2.07.2006

Attacken auf
Freiburgs OB Salomon

Kundgebung gegen geplanten Verkauf städtischer Wohnungen
Konflikt um Heuschrecken-Symbolik

In Freiburg fand am Samstag ein Sternmarsch und eine Kundgebung gegen den geplanten Verkauf von über 8.900 städtischen Wohnungen statt. Anfang April dieses Jahres hatte sich Freiburgs "grüner" Oberbürgermeister Salomon Dresden zum Vorbild genommen und den Verkauf von rund 8.900 städtischen Wohnungen angekündigt. Immer häufiger tauchte seitdem im Stadtbild das Emblem einer alsbald gegründeten Bürgerinitiative auf: eine durchgestrichene Heuschrecke.

Auch die Kundgebung auf dem Freiburger Augustinerplatz war dominiert von Transparenten und Plakaten mit dem Heuschrecken-Logo. Im Vorfeld der von der Bürgerinitiative 'Wohnen ist Menschenrecht' organisierten Demo hatte es jedoch im linken Freiburger Spektrum wegen der Heuschrecken-Symbolik heftige Auseinandersetzungen gegeben. Ob nun dies, die geradezu mediterrane Hitze oder auch das grassierende Fußballfieber verantwortlich war - die Beteiligung blieb hinter den Erwartungen zurück: Nur die Hälfte des Platzes stand wegen einer Baustelle zur Verfügung, doch auch auf dieser Rest-Fläche herrschte nicht gerade Gedränge. Dennoch sprachen die VeranstalterInnen von über 2000 DemonstrantInnen.

Kundgebung Augustinerplatz

Walter Krögner, Gemeinderat der Freiburger SPD, begrüßte die aus vier Richtungen eintreffenden DemonstrantInnen. Die lange Reihe von Reden wechselte zur Freude des Publikums mit Beiträgen einer Samba-Band ab. Bernd Wagner, Vorsitzender des DGB-Ortsverbands, und Mitglied der BI 'Wohnen ist Menschenrecht' erklärte die Solidarität der Gewerkschaften mit den MieterInnen. Als erste Rednerin sprach Christa Donat, Vorsitzende des Mieterbeirats der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, die komplett verkauft werden soll. Der Verkauf der Wohnungen könne laut OB Salomon dazu dienen, die - angeblich unbeabsichtigt, aber kontinuierlich - aufgehäuften städtischen Schulden von über 370 Millionen Euro abzutragen.

Über 26.000 Unterschriften konnten, so Christa Donat, von den verschiedensten Gruppen im Laufe der letzten Wochen gesammelt werden, um damit ein Bürgerbegehren durchzusetzen. Würde nun "jeder dieser 26.000 nur einen weiteren Mitbürger zusätzlich an die Wahlurne mitnehmen, dann gewinnen wir den Bürgerentscheid", hofft Donat. Ausdrücklich dankte sie "der unabhängigen Liste und der SPD" für eine Reihe von Veranstaltungen, auf denen informiert und mit denen für die Beteiligung an Unterschriftensammlung und Bürgerentscheid geworben wurde. Entschieden wies sie den Vorwurf des Freiburger Oberbürgermeisters zurück, die BI versuche die Mieter aufzuhetzen. Noch 2002 habe Salomon selbst gesagt: "Ich glaube nicht, daß man dauernd Tafelsilber verscherbeln kann, um damit ein strukturelles Loch zu verkleistern." Inzwischen handelt es sich bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft bekanntlich um das "letzte Freiburger Tafelsilber". Und ebenso gewiß gehört zum ungeschriebenen Leitfaden jedes aufstrebenden Jungpolitikers der verbürgte Spruch des wendigen Bundeskanzlers Adenauer: "Was kümmert mich mein saudummes Geschwätz von gestern."

Die drei Gesichter des OB Salomon

Im Stile eines Buchhalters trug Herbert Haas, früherer Leiter einer Wohnungsbaugesellschaft in Hessen, ein Referat vor, das er mit der Frage einleitete: "Hat der soziale Wohnungsbau noch eine Zukunft?" Darin wunderte er sich über so einige Ungereimtheiten "in einer demokratisch geprägten Gesellschaft". Besonders nachdrücklich stellte er klar: "Freiburg ist nicht Dresden". Im Gegensatz zu Dresden verzeichne Freiburg einen verschwindend geringen Leerstand bei den städtischen Wohnungen. 2005 hätten nur 16 Wohnungen bei der Freiburger Stadtbau leer gestanden. Höhepunkt seines Vortrags war die offenbar gegen Salomon gerichtete Feststellung, man könne nicht mehr ausgeben als einnehmen. Haas hofft trotz seiner Attacken auf ein freundliches Gehör beim Oberbürgermeister. Es würde ihn "sehr freuen", wenn die "Alternativen von Bürgerseite beim OB erwogen" würden.

Neben den Einlagen der Samba-Band machte auch eine Gruppe schick gekleideter junger Damen und Herren auf sich aufmerksam, die ein Transparent mit der Aufschrift "Bündnis 90 / Die Yuppies" mitführten. Immer wieder skandierten sie lautstark: "Besetzen ist out - verkaufen ist in!"

aktualisiertes Logo

Hendrijk Guzzoni von der 'Linken Liste - solidarische Stadt' forderte den Freiburger Oberbürgermeister auf, die angekündigte "Sozialcharta" bereits jetzt zu realisieren und in alle Mietverträge hineinzuschreiben. Als einziger der RednerInnen machte er klar: "Faschisten und Nazis haben bei uns nichts zu suchen!" Dies schien auch durchaus angebracht zu sein. Denn obwohl sich Neonazis auf dem Freiburger Augustinerplatz nicht durch auffälliges Outfit zu erkennen gaben, hatten sie zur Teilnahme an der Kundgebung aufgerufen. Und ausgerechnet nach dem Rückzug des Demo-Aufrufs der Freiburger Antifa, wollten sich die Neonazis genau dort sammeln, wo sich zuvor die Antifa zum Sternmarsch hatte treffen wollen.

Fast unvermeidlich war auch die populistische Anleihe bei der Fußballer-Rhetorik: Guzzoni versuchte der salomonischen Vokabel vom "Befreiungsschlag", den der Verkauf der städtischen Wohnungen bedeute, etwas entgegen zu setzen. Nach seiner Erfahrung lande der Fußball dabei beim Gegner, und dann käme der "nächste Gegenschlag"... In der Logik dieses Vergleichs wäre also Salomon ein - lediglich etwas ungeschickter - Mitspieler der eigenen Mannschaft. Eindeutig fiel dagegen die Einschätzung des DKP-Mitglieds Guzzoni aus, der den von Privatisierungen schwärmenden Befürwortern des "freien Wohnungsmarktes" entgegenhielt: "Der sogenannte freie Wohnungsmarkt ist von Profitinteressen beherrscht."

Als letzter Redner sprach SPD-Gemeinderat Krögner, der es sich nicht nehmen ließ zu fordern: "Wir dürfen diese Entscheidung nicht Grünen, CDU und Freien Wählern überlassen!"

Ob die linken Gruppierungen aus dem KTS-Umfeld neben solchen von offensichtlichem Parteikalkül geprägten Reden überhaupt hätten auftreten wollen oder ob ihnen Redezeit zugestanden worden wäre, ist im Nachhinein schwer zu beurteilen. Wenig von konstruktiver Diskussion geprägt war doch der Konflikt der letzten Wochen um die Heuschrecken-Symbolik. Ein wenig ungeschickt, dafür aber mit heftigen Angriffen gespickt hatte ein - zufällig zusammengewürfeltes - Plenum in der KTS (einem autonomen Treffpunkt in Freiburg) bereits vor über vier Wochen einen "Offenen Brief" verfaßt und die Heuschrecken-Symbolik kritisiert. Darin wurde auf die Ähnlichkeit mit Nazi-Propaganda hingewiesen. Zudem erinnerten die daran, daß der jetzige Arbeitsminister Müntefering vor gut einem Jahr das Wort vom Heuschrecken-Kapitalismus aufgebracht hatte, um damit von jeglicher ernsthaften Kapitalismuskritik abzulenken. Trotz weiterer schriftlicher Kritik am Heuschrecken-Logo von der anarcho-kommunistischen Gruppen La Banda Vaga und der Freiburger Antifa, kam es allenfalls am "linken Rand" zu Diskussionen. Die BI wurde jedoch offenbar überhaupt nicht damit erreicht. Viele erkannten keine Aufforderung zur Diskussion, sondern sahen sich gar als Nazis verunglimpft. Und dies, obwohl von allen KritikerInnen bis kurz vor der Demo Toleranz bewiesen wurde und nicht einmal ein Verzicht auf das Heuschrecken-Logo gefordert worden war.

Ob nun zufällig oder ob - wie von nicht wenigen gemutmaßt - provokativ, setzte die BI dem Ganzen gewissermaßen die Krone auf, indem sie ein Aufruf-Flugblatt mit farbigem Titelbild veröffentlichte. Unter der Überschrift "Bürger wehrt euch!" ist darauf eine riesenhafte Heuschrecke zu sehen, die auf einem Lebkuchen mit den Umrissen Deutschlands sitzt. Die Freiburger Antifa zog deshalb ihren Demo-Aufruf öffentlich vor wenigen Tagen zurück. Manche in Freiburgs linker Szene scheinen darüber eher erfreut, denn besorgt.

 

Klaus Schramm

 

neuronales Netzwerk