7.03.2005

Nachruf

Gladys Marín ist tot

Chilenische KP-Vorsitzende erhält Staatsbegräbnis

Es ist bitter, daß diese Frau vor Pinochet sterben mußte. Und es ist bitter, daß sie nach vielen Niederlagen in ihrem Leben nun mit nur 63 Jahren einem Gehirntumor erlag. Und ein wenig bitter ist es auch, mit ansehen zu müssen, daß eine sich als sozialistisch ausgebende Regierung, die nicht einmal als sozialdemokratisch durchgehen kann, diese Frau nun mit einem Staatsbegräbnis "ehrt" und damit ihre widersprüchliche Geschichte verstaatlicht und entsorgt.

Gladys Marín hatte bis zuletzt gegen Pinochet und dessen hierzulande wenig bekanntes, politisches Erbe in Chile gekämpft. In den Mainstream-Medien wird Chile seit dem Abtritt von Pinochet und den selbst nach westlichen Maßstäben zaghaften Demokratisierungs- Fortschritten als Musterland gefeiert. Tatsächlich wurde Chile bereits unter Pinochet und den Chicago-Boys als Versuchs-Labor für die später weltweit exerzierte neoliberale Wirtschaftspolitk mißbraucht und diese vorrangig US-Interessen dienende Wirtschaftspolitik wurde fast nahtlos unter den seit 1990 nachfolgenden wie auch immer gefärbten zivilen Regierungen fortgesetzt.

Die heutige Regierung unter dem als "sozialistisch" firmierenden Präsidenten Lagos ergänzte die bisherige Wirtschaftspolitik gar um ein Freihandelsabkommen mit den USA. Und obwohl nach der von 1973 bis 1990 dauernden Militärdiktatur unter General Augusto Pinochet formal eine parlamentarische Demokratie installiert wurde, ist bis heute die unter Pinochet gezimmerte Verfassung und die darin festgeschriebene "Concertación" in Kraft, eine Art General-Persilschein für die Militärs in ihren blutbefleckten Uniformen.

Geboren wurde Gladys 1942 in einer Unterschicht-Familie im Süden Chiles. Noch als sie ein Kind war zog ihre Familie in die Hauptstadt Santiago. In ihrer offiziellen Biographie heißt es, sie habe sich schon als Schülerin politisch betätigt und in der kommunistischen Bewegung engagiert. 1958 trat sie, damals noch Lehramtsstudentin, in den Kommunistischen Jugendverband Chiles ein. Mit 23 Jahren wurde sie für die KP Chiles ins Parlament gewählt. Sie konnte diesen Erfolg zweimal wiederholen. Sie unterstützte die hauptsächlich von der sozialistischen Partei des dann am 4.09.1970 zum Präsidenten gewählten Salvador Allende und der kommunistischen Partei getragene "Unidad Popular".

Nach dem Militärputsch am 11.09.1973 flüchtete Galdys Marín in die niederländische Botschaft. Sie stand auf der Todesliste Pinochets unter den ersten Hundert. Weder die Botschaft der DDR noch die Botschaft der UdSSR nahmen zunächst Flüchtlinge auf, da einer Solidarität mit dem ungeliebten demokratisch-sozialistischen Experiment Allendes kein Gewicht gegenüber den Interessen am chilenischen Kupfer beigemessen wurde. Erst eine Welle der internationalen Solidarität führte zu einem Kurswechsel des Ostblocks. Die Flucht Maríns führte über die Niederlande zunächst nach Moskau und dann nach Costa Rica. Weder ihrem Mann, noch ihren beiden Söhnen gelang die Flucht. Ihr Mann wurde zusammen mit führenden VertreterInnen der KP Chiles von der Militär-Junta gefangen genommen und vermutlich ermordet. Seine letzten Spuren führen in die berüchtigte Deutschensiedlung "Colonia Dignidad".

1978 konnte Glady Marín heimlich nach Chile gelangen und ihre Kinder wiedersehen. Sie beteiligte sich am bewaffneten Widerstand gegen die Diktatur und konnte ihre Kinder, die bei einer befreundeten Familie untergebracht sind, nur selten sehen. Erst 1987 wurde ein längeres Wiedersehen möglich als sie bei einer Reise nach Argentinien zusammen kamen.

Ab 1989 trat sie wieder offen in Chile für die Kommunistische Partei auf. 1994 wurde sie als erste Frau zur Gneralsekretärin der KP Chiles gewählt, 2002 auch zu deren Vorsitzenden. Die Kommunistische Partei hielt sich nicht an die von den bürgerlichen Parteien getroffene Abmachung, daß Pinochet neben einer formellen Immunität von jeglicher Rechenschaft für seine Verbrechen freigestellt bleiben soll. 1998 strengte die KP Chiles vor Gericht einen Prozeß gegen Pinochet an.1 Immer mehr beschäftigten sich die ChilenInnen in den vergangenen Jahren mit den Verbrechen zwischen 1973 und 1990. Dies ist nicht zuletzt dem unermüdlichen Einsatz von Gladys Marín zu verdanken.

Erste Zeichen ihrer Krebserkrankung zeigten sich ab 2003. Marín unterzog sich Operationen in Schweden und auf Kuba. Doch nach eineinhalb Jahren unterlag sie in ihrem letzten Kampf und starb gestern, am 6. März im Kreis enger FreundInnen und Familienangehörigen.

Die chilenische Regierung ordnete eine zweitägige Staatstrauer an. Präsident Ricardo Lagos sprach höchstpersönlich den Verwandten und Genossen sein Beileid aus. Ob Gladys Marín je für die Demokratie gekämpft hat, ist in Anbetracht ihrer bis zu letzt hermetisch aufrechterhaltenen Idolisierung des "realexistierenden Sozialismus" zumindest fraglich. Wenn ausgerechnet jetzt Präsident Ricardo Lagos erklärt, Gladys Marín habe "für unsere heutige Demokratie gekämpft", ist dies ein denkbar schlechtes Leumunds-Zeugnis.

Völlig gruselig wurde es, als Chiles Präsident Lagos am Sonntag mit den Trauernden zusammen die "Internationale" sang.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel

      Wird Pinochet nun doch der Prozeß gemacht?
      Für Chiles Ex-Diktator wird es eng (5.01.05)

      11. September vor 30 Jahren (11.09.03)

 

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