16.03.2006

Dokumentation

»Junge Welt« und Ahmadinedschad
Kritik an der Blattlinie

Nachdem die Tageszeitung »Junge Welt« es bisher abgelehnt hat, den unten stehenden Leserbrief zu veröffentlichen, wurde seitens der AutorInnen beschlossen, ihn andernorts der Öffentlichkeit zugängig zu machen:

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Offener Brief an die »Junge Welt« und ihre Leserschaft

Wir sind AutorInnen der »Junge Welt«. Wir kommen aus unterschiedlichen Spektren der Linken und vertreten in manchen Fragen divergierende Standpunkte. Dennoch haben wir uns entschlossen, diese kurze gemeinsame Intervention zu verfassen.

Die Blattlinie der »Junge Welt« folgt an vielen Punkten einer antiimperialistischen Hauptfeind-USA-und-Israel-Linie.

In letzter Zeit ergehen sich Kommentatoren der »Junge Welt« in einer unerträglichen Verniedlichung des offen antisemitischen Staatschefs des Iran, was nicht selten wie eine Legitimation dessen Politik wirkt. So kommt Werner Pirker zu Ahmadi-Nejads Holocaust-Leugnereien auf den Einfall, dass dieser möglicherweise "wenig Ahnung von europäischer Geschichte zu haben" scheine (»Junge Welt« vom 16.12.05), und findet, dass dessen Anti-Israel-Tiraden in irgendeiner Form eine Spielart von legitimem Antizionismus sei (»Junge Welt« vom 29.10.05). Wir fragen uns, wie man in Zukunft ähnlichen "Überlegungen" von Neonazis argumentativ entgegen treten will. Diese Relativierung der deutschen Massenmordgeschichte und Ignoranz gegenüber Antisemitismus verbieten sich für eine linke Zeitung von selbst, ganz abgesehen davon, dass dieses Regime jede fortschrittliche linke Opposition mörderisch unterdrückt.

Wir sind mit dieser inhaltlichen Ausrichtung, die sich in einer derart vereinfachenden Position ausdrückt, wonach der Feind meines Feindes irgendwie auch mein Freund sei, nicht einverstanden. Ebenso entschieden wie wir den Kriegsplänen gegen den Iran entgegentreten, lehnen wir ein Kleinschreiben eines virulenten und aggressiven Antisemitismus ab.

Gerhard Hanloser alias Walter Hanser (Freiburg)
Markus Mohr (Hamburg)
Matthias Reichelt (Berlin)
Franz Schandl (Wien)
Ralf Streck (Donostia)
Maike Dimar und Michael Liebler (Nürnberg)

14. März 2006

 

Anmerkungen

    Siehe hierzu auch unsere Dokumentation der
    Kolumne von Franz Schandl
    '»Junge Welt« und Ahmadinedschad' (23.12.05)

    Zum Thema Ahmadinedschad siehe auch den
    Kommentar von Adriana Ascoli
    'Irans Präsident outet sich als fanatischer Irrer' (26.10.05)

 

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