6.10.2003

Interview

Umsetzung von EU-Richtlinien:
Bleibt Europa gentechnikfrei?

Leif Allendorf sprach für die 'Junge Welt' mit Klaus Schramm, dem Initiator einer Unterschriftenaktion zur Beibehaltung des Moratoriums gegen Gentechnik

L.A.: Wann wird es die ersten Waren mit dem Etikett »Enthält Gentechnik« in unseren Lebensmittelregalen geben?

K.S.: Ich denke, daß Anfang nächsten Jahres mit den ersten Nahrungsmitteln dieser Art gerechnet werden muß.

Die EU-Kommission läßt den einzelnen Staaten auffällig viel Spielraum, wie die kürzlich erlassenen Richtlinien zu gentechnisch veränderten Pflanzen national umgesetzt werden...

Die Bestimmungen zur Kennzeichnung von Lebensmitteln sind gar nicht so schlecht. Wenn es allein darum ginge, genveränderte Nahrungsmittel mit entsprechender Auszeichnung in Europa zuzulassen, dann wäre das eine Sache, mit der man meiner Ansicht nach leben kann. Schlimm ist, daß künftig auch bei uns gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden sollen.

Hat die Klage bei der WTO gegen die Europäische Union darauf Einfluß?

Die Klage der USA, Argentiniens und Kanadas gegen die Kennzeichnungspflicht in der EU läuft unabhängig davon. Ich sehe eine Gefahr darin, daß die Verbraucher mit der Kennzeichnungsverordnung in Sicherheit gewiegt werden und glauben, diese sei ein tatsächlicher Schutz. Wenn aber der Anbau von Genpflanzen unter dem Deckmantel der Kennzeichnungspflicht erlaubt wird, dann wird es in Europa bald keine gentechnikfreie Landwirtschaft mehr geben. Denn die Koexistenz, also das Nebeneinander von Gentechnik und konventionellem Anbau, ist nichts als eine Illusion.

Ist es denkbar, daß auf Druck der WTO sogar die Kennzeichnungspflicht gekippt wird?

Da kann man zwei mögliche Szenarien durchspielen. Einmal: Das europaweite Gen-Moratorium fällt. Dann haben wir Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen und in zwei, drei Jahren, das ist meine Prognose, wird jede andere Landwirtschaft hier in Europa vernichtet sein. Und dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob es eine Kennzeichnungs- verordnung gibt oder nicht. Oder aber wir schaffen es, daß das Moratorium bestehen bleibt. Die Kennzeichnungsverordnung wäre obsolet, weil wir hier nichts hätten, was wir kennzeichnen müssen. Und Banken und Unternehmen würden aufhören, Geld in die Entwicklung von Gentechnik zu stecken. Monsanto macht ja schon seit einiger Zeit damit rote Zahlen. Vielleicht würde die Genindustrie weltweit zusammenbrechen.

Aber in den Vereinigten Staaten boomt doch die Gentechnik...

Landwirte, die dort auf Gentechnik gesetzt haben, überlegen bereits, sich wieder davon abzuwenden, weil sie ihre Produkte nicht loswerden. Die USA sind auf Export angewiesen, aber selbst Afrika hat den amerikanischen Gen-Weizen abgelehnt. China ist am Kippen. In Australien will zwar die Regierung Gentechnik einführen, aber die Bauern sind dort so stark, daß sie solche Importe verhindern konnten. Es steht überall auf der Welt auf der Kippe. Und deswegen schaut auch die ganze Welt auf Europa. Bleibt es da noch bei der Position gegen die »Grüne Gentechnik« oder geht es in die Richtung der USA?

Es gibt ja auch in Europa einen ersten Sündenfall: Den kommerziellen Anbau von gentechnisch verändertem Mais in Spanien. Wurden davon schon andere Felder in Mitleidenschaft gezogen?

Und wie! Dort haben Biolandwirte schon ihre Konzession verloren, weil deren Felder durch Pollenflug von Nachbarfeldern mit genmanipulierten Pflanzen kontaminiert wurden.

Wie ist es zu erklären, daß Bauern in Afrika bei Annahme einer US-Spende von Gen-Weizen in Abhängigkeit geraten können?

Normalerweise behalten Bauern, auch wenn sie Hilfslieferungen bekommen, einen Teil vom Weizen oder Mais zurück, um Saatgut fürs nächste Jahr zu haben. Das funktioniert nicht, wenn sie genmanipulierte Pflanzen anbauen, denn dann werden unweigerlich Lizenzgebühren fällig, und durch pestizidresistente Gen-Pflanzen werden sie von den Agro-Konzernen abhängig, die zugleich die Gen-Pflanzen und die dazu passenden Pestizide anbieten.

 

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