15.07.2004

Schwede spricht über Folter
auf Guantánamo

Schwere Foltervorwürfe gegen die US-amerikanischen Bewacher im Gefangenenlager Guantánamo erhebt ein 25-jähriger. Der Mann war selber zweieinhalb Jahre, 908 Tage, in Guantánamo gefangen. Am 8. Juli war er auf Druck der schwedischen Regierung aus der Lagerhaft freigelassen worden Die US-Regierung weist die Anschuldigungen zurück. Doch mit seinem Urteil, nach dem die Guantánamo-Häftlinge vor amerikanischen Gerichten gegen ihre Inhaftierung klagen können, hat der Oberste Gerichtshof der USA der Regierung von Präsident George W. Bush eine empfindliche Niederlage zugefügt.

Mehdi Ghezali, Sohn einer Finnin und eines Algeriers, berichtet in Schwedens größter Tageszeitung 'Dagens Nyheter' (14.07.) und in einem Rundfunkinterview von extremen Quälereien, die ihm während seiner Lagerhaft zugefügt worden seien. Als psychische Folter bezeichnete der schwedische Staatsbürger die komplette Isolation - er wußte nicht, wo er sich befand - über zweieinhalb Jahre ohne Anklage sowie ohne Briefkontakte oder das geringste Wissen um Ereignisse in der Außenwelt einschließlich der Zeit.

Bei seinen Vernehmungen sei er in einem dafür eingerichteten Raum über Stunden hinweg frostiger Kälte ausgesetzt worden. Seine Peiniger hätten ihn außerdem mit dauerhaftem Schlafentzug, ununterbrochener starker Beschallung und Schmerzen erzeugenden Fesselungen gequält. So sei er unter anderem während eines Verhörs rund 14 Stunden angekettet eisiger Kälte ausgesetzt gewesen. Auch habe eine Wächterin ihn als streng gläubigen Moslem sexuell zu demütigen versucht.

"Sie haben mich in ein Vernehmungszimmer gesetzt und haben diesen als Kühlschrank benutzt. Sie haben die Temperatur auf Minusgrade geschaltet, so daß es schrecklich kalt wurde, und man dort mehrere Stunden lang frieren mußte - zwölf bis 14 Stunden mußte man dort ausharren -, angekettet", berichtete Ghezali. "Ich wurde ständig von Zelle zu Zelle geschleppt. Immer wieder Verhöre.".

"Sie haben mich auf den Boden gezwungen mit gefesselten Füßen. Dann haben sie mir die Handfesseln abgenommen, haben mir die Arme unter den Beinen durchgezogen und die Hände erneut gefesselt. Ich konnte mich nicht mehr rühren." Nach einigen Stunden in dieser Zwangshaltung seien die Füße angeschwollen, die Schmerzen hätten seinen ganzen Körper durchzogen. "Am schlimmsten waren sie im Rücken und an den Beinen." Schlechte Zähne und ein gefühlloser Fuß seien allerdings die einzigen physischen Nachwirkungen, die zurückgeblieben seien; sonst gehe es ihm gut. In der Dunkelhaft hätten die Aufseher ihn mit grellen Lichtblitzen erschreckt, durch ständigen Zellenwechsel und Dauerbeschallung sei er systematisch am Schlafen gehindert worden. Vergleichbare Praktiken amerikanischer Soldatinnen und Soldaten, die aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib berichtet wurden, hatten erst kürzlich weltweit Schlagzeilen gemacht.

Ghezali hatte sich nach eigenen Angaben seit August 2001 zu Islam-Studien in Pakistan aufgehalten. Von dem amerikanischen Angriff auf Afghanistan sei er bei einem Besuch in der afghanischen Stadt Dschalalabad überrascht worden. Pakistanische Dorfbewohner hätten ihn bei der Rückkehr aufgegriffen und an die pakistanische Polizei verkauft, wie das damals viele Pakistaner gemacht hätten. Die Polizei habe ihn der US-Armee übergeben. Über Afghanistan sei er dann nach Guantánamo auf Kuba gebracht worden. Die USA hatten nach dem Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan zahlreiche mutmaßliche Kämpfer als sogenannte "irreguläre Kombattanten" unter Umgehung der Genfer Konvention auf den US-Stützpunkt Guantánamo Bay ausgeflogen. Gegenüber der Weltöffentlichkeit wurde dies mit deren mutmaßlicher Gefährlichkeit, angeblichen Beziehungen zu Al Qaida oder Osama bin Laden begründet.

Bei den ersten Vernehmungen habe er noch alle Fragen wahrheitsgemäß und bereitwillig beantwortet. Als ihm jedoch immer wieder von den US-Bewachern die gleichen Fragen gestellt worden seien, habe er geschwiegen. Nach zwei Jahren im Lager hätten die Bewacher von April diesen Jahres an den Druck auf ihn verschärft.

Die schwedische Außenministerin Laila Freivalds sagte im schwedischen Rundfunk, wenn die Vorwürfe sich bestätigten, bedeuteten sie, daß die USA gegen internationales Recht verstoßen hätten: "Das ist völlig unakzeptabel." Der Sprecher des US-Außenministeriums, Richard Boucher, sagte in Washington: "Vertreter der schwedischen Regierung haben Guantánamo mehrfach besucht und uns gegenüber keine Vorwürfe wegen Mißhandlung erhoben." Die schwedische Staatsanwaltschaft beschloß am Dienstag, keine Voruntersuchung gegen Ghezali einzuleiten, da der Staatsanwalt keine Anhaltspunkte für verbrecherische Handlungen finden konnte. Das habe er auch den US-Amerikanern gesagt, bekräftigte Ghezali gegenüber 'Dagens Nyheter': "Ich bin nicht kriminell". Doch nach Drohbriefen schwedischer Rassisten mußte Mehdi Ghezali vorerst vom schwedischen Staat an einem geheimen Ort untergebracht werden.

 

Adriana Ascoli

 

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