24.02.2004

Der legale Terror

Pentagon-Studie: Umweltzerstörung könnte noch die heutige Generation töten

Seit rund 30 Jahren warnen sowohl UmweltschützerInnen, als auch WissenschaftlerInnen verzweifelt vor der nahenden Klimakatastrophe und fordern ein Umdenken in den Industriestaaten. Doch bislang erwiesen sich ihre Warnungen vor einem ökologischen Kollaps als wenig wirkungsvoll. Zwar wird die Existenz der Klimaveränderung inzwischen allgemein anerkannt. Die erforderlichen radikalen Lösungen unterbleiben dagegen. So verweigert die Bush-Administration nach wie vor die Unterschrift unter das Kyoto-Protokoll zur Absenkung des CO2-Ausstoßes, nachdem bereits die Regierung Clinton keine nennenswerten Schritte zu dessen Umsetzung unternommen hatte. Anders scheint dies inzwischen im Verteidigungsministerium gesehen zu werden. Zumindest berichtet die britische Tageszeitung 'Observer' jetzt von einem internen Papier, in dem die Umweltzerstörung als die derzeit größte globale Gefahr bezeichnet wird, ohne deren Lösung die Menschheit ernsthaft um ihren Fortbestand fürchten muß.

Dabei sprechen die AutorInnen der Studie die Dinge so klar und ungeschminkt aus, wie dies bei amerikanischen Studien erfreulicherweise üblich ist. Demnach ist die ökologische Katastrophe kein fernes Zukunftsszenario mehr, sondern steht unmittelbar vor der Tür. Bereits um das Jahr 2020 herum dürfte sich das Wetter bei einer Fortsetzung der heutigen Entwicklung vollständig ins Extreme verändert haben. Großbritannien würde von sibirischen Wintern heimgesucht, Küstengebiete wie die Niederlande und Kalifornien durch Stürme und Fluten weitgehend unbewohnbar sein. Das teilweise eingedeichte Holland wäre laut Pentagon-Studie bereits ab 2007 von solchen Entwicklungen betroffen. Die Verwerfungen - extreme Stürme und Überschwemmungen auf der einen, ein "katastrophaler" Energie- und Wassermangel auf der anderen Seite - würden zu Wanderungsbewegungen in ungeahntem Ausmaß führen, gegen die sich die USA und Europa nur noch mit militärischer Abschottung zur Wehr setzen könnten. Zudem dürften ebenfalls um 2020 massive Kriege um die verbliebenen Ressourcen ausbrechen, bei denen der Einsatz atomarer Waffen wahrscheinlich sei. Besonders drastisch wird sich demnach der baldige Kollaps des Golfstroms auf das europäische Klima auswirken.

Nach Ansicht der Autoren müssen die Klimaveränderungen "umgehend" zum zentralen Thema sowohl der Politik, als auch der Armee werden. Unmittelbare Forderungen für eine Veränderung der Politik im Sinne einer ökologischen Wende scheint die Studie nicht zu enthalten. Allerdings ist dies auch nicht ihre Aufgabe, soll sie doch die Militärstrategie der USA beraten. Dem 'Observer' zu Folge wurde die Untersuchung von CIA-Experten und Unternehmensberatern erstellt, die in der Vergangenheit offenbar als Denkfabrik für das Thema Klimawandel eingerichtet worden ist. Leiter soll der inzwischen 82jährige Andrew Marshall sein, der seit 30 Jahren Zukunftsprognosen anhand der Analyse der aktuellen Entwicklungen erstellt. Beteiligt war unter anderen Peter Schwartz, CIA-Berater und ehemaliger Planungschef mehrerer transnationaler Konzerne. Wie das Schriftstück in die Öffentlichkeit gelangen konnte, ist unklar. Angeblich soll es Verteidigungsminister Rumsfeld bereits seit vier Monaten vorliegen.

Die Studie scheint nicht darauf ausgerichtet zu sein, eine Veränderung der Umweltpolitik herbeizuführen. Vielmehr sollen sich die USA militärisch auf Verteilungskriege vorbereiten, die als unabwendbar eingeschätzt werden. So werden die militärischen Folgen der Klimaveränderung besonders herausgestellt und etwa der Totalverlust der Stadt Den Haag eher nebensächlich erwähnt.

Welche konkreten Auswirkungen die Studie haben wird, ist derzeit noch völlig offen. Bislang war es die erklärte Politik der Bush-Administration, dem Wirtschaftswachstum Vorrang einzuräumen. So machte Washington nach 2000 beispielsweise den Weg für die Erschließung neuer Ölquellen und einen vermehrten CO2-Ausstoß der Industrie frei. Doch die USA sind hier keine Ausnahme. In ihrem Verkehrswegeplan präferiert die "rot-grüne" Bundesregierung die Ausweitung des extrem klimaschädlichen Flugverkehrs und die Förderung des Autoverkehrs gegenüber Bahn und Öffentlichem Personennahverkehr. In China ist sich die Regierung des Problems zwar inzwischen bewußt und investiert umfangreich in den Umweltschutz. Doch können diese Maßnahmen mit dem rasanten Wachstum der Industrie kaum Schritt halten.

Derweil fordert auch die deutsche Industrie weitere Lockerungen im Klimaschutz. So will das deutsche Kapital seine CO2-Mengen nicht, wie bislang versprochen, bis 2012 um 45 Millionen Tonnen gegenüber 1998 verringern, sondern noch um 50 Millionen Tonnen steigern.

Bestätigt wird die Studie durch Berechnungen des russischen Militärs, das sich ebenfalls mit dem Klimawandel beschäftigt. Die Internet-Zeitung russland.ru zitiert eine nicht näher beschriebene Computersimulation der weiteren Klimaveränderung. Demnach müßten weite Teile des Nordens aufgegeben werden. Ein geregelter Zugriff auf die natürlichen Ressourcen des Landes sei nicht mehr gewährleistet, was wiederum Zusammenbruchsszenarien für die Zentren des Landes nach sich zöge. Moskau und Petersburg würden unter der Last der Flüchtlingsströme zusammenbrechen.

Umgehend begrüßt wurde das Pentagon-Papier vom Bundesverband Erneuerbarer Energie (BEE). Dessen Präsident, Johannes Lackmann, sprach vom "Katastrophenpotential der Zukunft". Der Zeitdruck auf Öl, Kohle und Kernenergie steige, so Lackmann in einer ersten Reaktion. Der Vorsitzende des BDI-Energieausschusses, Werner Marnette, forderte dagegen eine deutsche Energiepolitik "aus einem Guß". Gegenwärtig sei diese "zu sehr" auf die Ökologie ausgerichtet, so der Lobbyist.

Nach Meinung von Rob Gueterbock von Greenpeace leugnet Bush den Klimawandel nach wie vor, während seine Planer im Pentagon ganz andere Szenarien entwerfen. Dies sei "sehr beunruhigend". Immerhin wird durch die Studie die Klimaveränderung nun nicht mehr als hypothetische Diskussion unter rein moralischen Gesichtspunkten betrachtet. Die Klimaveränderung wird vom Pentagon als massives Problem der nationalen Sicherheit bezeichnet. Vermutlich wird dies in der Zukunft als Begründung für eine weitere Militarisierung der US-amerikanischen und europäischen Außenpolitik dienen. Die Studie liefert jedoch auch Argumentations-Material gegen die auf reine Profitmaximierung ausgerichtete Industrie und das politische System, das ihr freie Hand läßt.

 

Martin Müller-Mertens

 

neuronales Netzwerk