22.02.2005

Joseph Fischer nun doch
bald vor den Visa-Ausschuß

"Rot" und "Grün" drängen nun, über Fischers Zukunft noch vor der NRW-Wahl zu entscheiden
Visa-Affäre inzwischen Thema bei der EU-Kommission

Noch letzte Woche hatte es geheißen, mit der Einvernahme des deutschen Außenministers vor dem Visa-Untersuchungsausschuß des Bundestages1 habe es Zeit bis zum Sommer. Die Hoffnung war wohl, die Affäre im Sommerloch versenken zu können, nachdem sie Strategie des Aussitzens nach etlichen Wochen Mitte Februar gescheitert war. Doch nach dem desaströsen Ergebnis bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein2 drängen die Parteispitzen von "Rot" und "Grün" auf einen baldigen Auftritt Fischers.

Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der "grünen" Partei, sagte am Montag in Berlin, Fischer solle möglichst bald und damit vor der NRW-Wahl am 22. Mai vernommen werden. "Wir haben ein eigenes Interesse daran aufzuklären, was falsch gelaufen ist und wo die Vorwürfe ungerechtfertigt sind", so Bütikofer. Klaus-Uwe Benneter, Generalsekretär der "Roten" erklärte, wenn eine frühere Aussage Fischers einer schnelleren Aufklärung dienen würde, wäre man zu einem solchen Vorgehen "gern" bereit. Vergangene Woche noch hatten "Rot" und "Grün" mit ihrer Mehrheit im Untersuchungsausschuß einen Oppositionsantrag zur Aussage Fischers bereits Mitte April mit der Begründung abgelehnt, der Ausschuß müsse sich zunächst mit den Akten befassen und der Terminplan könne nicht "nach Tageslaune" umgeworfen werden.

Fischers Visa-Affäre nimmt derweil europäische Dimensionen an. Nach Angaben aus Brüssel ist die Vergabe-Praxis des deutschen Außenamts nun auch Thema der EU-Kommission, da diese "ohne Absprache mit den europäischen Partnern" eingeführt worden sei. Die EU-Kommission kündigte am Montag eine mehrwöchige Prüfung der deutschen Visa-Praxis an, rechnet jedoch nicht vor April mit Ergebnissen. Überprüft werde, ob der sogenannte Volmer-Erlaß und insbesondere die beiden vorangegangenen Erlasse vom September und Oktober 1999 mit den Visa-Regeln der EU vereinbar waren.

Bütikofer sieht die Visa-Affäre als mitverantwortlich für den Ausgang der Landtagswahl in Schleswig- Holstein an: "Sicher hat uns die Auseinandersetzung um den Visa-Ausschuß nicht unbedingt Rückenwind gegeben." Er stelle sich daher auf "harte Auseinandersetzungen" beim Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen ein. Jürgen Rüttgers, Spitzenkandidat der "Schwarzen" hat bereits angekündigt, die Visa-Affäre zum Thema im Wahlkampf zu machen. Bei "Rot-Grün" in NRW geht die Angst um. Der "rote" Ministerpräsident Peer Steinbrück, die "grüne" "Umwelt"-Ministerin Bärbel Höhn und der "rote" NRW-Parteivorsitzende Harald Schartau forderten eine schnelle Aufklärung der Rolle Fischers. "Ich möchte diese Fragen nicht hinlaviert wissen bis zum 22. Mai", sagte Steinbrück. Es stünden Fragen im Raum, "und ich finde, daß die schnell beantwortet werden sollen, und dort, wo Fehler gemacht worden sind, sollte man diese Fehler auch zugeben."

Joseph Fischer selbst bekräftigte einmal mehr nebulös, daß er die "Verantwortung für Fehler" übernehmen wolle. Zugleich warf er seinen KritikerInnen vor, in Wahrheit auf einen Regierungswechsel im Bund abzuzielen. Die Angriffe gingen mittlerweile auch "sehr ins Persönliche". Er frage sich, ob "im öffentlichen Raum nicht ein ganz anderes Programm läuft", bei dem es nicht mehr um Sachaufklärung, sondern um einen Regierungswechsel gehe. "Daß da meine Person im Mittelpunkt steht, das muß ich akzeptieren." Kommentatoren verschiedener Mainstream-Medien deuteten diese Interpretationen Fischers als deutliche Zeichen eines "Realitätsverlustes".

Neben der Rolle und dem damaligen konkreten Wissen Fischers - Thomas Schäuble hat mit einem Brief Fischers vom 18. April 2000 bereits brisantes Beweismaterial vorgelegt - gerät auch die Rolle von Innenminister Otto Schily und Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Visa-Affäre immer mehr ins Zentrum des Interesses. So wurden die Briefe Schilys an Fischer, mit denen sich dieser abzusichern gedachte, für Schily nun zu Belastungsmaterial. Denn es ist offensichtlich, daß es nicht genügt hatte, sich auf Warnungen zu beschränken. Auch wurden inzwischen weitere Einzelheiten bekannt. So hatte das Bundeskriminalamt bereits 2001 auf den Mißbrauch der seit 1999 ohne die gesetzlich zwingend gebotene Prüfung erteilten Visa hingewiesen. Und weiter ist unbestreitbar, daß der Casus schon in jenen Jahren im Kabinett behandelt wurde und Bundeskanzler Schröder sich auf die Seite des Außenministers und gegen den Innenminister stellte.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel

      Koch in Visa-Affäre verstrickt
      (19.02.05)

      Sensation im Visa-Ausschuß
      Fischers Praktiken waren illegal
      (17.02.05)

      Fischers Visa-Affäre spitzt sich zu
      Brief vom Außenminister höchstselbst vom April 2000
      (16.02.05)

      Joseph Fischers final flight?
      Schröders Treue im Bruch-Test
      Volmer nimmt die Rolle des Bauernopfers nicht an
      (14.02.05)

      Volmer aus der Schußlinie genommen
      In wenigen Tagen beginnt Visa-Untersuchungsausschuß (12.02.05)

      Volmer beim Lügen ertappt
      Hunderttausende verdient mit "auf dem Schoß sitzen" (10.02.05)

      Bundestagsabgeordneter Volmer als Lobbyist enttarnt (19.01.05)

2 Siehe auch unseren Artikel

      Abwahl in Schleswig-Holstein
      (21.02.05)

 

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