3. Februar 2010

Dokumentation

Kathrin Vogler
Erklärung zur Rede von Shimon Peres
im Bundestag am 27. Januar 2010

Eines vorweg: ich bin seit langem für eine friedliche und gerechte Lösung des Nahostkonflikts aktiv. Meine Überzeugung ist, dass wir als Deutsche nicht nur eine Verantwortung gegenüber dem israelischen Staat und dem Sicherheitsbedürfnis seiner Bürgerinnen und Bürger haben, sondern auch gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern. Von 2004 bis 2008 habe ich für den Bund für Soziale Verteidigung ein Friedensdienstprojekt in der Westbank bei Jerusalem mit organisiert. (siehe www.jahalin.net) Dabei habe ich mit palästinensischen und israelischen Organisationen zusammengearbeitet, konnte also viel über die unterschiedlichen Sichtweisen lernen. Immer wieder kam von israelischen AktivistInnen die Forderung, dass die politische Linke und die Friedensbewegung klarer Position zur Politik der israelischen Regierung gegenüber den PalästinenserInnen beziehen und v.a. Druck auf die Bundesregierung ausüben soll. All dies habe ich in der Gedenkstunde für die Opfer des Holocaust natürlich im Kopf gehabt. Ich hatte die Befürchtung, dass Shimon Peres diese Rede nutzen würde, um die harte Position der israelischen Regierung zu vertreten und die Konfrontation zu verstärken. Aber diese Befürchtung ist nur zu einem kleinen Teil eingetroffen. Die Rede von Peres war zu 90% die Rede eines Opfers der Schoah, der gegenüber dem deutschen Parlament bewegende Worte der Erinnerung, der Mahnung und der Versöhnung fand und der auch klar für eine friedliche Nachbarschaft mit den PalästinenserInnen im Rahmen einer Zweistaatenlösung Stellung bezog. Mir war es deswegen ein Bedürfnis, ihm für dieses Zeugnis Respekt zu erweisen und in seiner Person die Opfer des Holocaust zu ehren, die er in dieser Feierstunde vertreten hat - deshalb bin ich aufgestanden. Ich kann aber auch nachvollziehen, dass einzelne Abgeordnete etwa seine Passage zum Iran so bewertet haben, dass sie sich für eine Politik instrumentalisiert gefühlt haben, die sie nicht durch stehenden Applaus unterstützen wollten. Für mich ist das eine Frage der individuellen Abwägung, keine aus der ich ein Politikum mache. Als Abgeordnete stehen wir natürlich in so einer Situation in einem Dilemma. In einer Gedenkstunde sollten die Opfer des deutschen Faschismus und die Mahnung vor faschistischem Gedankengut im Mittelpunkt stehen. Dieses Gedenken ist nicht zu relativieren. Wenn ein Politiker und Staatsmann die Gedenkrede hält, ist aber davon auszugehen, dass er auch aktuell politisch Stellung bezieht - das hat Peres auch getan, wenn auch nur in geringem Umfang, und auch mir hat dies teilweise missfallen. Es gibt in dieser Situation kein "richtiges" Handeln. Sitzenbleiben wird in der Öffentlichkeit als mangelnder Respekt vor den Opfern dargestellt - was es bei den betreffenden Abgeordneten sicher nicht war. Aufstehen kann als Zustimmung zur aggressiven Politik der israelischen Regierung gedeutet werden, was es in meinem Fall (und ich unterstelle, bei vielen anderen Abgeordneten) ebenfalls nicht war. Dieses Dilemma muss jede und jeder für sich selbst so lösen, dass er oder sie morgens noch in den Spiegel sehen kann - und damit meine ich ausdrücklich nicht das gleichnamige Nachrichtenmagazin. Für mich ist eine Gedenkstunde kein Ort der Tagespolitik oder sollte es zumindest nicht sein. Die Verbrechen der deutschen Nazis, ihrer Mitläufer und Wegseher dürfen nicht relativiert, die Opfer dürfen nicht für eine politische Auseinandersetzung instrumentalisiert werden. Das vertrete ich auch gegenüber meinen palästinensischen und israelischen Freunden, die vielleicht nicht unmittelbar nachvollziehen können, warum ich Peres in der Feierstunde Respekt erbiete, obwohl er auch Repräsentant einer Regierung ist, deren aktuelle Politik alles andere als Frieden und Versöhnung bedeutet und die ich für falsch halte.

Kathrin Vogler

 

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