5.08.2004

"Rot-Grün" schützt Strom-Monopole

Aktuelle Ausgabe der 'Zeit' veröffentlicht Fakten

Eine der immer seltener werdenden Sternstunden des deutschen Journalismus ist in der heutigen Ausgabe der 'Zeit' zu bewundern. Worüber wir auf unseren Seiten schon öfter berichteten1 und was in einem als links geltenden Blättchen wie der 'taz' totgeschwiegen wird, zeigt Fritz Vorholz in seinem Artikel 'Minister für das Monopol' in aller gebotenen Deutlichkeit auf. Schade nur, daß er Fakten nicht von Meinung trennt wie sich das doch für eine neutrale Berichterstattung gehört: Er streut vielfach eine Wiedergabe der Rollenverteilung zwischen Minister Clement (Krokodil) und Minister Trittin (Kasperle) in seinen sonst recht faktenreichen Artikel ein, während dies als Theaterkritik dem zuständigen Ressort - dem Feuilleton - überlassen bleiben sollte.

Vorholz erinnert an die Versprechungen vor den Wahlen 1998 und 2002 und den Koalitionsvereinbarungen, nach denen die "Stromindustrie an die Kandare" genommen werden sollte. Auch hier wäre zu ergänzen, daß diese Ankündigungen - ernst genommen - bedeutet hätten, daß - um im Bild zu bleiben - das Pferd dem Reiter zuerst einmal das Eisen in den Mund schieben müßte. Und gemessen an dieser Ankündigung, hat sich in den sechs Jahren seit 1998 nichts getan. Auch die jüngst vom "rot-grünen" Kabinett beschlossene Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes - immerhin eine Fleißarbeit von 150 Seiten - wird nicht dazu führen, daß der "zu hohe Strompreis" sinkt.

Die Großen Vier - E.on, RWE, Vattenfall und EnBW - beherrschen rund 80 Prozent des Strom-Marktes.
Die Großen Vier

Was sonst in den von europäischer Vereinigung schwadronierenden Massenmedien unter den Tisch fällt, präsentiert der 'Zeit'-Artikel: Die britischen Privathaushalte beispielsweise zahlen gut ein Viertel weniger für den Strom. Und im internationalen Vergleich liegen die hiesigen Strompreise an der Spitze, so das Beratungsunternehmen 'NUS Consulting Group'. Auch mittelgroße deutsche Industriebetriebe müssen 7,5 Cent pro Kilowattstunde zahlen, während im Vergleich hierzu die Konkurrenz aus Großbritannien mit knapp 5,5 Cent davonkommt.

"Der Grund dafür sind nicht nur allerlei Umlagen wie die Ökosteuer oder der von der rot-grünen Bundesregierung verordnete Obolus zur Förderung erneuerbarer Energien. Die hohen Preise haben ihre Ursache auch im mangelnden politischen Willen." - solch klare Worte sind heute in der 'Zeit' zu lesen. Und der "mangelnde politische Wille" wird nicht bloß behauptet, die Behauptung wird belegt: Anders als in allen anderen EU-Mitgliedsländern hat es "Rot-Grün" in Deutschland unterlassen, das wettbewerbswidrige Verhalten der Konzerne zu unterbinden. So können die großen Vier, E.on, RWE, Vattenfall und EnBW, die fast das gesamte deutsche Stromnetz in vier Zonen unter sich aufgeteilt haben, als "Netzbetreiber" für die Benutzung ihrer Freileitungen und Kabel soviel verlangen wie sonst nirgendwo auf der Welt. Auch der große Wettbewerbshüter, die EU-Kommission, rügt, dies sei "unvorteilhaft" für den Wettbewerb auf dem Strommarkt - aber die Rüge ist vergleichsweise leise.

Während ansonsten die Kommission in Brüssel immer gerne als "Überregierung" dargestellt wird, der sie als deutsche Regierung Folge zu leisten hätten (wenn sie denn für eigene unpopuläre Entscheidungen den schwarzen Peter an ein nicht-abwählbares Gremium weiterreichen will), ignoriert "Rot-Grün" die letzte von Brüssel auf den 1. Juli festgesetzte Frist, bis zu welcher der sonst so oft beschworene "freie Wettbewerb" gesichert hätte sein müssen. Und mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz "offenbart" - so Vorholz - die deutsche Regierung wie sie vom Beginn des Jahres 2005 an die Konkurrenz beleben und so den Strompreis senken will: Der mit nicht weniger als 118 Paragraphen bedachte "Regulierer" werde zum Papiertiger wie selbst Manager aus deutschen Konzernen offen bestätigen und wie die Verbände der StromverbraucherInnen dies bereits seit einiger Zeit aufgezeigt haben. Auch die im Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) vereinten Großverbraucher, darunter der Kühlschrankhersteller Miele, "schimpfen" - so Vorholz - über das neue Energiewirtschaftsgesetz, das die Hoffnung auf niedrigere Strompreise nicht erfüllen könne.

Noch weitergehend und deutlicher waren die Vorwürfe der Wirtschaftsvereinigung Metalle, die 655 Unternehmen vertritt, bei denen rund 111.000 Beschäftigte arbeiten: "Rot-Grün" schütze die für die hohen Preise verantwortlichen Netzmonopolisten - so Vorholz in der heutigen Ausgabe der 'Zeit'. Und der Bundesverband der Energieabnehmer (VEA), zu dem sich einige tausend mittelständische Stromverbraucher zusammengetan haben, geißelt das neue Energiewirtschaftsgesetz nicht nur als "wertlos", sondern als regelrecht "standort-schädlich", zitiert Vorholz den VEA-Vorstand Manfred Panitz.

Die von Groß und Klein, von Verbraucherschutz-Verbänden und Organisationen privater StromkundInnen bis zu Groß-Konzernen aus dem in Deutschland sich auf dem absteigenden Ast befindlichen produzierenden Gewerbe, von ManagerInnen bis SozialhilfeempfängerInnen durch die Bank weg kritisierten Pläne der "rot-grünen" Regierung lehnen sich am Modell der Vergleichsmiete an: Der "Regulator" oder Wettbewerbshüter darf erst einschreiten, wenn ein Netzbetreiber sein Entgelt über das durchschnittliche Entgelt "vergleichbarer Netzbetreiber" - also der anderen drei - erhöhen will. Das kann allenfalls weitere Erhöhungen behindern, aber keine Senkung der Preise erzwingen.

Die Kosten sämtlicher Netzmonopolisten seien gleichmäßig überhöht, damit aber sei auch das Vergleichskriterium wertlos, wird Werner Marnette, der Vorstandsvorsitzender des Kupferverarbeiters Norddeutsche Affinerie in Hamburg und Vorsitzender des Energieausschusses des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) in der 'Zeit' zitiert. Selbst die vom damaligen Bundespräsidenten Rau ernannte Monopolkommission kritisiert in einem jüngst veröffentlichten Gutachten "eine seit Jahren verfehlte Energiepolitik zugunsten der Ex-monopolisten," schreibt Fritz Vorholz in der 'Zeit'.

Und weiter analysiert er, die "rot-grüne" Regierung habe die nach der sogenannten Marktliberalisierung ausgebrochene "Fusionitis" äußerst wohlwollend "begleitet", weil sie die Hoffnung gehabt habe - als Neo-Nationalisten?, so ist zu fragen - damit "nationalen Champions" zum Leben zu verhelfen. Vorholz erinnert an den Einspruch des Bundeskartellamtes gegen die Fusion von E.on und Ruhrgas AG, die per Ministererlaubnis durchgewunken wurde. Auch die Monopolkommission bezeichnet das Ergebnis solcher Politik als "Marktstrukturen, die den rechtlich abgeschotteten Gebietsmonopolen vor der Liberalisierung ähneln".

Da "Rot-Grün" auf die Regulierung des Netzzugangs verzichtete, was Vorholz als Experiment und nicht als Absicht interpretiert aber klar beschreibt, haben neugegründete Stromerzeuger kaum eine Chance, ihren Strom an die KundInnen zu bringen und damit "den Wettbewerb zu beleben". Selbst der damalige parteilose Wirtschaftsminister Müller, der als Manager aus der Energiebranche kam und in der ersten "rot-grünen" Koalition für dieses "Experiment" zuständig zeichnete, prangerte inzwischen die mißbräuchlichen Praktiken der Netzbetreiber öffentlich als "Beschiß" an. "Rot-Grün" hielt dagegen an der "Verbände-Vereinbarung" fest und goß sie in Gesetzesform.

Vorholz referiert auch das gemeinsame einzige Argument, mit dem die Strom-Konzerne in Eintracht mit der deutschen Bundesregierung die Freiheit vor der Liberalisierung begründen: Ein Sinken der Strompreise ginge zu Lasten der Sicherheit (selbstverständlich nicht zu Lasten der Profite). Bei zu niedrigen Strompreisen investierten die Stromversoger weniger in die Qualität der Netze - es kommt zum Stromausfall. Auf die Beispiele Kalifornien und Italien wird dabei verwiesen.

Tatsächlich werden die Deutschen nur selten von Blackouts heimgesucht, jährlich sind es insgesamt nur 15 Minuten. Doch zugleich gingen die Investitionen in die Stromnetze - trotz hoher Strom-Gebühren - in den vergangenen acht Jahren bereits von 3,6 auf 2 Milliarden Euro jährlich zurück, weist Vorholz nach und entlarvt so da Argument als Lüge. Ebenso wenig glauben Monopolkommission noch die Verbände der StromverbraucherInnen, daß mehr Wettbewerb nur auf Kosten der Versorgungssicherheit zu haben sei.

Was in der 'Zeit' allerdings nicht zu finden ist, sind die tatsächlichen Gründe für die Konzern-freundliche Politik von "Rot-Grün". Mit ihrem Strauß aus Verzichten, einem Verzicht auf Steuern, einem Verzicht auf einen Atomausstieg und einem Verzicht auf die Beschränkung der realen Monopolstellung der Strom-Konzerne gelang es ihnen bereits einmal, wiedergewählt zu werden. Und warum soll es mit demselben Beschiß nicht ein zweites mal klappen?

 

Harry Weber

 

Anmerkungen:

1 Siehe auch unseren Artikel
    Monopole zocken den Gaspreis nach oben (22.07.03)

 

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