vor wenigen Tagen soll der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic mit einem G3-Scharfschützengewehr ermordet worden sein.

Mit dem Irak-Krieg erwachsen neue Märtyrer, wird neuer Hass gesät, werden neue Terroristen geschaffen. Militärisch gesehen ist der Irak eine schwache Nation, die Niederlage auf dem Schlachtfeld eine Frage der Zeit. Seine Stärke liegt allenfalls in einem Heer von Selbstmordattentätern, die in den Jahren danach weltweit Attentate verüben und damit ihrerseits neuen Hass säen werden. Aus dem Krieg gegen den Irak droht ein Flächenbrand zu werden, der sich nicht löschen lassen wird. Die Eskalationsgefahr ist unkontrollierbar. Wer dem international wachsenden Terrorismus den Boden entziehen will, muss den Hunger und die Armut bekämpfen, muss Schulen, Krankenhäuser und Altenpflegeheime bauen.

Deshalb sagen wir entschieden JA zu einem menschenwürdigen Leben für alle Menschen in allen Ländern und zu einer gerechten Weltwirtschaftsordnung!

Erst eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, bislang von den Regierungen der reichen Staaten und Multis mit Erfolg verhindert, würde den Wandel zum Positiven bringen. Allein die auf 50 bis 200 Milliarden US-Dollar veranschlagten Kriegskosten wären als Entwicklungshilfegelder eine entscheidende Investition in den Frieden! Auch Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Flüchtlingsausgaben dienen dem inneren und dem äußeren Frieden.

Wir sagen heute entschieden JA zur Aufstockung der Entwicklungshilfe und zu Investitionen in den Frieden!

Lasst mich zum Schluss nochmals auf die aktuelle Entwicklung bei Heckler&Koch zurückkommen. Mit dem G36 hat die Entwicklungsabteilung des Unternehmens eine neue Waffe entwickelt. Noch präziser, noch treffgenauer und noch mörderischer als das G3. Das G36 ist bereits bei der Bundeswehr eingeführt, eine erste Lizenz nach Spanien vergeben.

Für die US-Army entwickelt H&K gerade das OICW-Gewehr (M29), das zukünftig bei den Interventionen der US-Streitkräfte eingesetzt werden wird. Mit den neuen Großaufträgen wird H&K auch zu den Profiteuren kommender Kriege zählen. Wir müssen befürchten, dass die Waffenschmiede weltweit zur Nr. 1 der Gewehrproduzenten und -exporteure aufsteigt.

Deshalb sagen wir heute entschieden NEIN zur Entwicklung einer neuen Gewehrgeneration! NEIN zu weiteren Lizenzvergaben von H&K-Waffen!

Die einzig legitime Antwort auf die Rüstungsexporte und Kriegstreiberei sind Rüstungskonversion und nichtmilitärische Konfliktlösung. Deshalb fordern wir im Schulterschluss mit einer Vielzahl von Organisationen der Friedens- und Menschenrechtsbewegung:

DEN SOFORTIGEN STOPP DES ANGRIFFSKRIEGS GEGEN DEN IRAK!

DIE VERSCHROTTUNG ALLER KLEINWAFFEN!

DIE UMSTELLUNG DER RÜSTUNGSPRODUKTION VON H&K AUF EINE SINNVOLLE ZIVILE FERTIGUNG!

 

 

 

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