16.05.2004

Nachruf

Zum Tod von Günter Gaus

"Wenn man alt genug geworden ist, um alle Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung des Menschen aufgegeben zu haben, dann bleibt einem als intellektuelle Anstrengung nur noch das Vergnügen, sich selber nichts mehr vorzumachen."

Dieser Satz von Günter Gaus beweist eine tiefe Resignation und zugleich eine enorme intellektuelle Kraft. Daß diese Gesellschaft einen so starken und hervorragenden Menschen in die Resignation treiben konnte, erfüllt mich mit noch größerem Schmerz als sein Tod.

Günter Gaus starb in der Nacht zum Samstag im Alter von 74 Jahren an Krebs. Jetzt, wo er sich nicht mehr wehren kann, werden PolitikerInnen aller Couleur ihn in ihren Nachrufen "würdigen" und die Tatsache übergehen, daß er nichts von ihnen hielt.

Günter Gaus war - aus welchen Motiven auch immer - an der Brandtschen Ostpolitik in wichtigen Positionen beteiligt. Er war Chefunterhändler zahlreicher Abkommen mit der DDR und ab 1973 erster Leiter der "Ständigen Vertretung in Berlin", einem Ersatz für eine Botschaft, die wegen der Vermeidung einer völkerrechtlichen Anerkennung der DDR nicht sein durfte. Auch von heute aus betrachtet ist die Brandtsche "Entspannungspolitik", wenn auch das Verhältnis zur DDR-Diktatur in der deutschen Linken (, zu der die SPD damals noch zählte,) auf vielerlei Weise ungeklärt war, einer der wenigen Lichtpunkte bundesrepublikanischer Nachkriegspolitik. Daß heute eine Feindin der Ostpolitik wie Gesine Schwan bei gleichzeitiger Tabuisierung des Themas Ostpolitik zur Präsidentschaftskandidatin der SPD werden kann, unterstreicht nur die heutige intellektuelle Beliebigkeit dieser Partei. Bereits 2001 hatte sich Gaus von seiner großen Liebe, der SPD, getrennt - wegen deren Unterwürfigkeits- Haltung nach den Terroranschlägen vom 11. September.

1929 in Braunschweig geboren, studierte Gaus Geschichte und Germanistik. Seit 1963 trat der engagierte Journalist und Publizist insbesondere mit seinen politischen Interviews hervor. Gaus volontierte bei der Badischen Zeitung, arbeitete bei der Süddeutschen Zeitung und von 1965 bis 1968 für Hörfunk und TV als Programmdirektor beim Südwestfunk. Und er soll maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, daß 1970 mit Rosemarie Bungert erstmals eine Frau in eine leitende Funktion beim SWF aufstieg.

1969 bis 1973 war Günter Gaus Chefredakteur beim 'spiegel', bevor ihn Willy Brandt für eine gestaltende politische Rolle in die damalige Bundeshauptstadt Bonn holte. Als "Hoffnungsträger" für viele DDR-Bürger mußte er enttäuschen, da damals nicht mehr als ein Status Quo erreicht werden konnte. Aber vielleicht war seine Arbeit ein Tröpfchen, das entscheidend war, daß es nicht zum atomaren dritten Weltkrieg gekommen ist. Und sicherlich hat er viele praktische Erleichterungen für die Bewohner der DDR erreichen können.

Der eingangs zitierte Satz stammt aus einem seiner letzten großen Texte für die Süddeutsche Zeitung, der am 23. August 2003 unter dem Titel 'Warum ich kein Demokrat mehr bin' erschien. Die darin formulierte Kritik mit Gaus' Resignation erklären zu wollen, würde allerdings Ursache und Wirkung verkehrten.

 

Adriana Ascoli

 

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