21.12.2004

Folter-Vorwurf bestätigt

Dennoch extrem mildes Urteil im Fall Daschner

Der Frankfurter Ex-Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner wurde zwar wegen Folter-Androhung verurteilt, darf sich aber nach Ablauf einer "Bewährungsfrist" als nicht vorbestraft bezeichnen. Ein merkwürdig zwiespältiges Urteil.

Für Linke, die dem Strafrecht skeptisch gegenüberstehen, eine schwierige Situation: Aus Gründen der Prävention eine härtere Bestrafung fordern zu wollen, wäre angesichts der realen Situation in Deutschlands "Polizeistuben", wo in der Regel bei Verhören mit "Kunden", die nicht gleich ihre juristische Vertretung im Schlepptau haben, nicht zimperlich vorgegangen wird, eh naiv.

Der Fall Daschner war insoweit ein Sonderfall, weil der Herr selbst an die Öffentlichkeit gegangen ist und mit seinem Vorpreschen meinte, das bisher unbedingte Folter-Verbot aushebeln zu können. Eine höhere Strafe hätte daher allenfalls eine deutliche Signalwirkung in Hinblick auf die rechtliche Situation haben können. Wie sich dieses Urteil auf Erhalt oder Durchlöcherung des Folter-Verbots auswirkt, läßt sich sicher erst bei der Behandlung zukünftiger, ähnlich gelagerter Fälle ermessen. Alles andere wäre im Moment nur Spekulation.

Die positive Seite des Frankfurter Urteils: Die Taktik der Verteidigung, den Begriff Folter durch "unmittelbaren Zwang" zu ersetzen1, ist jedenfalls nicht aufgegangen. Die vorsitzende Richterin Bärbel Stock hat dem in bemerkenswerter Klarheit einen Riegel vorgeschoben. Wären Wolfgang Daschner und der mitangeklagte Kriminalkommissar Ortwin Ennigkeit entsprechend den Ausführungen der Verteidigung freigesprochen worden, hätte dies sicherlich einen Dammbruch zur Folge gehabt.

Richterin Stock wies in ihrer Urteilsbegründung auf die Verankerung des unbedingten Folter-Verbots in der unantastbaren Menschenwürde hin. Dies sei wegen der historischen Erfahrungen ganz bewußt an den Anfang des deutschen Grundgesetzes gestellt worden. "Menschen sollen nie mehr wie bei den Nazis nur Träger von Wissen sein, das der Staat aus ihnen herauspressen kann."

"Die Menschenwürde ist durch die Ewigkeitsklausel im Grundgesetz geschützt. Es geht um die Funktionstüchtigkeit des Rechtsstaats, nicht bloß um Gäfgen", führte Richterin Stock aus. Auch die grundsätzliche Bedeutung des Falles wurde hervorgehoben. Stock erklärte, die Entführung sei "kein singulärer Einzelfall, leider auch nicht untypisch" gewesen. Allerdings: Zur Verteidigung der Rechtsordnung sei eine Verurteilung ohne Strafe ausreichend. Die "reinigende Wirkung der Hauptverhandlung", während der sie die juristisch unhaltbare Begriffs-Verdrehung der Verteidigung in aller nötigen Klarheit zurückgewiesen hatte, sei entscheidend. Fast drängt sich die Vermutung auf, Richterin Stock habe einmal Arno Plack gelesen.

Mit einer Stafandrohung, die in Juristenkreisen auch Geldstrafe auf Bewährung genannt wird, bleibt die 27. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts in ihrem gestrigen Urteil unter dem Antrag von Staatsanwalt Wilhelm Möllers. Die angedrohte Geldstrafe für den 61-jährige Daschner beträgt 10.800 Euro, die für den mitangeklagten Vernehmungsbeamten 3.600 Euro und sie verfallen, wenn sich die Beiden innerhalb eines Jahres nichts zu Schulden kommen lassen. Dies gleicht eher einer symbolischen Bestrafung.

Die Mindeststrafe für "Aussageerpressung", und hierum handelt es sich in diesem Spezialfall von Folter exakt, beträgt laut Strafgesetzbuch, Paragraph 343, ein Jahr Freiheitsstrafe, die für "schwere Nötigung" immerhin sechs Monate. Das Gericht blieb noch deutlich unter dem Antrag des Staatsanwalts, der zwar auch auf "schwere Nötigung" plädiert, aber 27.000 Euro Strafe, zwei Jahre Bewährungszeit und 10.000 Euro Bewährungsauflage bei Daschner gefordert hatte. Staatsanwalt Möllers hatte in seinem Plädoyer von einem "drohenden Dammbruch" gesprochen und von der "Tür zu einem dunklen Raum".

Möglich ist eine Verwarnung mit Strafvorbehalt bei Geldstrafen bis zu 180 Tagessätzen, also bei weniger gravierenden Delikten. Voraussetzung dafür ist zudem, daß "eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es angezeigt ist, ihn von der Verurteilung zu Strafe zu verschonen", heißt es in Paragraph 59, Absatz I, Nummer 3, Strafgesetzbuch. Die Verwarnung ist zudem nur zulässig, wenn kein Rückfall zu erwarten ist und eine Strafe zur "Verteidigung der Rechtsordnung" nicht geboten ist.

Richterin Stock führte aus, daß für beide Polizisten "massive mildernde Umstände" anzurechnen seien: "Es sei beiden ausschließlich darum gegangen, das Leben des entführten Kindes zu retten." Daschner habe mit der Veröffentlichung seines Vorgehens zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein Geständnis abgelegt. Allerdings war schon beim Plädoyer der Staatsanwaltschaft deutlich geworden, daß keiner der Milderungsgründe, die von Daschners Verteidigung vorgebracht worden waren, Notstand, Nothilfe oder letztes Mittel zur Gefahrenabwehr, einer Prüfung standgehalten hatte. Richterin Stock hatte zurecht die Argumentation der Verteidigung zurückgewiesen, die Menschenwürde von Beschuldigten und Verdächtigten könne mit Leben und Menschenwürde von Verbrechensopfern "abgewogen" werden. Kein Mensch dürfe zum Objekt gemacht werden - zu einem "Bündel der Angst" wie Richterin Stock eindringlich formulierte.

Offensichtlich falsch war allerdings die Wertung, Daschner habe zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein Geständnis abgelegt. In der von Daschner niedergeschriebenen Aktennotiz heißt es: "Zur Rettung des entführten Kindes habe ich angeordnet, daß Gäfgen nach vorheriger Androhung unter ärztlicher Aufsicht durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen) erneut zu befragen ist." Und in einem Interview hatte Daschner detailliert geschildert, wie dies ablaufen sollte. Ein Kampfsport-Experte der Polizei, "jemand, der eine Übungsleiterlizenz des Deutschen Sportbundes hat", wurde bereits per Hubschrauber aus dem Urlaub geholt. Auch der angebliche Anruf bei einem Vorgesetzten im hessischen Innenministerium, kann nicht als frühestmögliches Geständnis gewertet werden, da jene Person - so existent - bisher wohlweislich anonym blieb.

"Reue und Einsicht" als mildernde Umstände scheiden zudem aus, obwohl Richterin Stock diese in ihrer Urteilsbegründung - ohne nähere Angaben - behauptet. Im Gegenteil wies Daschner penetrant jede Kritik an seinem Vorgehen als eine "Kampagne" weit von sich. Er blieb bis zum Schluß dabei, er habe in einem "Notstand" das einzig Richtige getan, sei dazu sogar verpflichtet gewesen. Obwohl er nach kurzer Beratung mit seinem Verteidiger das Urteil annahm, ließ er diesen nach dem Ende der Verhandlung erklären, er sei "anderer Rechtsauffassung" als das Gericht.

Und mit seinem Versuch, das grundgesetzlich geschützte Folter-Verbot auszuhebeln, stand und steht Daschner nicht allein: Mehrere Juraprofessoren hatten sich vorgewagt, der Bund der Deutschen Kriminalbeamten und eine Reihe von PolitikerInnen waren im hilfreich beigestanden, so der hessische Ministerpräsident Roland Koch, der "menschliches Verständnis" äußerte, der rechtspolitischen Sprecher und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU-Bundestags- fraktion Wolfgang Bosbach, der CSU-Innenexperte Norbert Geis, der eine "härtere Gangart, wenn es darum geht, Leben zu retten" forderte, der damalige Präsident des Deutschen Richterbunds, Geert Mackenroth, der allerdings zurücktrat, nachdem er Folter zur Rettung von Menschenleben in bestimmten Situationen als erlaubt bezeichnet hatte, Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die mit Verweis auf den Bundesgerichtshof einen "rechtfertigenden Notstand" für möglich hielt, und der ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine2.

So fielen auch die Kommentare zum Urteil recht unterschiedlich aus: Der parlamentarische "Grünen"-Geschäftsführer Volker Beck erklärte: "Das Frankfurter Landgericht hat klar gemacht, daß die Anwendung oder die Androhung von Folter geahndet werden muß." Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, begrüßte den Richterspruch: "Das Urteil schafft Rechtssicherheit für die Polizei und hat die äußerst schwierige menschliche Konfliktsituation berücksichtigt." Dagegen bemängelte die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Barbara Lochbihler, die Tat Daschners sei nicht als Folter gewertet worden: "Das Gericht hat die Chance verpaßt, hier ein unmißverständliches Wort beizutragen." Und das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisierte das Strafmaß: "Eine Verwarnung mit Strafvorbehalt wird der Bedeutung des absoluten Folterverbots nicht gerecht."

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unseren Artikel
      Folter? "Unmittelbarer Zwang" klingt viel besser!
      Der Fall Daschner wird in Frankfurt verhandelt (20.11.04)

2 Siehe hierzu auch unseren Artikel
      Und Toilettenpapier färbt doch ab
      Zu Lafonaines Pro-Folter-Kolumne vom 3. März (8.03.03)

 

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