8.03.2005

Emanzipation als Einbildung

Manche jungen Frauen in den westlichen Industrienationen meinen, sie seien bereits emanzipiert. Frei nach dem Motto »Eingebildete Emanzipation ist auch Emanzipation« erklären sie: "Ich bin emanzipiert, weil ich mich emanzipiert fühle." Das erklären sie anderen jungen Frauen, die ein sicheres Leben am Herd einem unsicheren Job ohne Aussicht auf "Kindersegen" vorziehen, oder alten Frauen, die tatsächlich nur lamentieren und als einzigen Beleg für die Unterdrückung der Frauen in der heutigen Zeit reflexhaft auf die Titelbilder von Zeitschriften wie dem 'stern' verweisen, oder sie erzählen es ihrer Omi, die nie etwas von Emanzipation wissen wollte und nun ganz stolz auf ihre Enkelin ist...

Sie wissen, daß Frauen bei gleicher Leistung im Durchschnitt nur rund 70 Prozent1 des Lohns oder Gehalts ihrer männlichen Kollegen bekommen, aber tun dies als Relikt der Vergangenheit ab oder sie reden sich ein, daß sie davon nicht betroffen sind, wenn sie nur selbstbewußt genug auftreten (würden)...

Sie wissen, daß Frauen in Führungspositionen nur selten anzutreffen sind, aber sie erklären das damit weg, daß viele Frauen eben keine Führungsposition anstreben... (Wobei sie gleichzeitig insgeheim davon überzeugt sind, daß solche Positionen eigentlich anstrebenswert seien.)

Sie machen sich oft nicht mal Illusionen über die Ungleichverteilung bei der Hausarbeit, aber kompensieren das mit antiquierten Evolutions-Theorien aus Frauen-Zeitschriften über genetisch festgelegte Verhaltensmuster aus der Steinzeit...

Sie wissen zwar, daß es in der Medizin noch heute Defizite gibt, wenn es um frauenspezifische Krankheiten oder Beschwerden geht, können aber auch das eloquent wegdiskutieren...

Sie kennen fast alle in die Sprache über Jahrhunderte eingeprägten Formen patriarchalischer Denkmuster, machen sich jedoch über alle - mehr oder weniger holprigen - Versuche feministischer SchreibweisInnen lustig, weil sie sich ja nicht diskriminiert fühlen, weil sie ja bereits emanzipiert sind...

Sie machen sich über die Quote lustig, die sie ebenso wenig benötigen, weil sie ja bereits...

Sie empfinden "Emanze" oder "Feministin" als Schimpfwörter, weil sie ja bereits...

Sie nehmen jegliche feministische Kritik als Gejammere war, weil sie ja bereits...

Grundprämisse ihres Denkens ist es, daß ihre Vorfahrinnen ihnen doch schließlich die Emanzipation erkämpft hätten. Dafür sind sie ihnen ganz brav dankbar und deshalb wollen sie - bitte schön! - nun nicht mehr genervt werden. Sie sind ja sogar bereit, den Internationalen Frauentag als Zeichen historischen Angedenkens jedes Jahr treulich zu feiern. Aber das gebetsmühlenhafte Lamento haben sie satt!

Sie haben schon in der Schule gelernt, daß es Anfang des letzten Jahrhunderts noch um das Frauenwahlrecht ging - aber das haben wir ja nun.

..., daß erst 1957 das Gleichstellungsgesetz verabschiedet wurde - aber das haben wir ja nun.

..., daß 1980 ein Gesetz zur Gleichstellung am Arbeitsplatz verabschiedet wurde - aber das haben wir ja nun.

..., daß 1996 die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde - aber das haben wir ja nun.

..., daß 2002 das Gewaltschutzgesetz in Kraft trat - aber das haben wir ja nun.

Also ging doch schließlich alles wunderbar bergauf und wir sind heute (fast) am Ziel der Entwicklung angelangt. Warum also immer noch jammern?

Ein klein wenig - aber nur ein klein wenig - ins Stocken geraten sie allerdings, wenn sie mit Fakten konfrontiert werden, die sie nicht als Gejammere abtun können, und die belegen, daß es schon seit mehr als zehn Jahren nicht weiter aufwärts, sondern im Gegenteil längst wieder abwärts geht:

Durch den nicht erst mit Hartz IV forcierten Sozialabbau sind besonders Frauen betroffen. Inzwischen ist jede vierte alleinerziehende Frau auf Sozialhilfe angewiesen. Wegen Erwerbstätigkeit ihrer Ehemänner oder Lebenspartner verlieren Hunderttausende ihre eigenen Ansprüche und rutschen in die volle Abhängigkeit sogenannter "Bedarfs- gemeinschaften". Sie haben dann auch keinen Anspruch mehr auf Arbeitsförder-Maßnahmen und werden so zunehmend in die Schwarzabeit oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse gezwungen.

Auch die neuen Regeln über die Zumutbarkeit von angebotenen Jobs trifft Frauen in der Regel härter, da der Arbeitsmarkt kinderlose, mobile Singles ohne soziale Bindungen bevorzugt, die zu jeder Zeit und an jedem beliebigen Ort einsetzbar sind. Alleinerziehende und Frauen mit Kind, aber ohne emanzipierten (männlichen) Partner sind da klar im Nachteil.

Über die Situation (der Mehrzahl) der Frauen außerhalb der - immer noch reicher werdenden - Industrienationen müssen wir hier nichts weiter ausführen und können auf die aktuelle und desillusionierende Bilanz der internationalen Frauenorganisation für Umwelt und Entwicklung (WEDO) verweisen. Unter dem Titel "Verrat an Peking" wird im Vergleich zu den vor zehn Jahren bei der UN-Frauenkonferenz gesetzten Maßstäben aufgezeigt: Entgegen den Äußerungen der Regierungen gibt es wachsende Armut, Ungleichheit und Widerstand gegen die Durchsetzung von Frauenrechten. Dies sind schlichte Fakten - kein Lamento!

Nur: leider werden junge Frauen in den westlichen Industrienationen noch viel zu selten mit solchen Fakten behelligt. Im Gegenteil werden sie durch die Mainstream-Medien in der Illusion bestärkt, sie seien emanzipiert. Denn so lange sie in dieser Illusion befangen sind, wehren sie sich nicht.

 

Erklärung von NETZWERK REGENBOGEN zum Internationalen Frauentag 2005

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel

      Frauen unverändert bei 70 Prozent
      "It's the ecomomy, stupid" (Bill Clinton) (30.10.04)

 

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