13.09.2008

6000 Menschen
gegen die Kohlekraftwerkspläne
Staudinger in Hessen
und Jänschwalde in Brandenburg

Widerstand auch in Karlsruhe

Bei den bislang größten bundesweiten Protesten gegen neue Kohlekraftwerke demonstrierten heute (Samstag) 6000 Menschen an den Kohlekraftwerken Staudinger in Hessen und Jänschwalde in Brandenburg. Unter dem Motto "Klima schützen - Kohle stoppen!" protestierten die TeilnehmerInnen gegen die deutschen Pläne für den Neubau von Kohlekraftwerken an über dreißig Standorten.

geplante Kohlekraftwerke

Der Strom-Konzern E.on plant am Standort Staudinger einen sechsten Kraftwerksblock mit einer Leistung von 1.100 MW, der 6,2 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ausstoßen würde. "Das ist mehr als dreimal soviel wie der gesamte Straßenverkehr in Frankfurt," sagte Winfried Schwab-Posselt von der Bürgerinitiative 'Stopp Staudinger'.

E.on argumentiert, daß der neue Block wegen der Abschaltung dreier älterer Blöcke notwendig sei und die Kohlendioxid-Emission verringern würde. "Das ist schlicht und einfach falsch," meint Schwab-Posselt. Block 2 sei nämlich schon nicht mehr am Netz, und die Blöcke 1 und 3 liefen nur sporadisch. "Durch den viel größeren Block 6 würde die Kohlendioxid-Emission fast doppelt so hoch ausfallen." Mit einem Wirkungsgrad von 46 Prozent sei der geplante Kohlekraftwerks-Block zwar auf dem Stand der Technik - im Vergleich zu anderen Formen der Strom-Erzeugung allerdings sehr ineffizient. Gaskraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung können einen Wirkungsgrad von 95 Prozent erreichen.

Am Standort Jänschwalde bei Cottbus kommt zur Klima-Problematik die ungeheure Landschaftszerstörung infolge des Braunkohle- Tagebaus hinzu. Der dort tätige Strom-Konzern Vattenfall, neben RWE, E.on und EnBW einer der Großen Vier, die den deutschen Strommarkt beherrschen, vernichtet skrupellos die Reservate vieler vom Aussterben bedrohter Arten wie beispielsweise der Rotbauchunke. In Bandenburg soll nun am 10. Oktober ein Volksbegehren gegen die von Vattenfall angestrebte weitere Ausbreitung des Braunkohletagebaus stattfinden. Für einen Erfolg müssen binnen vier Monaten mindestens 80.000 wahlberechtigte BrandenburgerInnen bei den Meldestellen unterschreiben. Lehnt der Landtag ein erfolgreiches Volksbegehren ab, kommt es zum Volksentscheid.

"In den vergangenen Monaten haben Bürgerinnen und Bürger bereits sechs geplante Kohlekraftwerke verhindert," sagte der Publizist und Solarenergie-Förderer Franz Alt auf der Anti-Staudinger-Demo in Hanau. "In Zeiten des Klimawandels können wir uns ineffiziente und klimaschädliche Großanlagen nicht mehr erlauben. Eine zukunftsfähige Energieerzeugung muß hocheffizient sein und vor allem auf erneuerbaren Energien beruhen. Die Energiewende ist technisch schon heute möglich - woran es mangelt, ist der politische Wille," betonte Franz Alt.

Der Protest gegen neue Kohlekraftwerke wird immer stärker," so der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. "Derzeit sind in Deutschland über 30 Kohlekraftwerke in Planung beziehungsweise im Bau. Die Politik darf nicht länger den Ausbau der Kohlekraftwerke unterstützen und damit die eigenen Klimaziele unterlaufen." Der Umweltverband setzt sich für ein sofortiges Kohle-Moratorium ein.

Sogenannte Klimazeugen aus Ländern, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind, unterstrichen die Notwendigkeit, jetzt zu handeln. "Der Bau neuer Kohlekraftwerke läuft allen weltweiten Bemühungen zum Klimaschutz zuwider. Die falsche Energiepolitik in den Industrieländern zerstört schon heute die Lebensgrundlagen in unseren Ländern. Neue Kohlekraftwerke in Deutschland würden die Lage der Menschen in vielen Teilen der Welt weiter verschlimmern. Deutschland muß deshalb konsequenter als bisher seine Verantwortung für den Klimawandel übernehmen - darum sind wir hier!" erläuterte die "Klimazeugin" Nurzat Abdyrosulova aus Kirgisien ihre Teilnahme an der Demonstration.

"Die beiden Demonstrationen machen die neue Qualität des Widerstands gegen Kohlekraftwerke deutlich. Lokal gibt es schon lange Protest, dieser ist nun bundesweit angekommen," sagte Pfarrer Berndt von der Gemeinde Guben auf der Kundgebung in Jänschwalde. Die von der Ausweitung der Braunkohletagebaue betroffenen Dörfer in der Lausitz (im Süden Brandenburgs) liegen in seinem Gemeindegebiet.

Auch in Karlsruhe regt sich Widerstand. Immer mehr Menschen engagieren sich gegen ein Kohlekraftwerksprojekt der EnBW. Provokativ begann der Konzern den Bau schon vor der Grundsteinlegung nur mit einer Ausnahmegenehmigung. Obwohl Ende September im Petitionsausschuß des baden-württembergischen Landtages über Einsprüche gegen das neue EnBW-Kohlekraftwerk in Karlsruhe entschieden werden soll, versucht der Atom- und Kohlestrom-Konzern Fakten zu schaffen. Daraus spricht eine deutliche Mißachtung auch noch so rudimentärer Ansätze von Demokratie.

Der Schornstein im Karlsruher Hafen wächst bereits in den Himmel. 230 Meter hoch soll er werden. Sollte die wasserrechtliche Genehmigung nicht erteilt werden, ist der Konzern verpflichtet, den Bau wieder abzureißen. Doch traditionsgemäß weiß sich EnBW in Stuttgart auf ein Heer von Lobbyisten, Leihbeamten, Lohnschreiberlingen und luxusverwöhnten PolitikerInnen zu verlassen. PolitikerInnen sämtlicher Couleur haben im Stuttgarter Landtag bereits ihr Einverständnis zu den EnBW-Plänen signalisiert.

Von den BehördenvertreterInnen weiß die Bevölkerung im Raum Karlsruher mittlerweile, was sie zu halten hat: Auf Fragen aus dem Publikum reagierten sie arrogant und ließen die "kleinen Leute" wissen, wie irrelevant ihre Sorgen seien. Das Kraftwerk unterschreite die Schadstoffgrenzwerte so deutlich, daß daneben noch ein zweites genehmigt werden könnte.

Das von EnBW vorangetrieben Kraftwerksprojekt würde ebenfalls rund 6 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ausstoßen. Das Aktionsbündnis 'Saubere Luft Region Karlsruhe' kritisiert: "Der EnBW ist die Gesundheit der Bevölkerung genauso egal wie der Kampf gegen die Erderwärmung, solange nur die Rendite stimmt." Umwelt- und ÄrtzInnen-Verbände kämpfen gegen die EnBW-Pläne an, zumal die Feinstaubbelastung durch mehrere Kraftwerke am Rhein nahe Karlsruhe die Gesundheit von Mensch und Natur bereits erheblich belastet.

Vor rund zwei Jahren begann die Klimaproblematik plötzlich wieder eine breite Öffentlichkeit zu beschäftigen. So ist mittlerweile die Sensibilität in Hinblick auf Kraftwerksprojekte schlagartig gewachsen. Auch wenn die Petition im Landtag voraussichtlich erfolglos bleiben wird, werden sich immer mehr Menschen in Karlsruhe und in den anderen bedrohten Regionen nicht entmutigen lassen.

Der Bürgerentscheid von Ensdorf im Saarland (Siehe unseren Artikel vom 26.11.07) gilt mittlerweile als Startschuß für eine neue Klimaschutz-Bewegung. Seitdem konnten Kohlekraftwerkspläne in Köln, Bremen, Kiel, Bielefeld, Herne, Krefeld und Quierschied gestoppt werden.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Neues Mainzer Kohlekraftwerk stößt auf Ablehnung
      Wiesbadener Stadtparlament votiert dagegen (18.03.08)

      Klima-Protest in Karlsruhe
      Robin-Wood-Aktion gegen Ausbau des EnBW-Kohlekraftwerks
      (25.02.08)

      BI gegen neues Kohlekraftwerk in Lubmin
      BürgerInnen kämpfen für Klimaschutz (13.02.08)

      7 Kohlekraftwerke in 6 Monaten verhindert
      BürgerInnen kämpfen für Klimaschutz (7.02.08)

      Deutsche nehmen Klimaschutz ernst
      70 Prozent befürworten Erneuerbare Energien vor Ort (20.12.07)

      Neues Kohlekraftwerk scheitert an Widerstand der BürgerInnen
      RWE im saarländischen Ensdorf gestoppt (26.11.07)

      Kabinettsklausur in Schloß Meseberg
      Ein Gipfel an Klima-Heuchelei (25.08.07)

      Erneuerbare Energien
      mit gebremstem Wachstum (8.07.07)

      Anstieg beim Kohlendioxidausstoß
      Seit Jahren nur leere Versprechen (2.04.07)

 

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