31.07.2004

Selbstmorde
auf dem Bauernhof

Der Kollaps der "Grünen Revolution"

Die schädliche Kombination von chemischen Einträgen mit wassergierigen Nutzpflanzen hat zu Verwüstungen in der indischen Landwirtschaft geführt

Auch dies schockt in Indien kaum noch. Berichte, nach denen 65 der 243 Bauern, die in der Region Vidharbha im Bundesstaat Maharashtras Selbstmord begingen, dies taten, weil sie geringfügige Schulden in Höhe von 8.000 Rupien hatten, konnten das Gewissen der sogenannten Größten Demokratie der Welt nicht wachrütteln. Daß Meena Prakash Rechpade, die Witwe des mit 36 Jahren gestorbenen Bauern Prakash aus dem Dorf Dhanori bei Wardha im Bundesstaat Maharashtra, kein Geld hat, um das Abschiedsritual für ihren Ehemanns zu bezahlen, der den tödlichen Ausweg wählte, um dem Elend der "Grünen Revolution" zu entgehen, fordert eine starke Reaktion heraus.

Im Bundesstaat Andhra Pradesh, nachdem Y. S. Rajasekhar Reddy vor rund drei Monaten neuer Ministerpräsident wurde, nahmen sich am 14. Mai mehr als 400 Bauern das Leben. Die war die offizielle Todesrate, die im Selbstmordregister bis einschließlich 15. Juli verzeichnet ist. Im Bundesstaat Karnataka hat der neue Ministerpräsident Dharam Singh keine Zeit für Bauern, die sich in Bedrängnis befinden. Er ist zu sehr mit dem Ausbalancieren des Gleichgewichts seiner Koalitionpolitik beschäftigt. Mehr als 300 Bauern nahmen sich das Leben in einem Bundesstaat, der für sich in Anspruch nimmt, auf dem besten Weg zu sein, die Konvergenz von Informationstechnologie und Biotechnologie zu realisieren. Der traurige Teil dieser Geschichte ist, daß die Mehrheit derer, die in den Tod gingen, verhältnismäßig jung war - weniger als 45 Jahre.

Im westlichen Teil des Bundesstaates Uttar Pradesh nahmen sich allein im Juli mehr als 14 Bauern das Leben. In den Bundesstaaten der sogenannten Agrarfront, im Punjab und in Haryana, ist die Situation nicht besser. Ministerpräsident Amarinder Singh hat selbst (bevor er gewählt wurde) eine Rekordzahl genannt als er sagte, nahezu 2.000 Bauern hätten in den vergangenen Jahren Selbstmord begangen.

Während sie die Dimension erahnen, die jenes von ihnen verordnete Blutbad auf den Bauernhöfen inzwischen erreicht hat, kommt bereits Unterstützung aus der Ecke, aus der sie zu erwarten ist, aus dem Bereich der Biotech-Industrie. Der US gesteuerte Internationale Aquisitionsdienst für agrar-biotechnische Anwendungen (ISAAA), der unermüdlich für genmanipuliertes Getreide und den Technologie- "Transfer" wirbt und der über Multi-Millionen-Fonds von Bayer, Cargill, Dow, Monsanto, Novartis, Pioneer und Syngenta verfügt und zu allem Überfluß von Stiftungen und den Finanzierungsagenturen westlicher Regierungen unterstützt wird, kollaboriert aufs geschäftigste mit der Föderation der Indischen Handels- und Industrie-Kammern (FICCI) und der Vereinigung der Indischen Industrie (CII), die besessen sind von der Vision eines Indien als einem einzigen großen Gentechnik-Valley.

Technologische Nebenwirkungen

All dies geschieht zu einer Zeit, in der Technologien, die hochgradig auf der Chemie basieren, bereits die Böden verseucht haben und ultimativ zu Landstrichen beitragen, die um Atem ringen und wo wassergierige Nutzpflanzen wie Hybridsorten und Bt-Baumwolle das Grundwasser heraussaugen, und bei gleichzeitigem Unvermögen des Marktes, die Bauern vor dem Kollaps der landwirtschaftichen Systems zu bewahren. Die Tragödie ist, daß die menschlichen Kosten ausschließlich von den Bauern getragen werden.

In all diesen Jahren sind die trockenen Landstriche Indiens, die fast 75 Prozent der gesamten kultivierbaren Fläche umfassen, in zunehmendem Maße vom Spektrum der hybriden Nutzpflanzen in Beschlag genommen worden. Während die Ernteeerträge der hybriden Sorten unbestreitbar hoch waren, wurde die Schlagseite dieser Sorten - es handelt sich um äußerst wassergierige - sehr bequem ignoriert. Um des Vergleiches willen lassen Sie uns Reis als Beispiel betrachten. Im Punjab und in Haryana kultivieren die Bauern ertragreiche Reissorten. Diese Sorten beanspruchen ungefähr 3000 Liter Wasser, um ein Kilo Reis-Körner zu produzieren. Anstatt nun Sorten einzuführen, die weniger Wasser in den trockenen Landstrichen mit ihren wasserdefizitären Gebieten beanspruchen, wurde hybride Reissorten propagiert mit einem Wasserbedarf, der 5000 Liter pro Kilo Ertrag übersteigt.

Nicht nur Reis-Hybride, alle Hybrid-Sorten, ob Sorghum, Mais, Baumwolle, Bajra oder Gemüse, wurden in den trockenen Landstrichen propagiert. Zusätzlich haben Agrar-Wissenschaftler die Bauern damit irregeführt, indem sie sagten, die trockenen Landstriche seien hungrig nach chemischen Düngemitteln. Die schädliche Kombination von chemischen Eingängen mit wassergierigen Nutzpflanzen hat zur Verwüstung der trockenen Landstriche geführt, indem sie die Felder nicht nur weiterhin unproduktiv, sondern nunmehr unfruchtbar hinterläßt. Das Grundwasserlevel sank ab, die Auswirkungen des unzulänglichen Niederschlags wurden verstärkt und zwangen die Bauern zur Aufgabe der Landwirtschaft und zum Abwandern. Und als ob dieses nicht genug war, wurde die Bt-Baumwolle, die mehr Wasser als hybride Baumwoll-Sorten erfordert, bewußt propagiert, um so der Saatgut-Industrie zu erlauben, Profite zu machen. Welche Folgen die Bauern infolgedessen zu Tragen hatte, interessiert niemanden. Und hat niemanden je interessiert.

Düngemittel und Pestizide wurden auf aggressive Weise propagiert und zugleich mit sehr großen Beihilfen, die als Almosen verteilt wurden, die Düngemittelfirmen flott gehalten, ohne die resultierende Verwüstung zu realisieren, die diese chemischen Eingänge auf die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft haben. In keinem Stadium der Entwicklung verlangten die Wissenschaftler eine Korrektur, um das Ungleichgewicht zu reduzieren, das durch übermäßige Anwendung der Chemikalien verursacht wurde.

Eine zweite "Grüne Revolution"?

Anstatt aus dem Debakel der "Grünen Revolution" zu lernen, wurden dieselbe Brut von Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern gebeten, eine Lösung der vorliegenden landwirtschaftlichen Krise zu liefern. Kein Wunder, eine zweite "Grünen Revolution", die auf Agrarwirtschaft und Biotechnologie herumreitet, wurde zum neuen Mantra, mit dem die bäuerliche Gemeinschaft aus der rasenden Krise der Bauernhöfe herausgeführt werden soll. Merkwürdiger Weise ist Indien bereits in die zweite Phase der "Grünen Revolution" hinein gesprungen, ohne zuerst einmal eine Bilanz der ersten Phase der technologischen Ära gezogen zu haben. Eine solcher Ansatz wird die Krise nur verschlimmern und noch mehr Bauer in den Selbstmord treiben oder sie dazu zwingen, ihre Bauernhöfe zu verlassen. Und in der Folge wird Indien Zeuge der schlimmsten Umweltzerstörung, die die Welt je gesehen hat und diese wird sich auf dem Gebiet der Landwirtschaft abspielen.

 

Devinder Sharma
(Übersetzung: Christian Semmler)

 

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