1.06.2006

Interventionismus
oder Souveränität?

Wie die westlichen Demokratien mit dem Menschenrechts-, dem Demokratie- und dem Terrorismusargument die (energie-)wirtschaftlichen Interessen der Global Player mit diplomatischen und militärischen Mitteln durchsetzen.

Zusammenfassung

Interventionismus bedeutet die Einmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten: Einmischung in die Wirtschaftspolitik, das Einsetzen von neuen Regierungen, Krieg und Besatzung. Für die deutsche Politik dient die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" wieder zu den offiziellen Rechtfertigungen von Kriegen. Für fast alle Kriege der letzten Jahre lässt sich nachweisen, dass der Zugang zu den Erdöl- und Erdgasreserven zu den wesentlichen Kriegsgründen zählte. Von der Öffentlichkeit bislang kaum beachtet, haben Politik und Wirtschaft ein besonderes Augenmerk auf die Rohstoffe in Afrika gelegt. Offiziell gerechtfertigt werden konkrete Interventionen jedoch mit Gründen wie Terrorgefahr, Unterdrückung der Frau, Demokratiedefizite und schwere Menschenrechtsverletzungen.

Die Rechtfertigungen für die Interventionen können nicht überzeugen. Eine mögliche Rechtfertigung der neuen Rohstoffkriege mit dem Argument, Deutschland sei nun einmal abhängig vom Öl, scheitert daran, dass man vor dem Versiegen der Ölquellen ohnehin mit den erneuerbaren Energien auf eine andere Rohstoffbasis umsteigen muss.

Doch auch die vielfach diskutierte Rechtfertigung von Interventionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen ist wenig realitätstauglich. Dafür sprechen eine Reihe von Gründen:

  1. Den Führungseliten fehlt erfahrungsgemäß die Motivation zur Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen, sie verfolgen eine egoistische Interessenpolitik.
  2. Eine tatsächliche demokratische Kontrolle der Führungseliten im Vorfeld von Interventionen scheitert regelmäßig bereits daran, dass sich die Öffentlichkeit selbst unter Rückgriff auf vermeintlich unabhängige Menschenrechts? und Hilfsorganisationen kein realistisches Bild über die Menschenrechtslage und die sonstigen zu beachtenden Randbedingungen in einem fremden Land machen kann.
  3. Zudem kann die Förderung von Militär und Rüstungsindustrie eine gefährliche Eigendynamik entfalten.
  4. Schwerste Menschenrechtsverletzungen in starken Ländern wie den USA oder China können militärisch schlichtweg nicht bekämpft werden.
  5. Hinzu kommt, dass die wesentlichen weltweit begangenen Menschenrechtsverletzungen wegen knapper finanzieller Mittel und aus organisatorischen Gründen überhaupt nicht militärisch bekämpft werden könnten.
  6. Schließlich führen Kriege selbst zu schweren Menschenrechtsverletzungen.

Auch unterhalb der Schwelle des Militärischen sind Interventionen höchst problematisch. Demokratie bedeutet Selbstbestimmung, Souveränität. Interventionen aber stellen eine Einmischung von außen und somit eine Beschränkung der Selbstbestimmung der Völker dar. Es stellt sich die Frage, ob die Staaten tatsächlich mehr Einfluss nehmen dürfen als ihr eigenes Staats- und Wirtschaftsmodell anderen Völkern als Vorbild anzupreisen.

Nicht zuletzt ist auch zu bedenken, dass in Deutschland hoch offiziell zentrale wirtschaftspolitische Probleme wie Arbeitslosigkeit, soziale Sicherung und die Staatsfinanzen als völlig ungelöst gelten. Wie aber kommt dieses Land - ebenso wie andere Mächte - vor dem Hintergrund der eigenen ungelösten wirtschaftspolitischen Probleme dann auf die Idee, der Welt mit IWF, Weltbank, Entwicklungshilfe, Kriegen und Besatzungen unser defizitäres Wirtschaftssystem als das allein Heilbringende aufzwingen zu wollen?

1. Was heißt Interventionismus? - Einige Schlaglichter

Die wechselseitige Achtung der Souveränität der Völker bzw. Staaten ist einer der Grundsätze des internationalen Völkerrechts. Doch wie sieht es in der Praxis aus mit dem Selbstbestimmungsrecht der Staaten?

Intervention bedeutet zum Beispiel im nordost-afrikanischen Land Sudan1 Einmischung in die Wirtschaftspolitik des Landes. Der Website des Auswärtigen Amtes war bzw. ist zu entnehmen, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) "ein wirtschaftliches Reformprogramm zur Modernisierung und marktwirtschaftlichen Orientierung des Landes" durchsetzt. "Privatisierung, Liberalisierung und Diversifizierung der Wirtschaft sind Eckpfeiler der Reformstrategie (...)". Der Sudan befindet sich laut Auswärtigem Amt weitgehend "on track". "Sudan ist aufgefordert, (...) überproportional expandierende Sozialleistungen zu überdenken." Die Privatisierung staatlicher Unternehmen zeigt nach Auffassung des deutschen Ministeriums "erste Fortschritte". Wichtige Privatisierungskandidaten seien die staatliche Fluglinie Sudan Airways, die Bank of Khartum und der ausbauträchtige Transportsektor. "Sie könnten perspektivisch für Investoren von Interesse sein." Ein 1999 verabschiedetes Investitionsfördergesetz biete verstärkt steuerliche Anreize, Zollerleichterungen und Investitionsgarantien für ausländische Investoren. Seit Ende 2004 ist die Bundeswehr im Land.

Intervention bedeutet zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo2 die Einsetzung einer neuen Regierung, die vom Westen gewünschte wirtschaftliche Reformen durchsetzt. Auf der Website des Auswärtigen Amtes wurde bzw. wird unter anderem die "Einsetzung einer Übergangsregierung im Juli 2003" in Kongo als "entscheidende Etappe" in dem für die Sicherheit und Stabilität in Zentralafrika maßgeblichen Friedensprozess bezeichnet. Nach Einsetzung der Übergangsregierung seien die "wesentlichen willkürlichen Handelshindernisse innerhalb des Landes (z.B. Sperrung des Schiffsverkehrs auf dem Kongo in der Provinz Equateur, die von den Rebellengruppen eingerichtet worden waren)" größtenteils abgebaut worden. Weitere Forderungen des Auswärtigen Amtes: "Zunächst ist eine Bereinigung der Steuergesetzgebung und eine tatsächliche Eigentumsgarantie notwendig". Weiterhin verlangt die deutsche Bundesregierung: "Der Verabschiedung von Investitionsgesetz, Forstgesetz und Minengesetz muss noch deren jeweilige konkrete Umsetzung folgen."

Intervention bedeutet zum Beispiel am Horn von Afrika die Überwachung von Handelsschiffen. Ausgehend von einem Stützpunkt im ostafrikanischen Land Djibouti kontrolliert unter anderem die deutsche Marine die Meerenge zwischen dem Roten Meer und dem Indischen Ozean. Nach Angaben des deutschen Verteidigungsministeriums wurden dort bislang rund 20.000 Schiffe kontrolliert. Niemand kann ausschließen, dass mit Hilfe dieser Militärpräsenz in Zukunft Schiffe nicht nur kontrolliert werden. Genau so gut kann man den strategisch wichtigen Verkehrsweg für gegnerische Handelsflotten dicht machen.

Intervention bedeutete zum Beispiel in Somalia das Aufzwingen von Wirtschaftsreformen und einen nachträglichen Militäreinsatz. Nach Darstellung von Michel Chossudovsky konnte sich Somalia mit seinen Kleinbauern, Hirten und einer Tauschwirtschaft bis in die 1970er Jahre hinein praktisch selbst mit Nahrungsmitteln versorgen - trotz der wiederkehrenden Dürren. Die Privatisierung von Brunnen und Weideland und spätere Interventionen von IWF und Weltbank sollen die Selbstversorgung und den Staat zerstört sowie den Hunger herbeigeführt haben. 1993 kam es zu einer "humanitären" militärischen Intervention unter Beteiligung der Bundeswehr. Durch die mediale Begleitung dieses "Out-of-area"-Abenteuers wurde die deutsche Öffentlichkeit wieder an Auslandseinsätze der Armee gewöhnt. Intervention bedeutete zum Beispiel in Georgien und in der Ukraine die Unterstützung von Revolutionen. Mit der "Rosenrevolution" (Georgien) und der "orangen Revolution" (Ukraine)3 wurden - angeblich nur, um die Demokratie zu verbreiten - mit tatkräftiger westlicher Unterstützung Regierungen in zwei wichtigen GUS-Staaten ausgetauscht.

Intervention bedeutete zum Beispiel 1999 im ehemaligen Jugoslawien die Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges. Noch während des Dauerbombardements auf jugoslawische Städte und Dörfer wurde laut "German Foreign Policy" im Auswärtigen Amt der "Stabilitätspakt für Südosteuropa" entworfen. Darin habe das deutsche Ministerium "ausbaufähige Absatzmärkte, Investitionsstandorte" und "Anreize für internationale Unternehmenskooperation" auf dem Balkan gefordert. Seit Jahren müssen die Nachfolgestaaten Jugoslawiens nun bestimmte politische und wirtschaftspolitische Reformen durchführen und sollen dann schrittweise in die EU aufgenommen werden. Bezogen auf Serbien und Montenegro schreibt das Auswärtige Amt auf seiner Website: "Schon vor den Wahlen im Herbst 2000, die zum Sturz von Milosevic führten, unterstützte die Bundesregierung die serbischen Reformkräfte mit einer Vielzahl von Projekten, die gemeinsam mit der in rund 30 Städten und Gemeinden regierenden demokratischen Opposition und mit Vertretern der Zivilgesellschaft realisiert wurden (...). Nach der Abwahl Milosevics und der friedlichen Revolution wurde diese Unterstützung weiter geführt."

2. Interventionen für Öl und Gas - Neuauflage einer Interessenpolitik

Am 26. November 1992 erließ das Bundesministerium der Verteidigung unter Verteidigungsminister Volker Rühe die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" für die Bundeswehr. Diese Richtlinien stellten eine Wende dar von einer reinen Verteidigungsarmee hin zu Kriegseinsätzen im Ausland mit so genannten "Krisenreaktionskräften" (Absatz 45). Einer der Ausgangspunkte der Verteidigungspolitischen Richtlinien ist die Wahrung und Durchsetzung der "legitimen nationalen Interessen" Deutschlands (Absätze 2, 3 und 7). Hierzu zählt zum Beispiel die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt".

Und: "Einflussnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft" (Abs. 8, Nr 8 und 10).[1]

Die wirtschaftlichen Interessen an diplomatischen und militärischen Interventionen sind vielfältig. Selbstverständlich haben die Rüstungskonzerne ein Interesse daran, dass Kriege geführt werden. Krieg ist ein Bombengeschäft. Aus der unmittelbaren Sicht der Rüstungskonzerne ist es hierbei zunächst egal, wo Kriege geführt werden. Große Baukonzerne freuen sich über Aufträge für den Wiederaufbau der unmittelbar mutwillig zerstörten Infrastruktur. Für die global agierenden Konzerne insgesamt ist auch der Zugang zu neuen Märkten von Interesse. Auch hier ist prinzipiell der gesamte Globus von Interesse.

Die Kriegsschauplätze werden allerdings maßgeblich durch die Vorkommen der knapper werdenden Rohstoffe bestimmt. Die meisten Krisen- und Kriegsgebiete finden sich in der Nähe der Lagerstätten oder Transportwege von Erdöl und Erdgas. Hier einige Beispiele:

Besonders auffällig ist die regelrechte Wiederentdeckung Afrikas. Der Erdteil wurde noch vor wenigen Jahren in allen Publikationen als der "vergessene Kontinent" bezeichnet. Doch seit man in einigen Regionen Afrikas lukrative Erdöl-Lagerstätten fand, interessieren sich - noch weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit - die wirtschaftlichen und politischen Eliten plötzlich wieder massiv für den Kontinent. Im November 2005 fand zum Beispiel auf Einladung des ehemaligen IWF-Chefs und derzeitigen deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler auf dem Petersberg bei Bonn eine Afrika-Konferenz statt. Im Interview mit dem Bonner Generalanzeiger (8.11.2005) verwies Köhler auf das schwarze Gold: "(...) seit die Lage im Nahen Osten kritischer geworden ist, importiert der Westen zunehmend mehr Öl aus Afrika."

Zum Beispiel: Sudan

In Sudan konkurriert Deutschland mit mehreren asiatischen Staaten und möglicherweise auch mit Frankreich und den USA um den Zugang zum Öl. Die Zentralregierung des Landes hat Verträge mit asiatischen Unternehmen geschlossen. Das Öl aus dem Südsudan fließt per Pipeline über die Hauptstadt Khartum zur Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer. Von dort kann das Öl per Schiff nach Asien weiter transportiert werden. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die Meerenge zwischen dem Roten Meer und dem Indischen Ozean seit 2002 unter anderem von der deutschen Marine und US-amerikanischen Soldaten im so genannten Antiterror-Einsatz kontrolliert wird (Einsatz am Horn von Afrika). Ob es bei dieser Überwachung des Seeweges tatsächlich um Terroristen geht? Hält man sich hier möglicherweise die Option offen, diesen Seeweg bei Bedarf für asiatische Öltanker mit militärischen Mitteln abzuriegeln?

Deutschland unterstützt in Sudan die Rebellen des Südens, die mit der Zentralregierung jahrelang einen Bürgerkrieg um die Einnahmen aus dem Ölgeschäft führten. Im Januar 2005 kam es - nicht zuletzt auch aufgrund intensiven Drucks seitens der deutschen Bundesregierung - zu einem "Friedensvertrag", der den Rebellen die Macht im Süden des Landes und einen Anspruch auf die Hälfte der Einnahmen aus dem Ölgeschäft überträgt. Außerdem darf sich der Süden laut Vertrag sechs Jahre später in einem Referendum von Sudan abspalten und einen eigenen Staat bilden! Nach einer Abspaltung des Südens bliebe der Nordsudan ohne Zugang zum Öl. Ob das tatsächlich eine auf Frieden angelegte Lösung ist, darf bezweifelt werden. Die Bundeswehr möchte gut sechs Jahre im Land bleiben, um die Umsetzung des Vertrages zu überwachen.

Diese sechs Jahre bis zum geplanten Referendum für die offensichtlich beabsichtigte Teilung des Landes wollen deutsche Unternehmen nutzen, um für das Erdöl aus Südsudan einen anderen Transportweg zu errichten: Sie wollen eine neue Eisenbahnlinie von den Ölfeldern des Südsudan - unter Umgehung des Nordsudan - in das westlich orientierte Kenia bauen. Von der kenianischen Hafenstadt Mombasa soll das Öl dann per Schiff nach Deutschland und in andere westliche Staaten - statt nach Asien - transportiert werden. Soll die am Horn von Afrika seit Jahren stationierte deutsche Marine diesen Handelsweg in einigen Jahren schützen und gegebenenfalls in einem Seekrieg gegen konkurrierende asiatische Kriegsflotten verteidigen?

Zum Beispiel: Zentralafrika

Deutschland interessiert sich aber nicht nur für den Sudan, sondern für die gesamte Region "Zentralafrika". In seiner "Außenpolitischen Strategie zu Zentralafrika" verweist das Auswärtige Amt neben anderen knappen Rohstoffen auf die Ölvorkommen in Gabun, Kamerun, Republik Kongo, Äquatorialguinea, Tschad, sowie auf die Demokratische Republik Kongo (früher Zaire). In der Demokratischen Republik Kongo tobt laut Auswärtigem Amt ein "Krieg der Rohstoffe". Die Bundeswehr beteiligt sich dort am UN-Militäreinsatz MONUC.[2]

Zum Beispiel: Iran & Irak

Jenseits von Afrika war der Bezug zum Öl für die Öffentlichkeit oft klarer. Bei den beiden "Golfkriegen" gegen den Irak war weithin vom "Krieg ums Öl" die Rede. Auch bei den aktuellen Auseinandersetzungen mit Iran liegt ein Interesse am Öl auf der Hand.[3]

Zum Beispiel: Ex-Jugoslawien (westlicher Balkan)

Beim NATO-Krieg gegen Jugoslawien gibt es Hinweise dafür, dass unter anderem auch geostrategische Interessen eine Rolle gespielt haben können. "German Foreign Policy" verweist auf einen EU-Text, wonach "Energieverbindungen mit Südosteuropa und darüber hinaus mit dem Mittleren Osten und der Kaspischen Region" geschaffen werden sollen. Entsprechende Pipelineprojekte sollen die zukünftige Versorgung der europäischen Kernstaaten mit Rohstoffen aus Zentralasien und dem Iran sicherstellen. Die deutsche Energiewirtschaft sorgt bereits für einen Anschluss der Balkanländer an das europäische Strom- und Gasnetz nach deutschen Standards.

Die aktuellen Auseinandersetzungen um die Transportwege des Erdgases aus Russland zeigen einer breiteren Öffentlichkeit, wie sehr hinter den Kulissen bereits seit Jahren um eine so genannte "Diversifizierung" der Transportwege gefeilscht wird. Wer sich die Landkarte ansieht, kann leicht feststellen, dass die Länder des ehemaligen Jugoslawiens strategisch wichtig sein können für Energielieferungen aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus dem Kaukasus (an dem schon Nazi-Deutschland bzw. die deutsche Wehrmacht interessiert war) und aus Zentralasien.

Zum Beispiel: Georgien & Ukraine

In diesem Zusammenhang muss man sich nicht über Hinweise darauf wundern, dass der Westen die "Rosenrevolution" in Georgien unterstützt haben soll. Mit Unterstützung eines dem Westen zugeneigten Regimes in der georgischen Hauptstadt Tiflis lässt sich leichter Erdöl über die neue Tiflis-Ceyhan-Pipeline aus dem aserbaidschanischen Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan transportieren. Es ist offenbar längst im Gespräch, auch NATO-Truppen zur Sicherung der Pipeline einzusetzen (vgl. DEN, Kiew, 03.09.2002; Media-Press, Baku 15.03.2002).

Nicht umsonst konzentriert sich die deutsche Außenpolitik in Georgien auf den Bereich Energie: "Die bilaterale Zusammenarbeit konzentriert sich - auch vor dem Hintergrund der Kaukasus-Initiative - auf die Bereiche Energie, Förderung von Demokratie und Zivilgesellschaft sowie Entwicklung der Marktwirtschaft", schreibt das Auswärtige Amt auf seiner Website. "Die georgische Regierung verfolgt eine marktwirtschaftlich orientierte Politik und beabsichtigt in diesem Rahmen die Privatisierung der Staatsbetriebe. Vor allem im Energiesektor forciert Georgien nun nach langjähriger Unterstützung der internationalen Gebergemeinschaft die Privatisierung der Energiewirtschaft." Weiterhin:

"Grundsätzlich liegen Georgiens Vorteile als Investitionsstandort in seiner geostrategischen Lage (...). Größtes aktuelles Investitionsprojekt sind die Öl- und Erdgas-Pipelines, die unter Umgehung der Territorien Russlands und Irans Rohstoffe aus dem Kaspischen Meer über Georgien in die Türkei und von dort weiter auf europäische Märkte befördern soll." Wer glaubt da noch, es sei bei der Revolution in Georgien um die Verbreitung der Demokratie gegangen?

Auch die Ukraine, wo offenbar mit Hilfe des Westens ein gefälliges Regime per Revolution an die Macht kam, ist ein wichtiges Transitland für Erdgaslieferungen von Russland unter anderem nach Deutschland. Wer glaubt hier, es sei um die Verbreitung der Demokratie gegangen? Ab Mitte der neunziger Jahre schlossen sich Georgien, Aserbaidschan, die Ukraine, Moldawien und schließlich Usbekistan zum Bündnis GUUAM (benannt nach den Anfangsbuchstaben dieser Länder) zusammen, das sich eng an die NATO anlehnt. Ein weiteres an die NATO angelehntes Bündnis besteht zwischen der Türkei und Aserbaidschan.

Zum Beispiel: Afghanistan, Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan usw.

Im Zuge des so genannten Anti-Terrorkrieges beteiligte sich die Bundeswehr auch an der Eroberung und Besatzung Afghanistans. Die deutsche Öffentlichkeit wurde auf die Bekämpfung des Taliban-Regimes eingeschworen und zudem auf die Frauenpolitik. In den Monaten und den ersten beiden Jahren nach Kriegsbeginn gab es kaum einen Bericht, in dem nicht die "Befreiung der Frauen" in Afghanistan zum Thema hochstilisiert wurde. Jenseits dieser medial inszenierten Dramaturgie geht es in Afghanistan vermutlich um etwas ganz anderes.

Im Norden Afghanistans gibt es Erdgasvorkommen. Unter sowjetischer Besatzung wurde hier Mitte der 1970er Jahre Erdgas gefördert. Die Anlagen wurden durch Sabotageakte der Mudschaheddin zerstört. Zu den größeren Erdgasfeldern gehören Jorqaduq, Khowaja, Gogerdak und Yatimtaq. Sie liegen alle im Umkreis der Stadt Sheberghan in der nordafghanischen Provinz Jowzjan. Die Provinz Jowzjan zählt zu den von der Bundeswehr besetzten Gebieten.

Doch die Bedeutung der Besetzung Afghanistans geht weit über Afghanistan hinaus. Wolfgang-Peter Zingel vom Südasien-Institut der Universität Heidelberg, Abteilung Wirtschafts- und Entwicklungspolitik, schreibt zur geostrategischen Bedeutung des Landes schlicht und ergreifend: "Nach wie vor dient die Einflussnahme des Auslands auf den Konflikt in Afghanistan wirtschaftlichen Interessen: die sowjetische Invasion wurde als Versuch gewertet, der UdSSR endlich einen Zugang zum Indischen Ozean zu verschaffen; die westlichen Industrieländer sahen ihre Ölversorgung aus der Golfregion gefährdet. Heute geht es um den Zugang zu den Energievorkommen in Zentralasien; (...) Dazu wären stabile politische Verhältnisse zumindestens in diesem Teil des Landes erforderlich."

Deutschland sorgt mit für die gewünschten stabilen politischen Verhältnisse in Afghanistan: zum Beispiel durch die "Führungsrolle beim Wiederaufbau der nationalen Polizei in Afghanistan" (Auswärtiges Amt). Außerdem sorgt Deutschland für rechtliche Rahmenbedingungen, die unter anderem den Bau einer Pipeline ermöglichen können: "Auch wurde 2003 mit deutscher Unterstützung der Entwurf für ein neues Investitionsgesetz vorgelegt, das den Ansprüchen internationaler Investoren genügt", so das Auswärtige Amt. Zudem: "Die Bundesrepublik Deutschland hat im Dezember 2004 ein bilaterales Investitionsschutzabkommen mit Afghanistan paraphiert; die Zeichnung und Inkraftsetzung wird im ersten Halbjahr 2005 erfolgen."

Der ehemalige Leiter des Planungsstabs im deutschen Auswärtigen Amt, Achim Schmillen, kommentierte in diesem Zusammenhang: "Der Ressourcenreichtum, vor allem an Erdöl und Erdgas, macht das Gebiet besonders attraktiv für ausländische Investoren. (...) Auch wenn manche Schätzungen überzogen sein dürften, haben die Industrieländer großes Interesse an der Region. (...) [Die Rohstoffe] auf den europäischen Markt zu bringen, hängt an drei Faktoren: am Transport, der damit verbundenen Beteiligung der großen Mächte und der potenziellen Instabilität der Gegend."

Von besonderem Interesse sind die gewaltigen Erdgasvorkommen im nördlich von Afghanistan gelegenen Turkmenistan. Dazu das Auswärtige Amt: "Turkmenistan ist ein potenziell reiches Land. Es verfügt über die viertgrößten Erdgasreserven der Welt. Die nachgewiesenen Gasreserven belaufen sich auf insgesamt 5,4 Billionen Kubikmeter, wahrscheinliche Gasreserven auf 107 Billionen Kubikmeter. Die Ölreserven werden vom Internationalen Währungsfonds (IWF) auf 2,930 Mrd. Tonnen geschätzt."[4]

Und offenbar haben die Europäer mittlerweile auch dafür gesorgt, dass Erdgas und Erdöl der Region nicht nach Pakistan und Indien, sondern gen Westen fließen. Dazu das Auswärtige Amt in diplomatischen Worten: "Die 2002 angedachten Pläne für den Bau einer trans-afghanischen Pipeline nach Pakistan und Indien sowie frühere Ideen einer Pipeline durch den Norden Irans nach Armenien sind (...) in den Hintergrund getreten. Bereits im Jahr 1997 wurde eine 200 Kilometer lange Pipeline in den Iran eingeweiht." Der Verlauf der Pipelines ist hart umkämpft. So wusste auch die einflussreiche Deutsche Bank 2002 bezogen auf die Ausbeutung der Erdölvorräte Kasachstans zu berichten, dass der Verlauf weiterer Pipelinerouten "aus geostrategischen Gründen politisch brisant" ist. Ein möglicher Routenverlauf gehe durch den Iran. Ob dies das neuerliche starke Interesse am Iran begründet?

Die Deutsche Bank, eine der treibenden Kräfte in der deutschen Politik, macht sich für eine "energiestrategisch motivierte Geopolitik" stark. In einer Veröffentlichung mit dem Titel "Energieperspektiven nach dem Ölzeitalter" vom 2. Dezember 2004 schreibt die Deutsche Bank Research: "Im europäisch-russischen Dialog sollte zwar klar gemacht werden, dass für Europa auch künftig Russland der wichtigste Energie- und Erdgaslieferant sein wird. Langfristige Lieferverträge sorgen hier für Investitionssicherheit. Gleichwohl darf das Management der Lieferströme nach Europa keineswegs allein Russland überlassen werden. In den letzten Monaten hat Russland seinen Einfluss auf die großen Vorkommen in Turkmenistan und Kasachstan sowie die Transportroute über die Ukraine bereits spürbar gesteigert. Vor kurzem wurden langfristige Kontrakte unterzeichnet. Die Gefahr besteht, dass der Einfluss künftig auch auf das erdgasreiche Liefer- und Transitland Iran ausgeweitet wird. (...) Ohne unabhängige Transporte aus den wichtigen Lieferländern sind niedrige Wettbewerbspreise und eine Energieversorgung durch Diversifikation kaum möglich. Eine moderne Geopolitik in der EU ist daher dringend geboten."

3. Menschenrechts- und Hilfsorganisationen - reich alimentierte Hilfstruppen von Wirtschaft und Militär?

Die Interventionen des Westens werden mit einem Strauß von Gründen gerechtfertigt. Bezogen auf Afghanistan sollte die deutsche Öffentlichkeit plötzlich Mitleid mit den Frauen haben, um den Einmarsch der Bundeswehr zu rechtfertigen; so als würden Frauen dort nicht schon seit vielen Jahren und auch in zahllosen anderen Ländern massiv unterdrückt. Doch die Masche zog und so manche frauenpolitische Organisation war begeistert, dass die Unterdrückung der Frau vermeintlich endlich die Richtlinien der deutschen Politik bestimmte.

Auch der Umstand, dass in Georgien und in der Ukraine vermeintlich endlich die Demokratie ausbrach, stieß auf weitgehende Zustimmung in der westlichen Öffentlichkeit. Ernstzunehmende Hinweise, wonach in diesen Ländern Russland und der Westen um den vorherrschenden Einfluss konkurrieren und entsprechende Regime installieren bzw. halten wollen, blieben von den westlichen Medien weitgehend unbeachtet.

Mit der tatsächlichen oder vorgegebenen Terrorgefahr bedienen sich die konkurrierenden Mächte einer weiteren Allzweckwaffe, die beliebige militärische Überfälle oder Truppenstationierungen - und zugleich beliebige Einschränkungen von Bürgerrechten im Inneren - rechtfertigen sollen.

Der Verweis auf die Menschenrechtslage ist eine weitere Spielart, um diplomatische und militärische Interventionen zu rechtfertigen. Begriffe wie "Vertreibung", "ethnische Säuberung", "Völkermord", "Massaker" etc. haben seit Jahren Hochkonjunktur, seitdem die politischen und wirtschaftlichen Eliten die Erfahrung gemacht haben, dass man damit selbst entschiedene Kriegsgegner zum Einlenken bewegen kann, unabhängig davon, wie sich die Realität darstellt.

Soldaten und Entwicklungshelfer arbeiten im Auslandseinsatz längst Hand in Hand. Das Auswärtige Amt stellte offenbar allein im Jahr 2005 für humanitäre Hilfsprojekte in Afghanistan gut 3 Millionen Euro zur Verfügung. Gelder, die großteils an Hilfsorganisationen gehen, die sich aufgrund der enormen finanziellen Zuwendungen möglicherweise auch mit Kritik an der deutschen Politik zurückhalten und bei so mancher Kooperation vielleicht auch ein Auge zudrücken.

Durch gezielte landesspezifische Mittelzuweisungen an Hilfsorganisationen lässt sich seitens des Staates auch sicherstellen, dass immer gerade dort Menschenrechtsverletzungen angeprangert werden, wo die Bundeswehr einmarschieren möchte! Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern treten jeweils deutlich in den Hintergrund und kommen in der medialen Öffentlichkeit nicht vor. Die Öffentlichkeit gewinnt den sicheren Eindruck, als herrsche in dem permanent genannten Land - und zwar nur dort - akuter Handlungsbedarf - und als könnte dies durch eine militärische Intervention schnell gelöst werden.

Im Vorfeld des Bundeswehr-Einsatzes in Sudan wurde eine Menschenrechtskatastrophe in der sudanesischen Region Darfur hochstilisiert. Der Kölner Wissenschaftler und Sudan-Kenner Stefan Kröpelin vertritt die Auffassung, dass die Menschenrechtssituation in Sudan nicht besser und nicht schlimmer ist als in jedem anderen afrikanischen Land. Jeder würde das unter der Hand bestätigen. Doch seit man am Erdöl interessiert sei, sei die humanitäre Katastrophe für den Westen plötzlich von Interesse. Journalisten wären an einem differenzierten Bild nicht interessiert.

Der deutschen Öffentlichkeit würden Satellitenbilder mit angeblich niedergebrannten Dörfern vorgeführt. Stichprobenartige Überprüfungen hätten ergeben, dass nicht eine einzige Hütte niedergebrannt worden sei. Es hätte sich in den überprüften Fällen vielmehr um Keramik-Brennplätze gehandelt. Kröpelin hält die genannten Zahlen über Menschenrechtsverletzungen für völlig abwegig. Die Zahlen würden von den Flüchtlingslagern stammen. Doch viele Leute seien nur deswegen in den Flüchtlingslagern, weil es dort Dinge umsonst gebe. Auch Menschenrechts- und Hilfsorganisationen hätten ein Interesse an übertrieben hohen Zahlen, weil das die Spendenbereitschaft in Deutschland erhöhe. Zudem sei die Region Darfur nur schwer zugänglich und Menschenrechtsorganisationen würden sich zum Beispiel auf Aussagen von Exilbischöfen berufen, nicht jedoch auf Quellen vor Ort. Einige Überfälle mit Todesfällen habe es in Darfur schon immer gegeben. Im übrigen würde auch die Rebellenorganisation des Südens, mit der Deutschland kooperiert, die Menschenrechte nicht achten. Nach einem BBC-Bericht sollen sie beispielsweise Kinder als Soldaten missbraucht haben.

Das Beispiel Sudan zeigt ebenso wie auch andere einschlägige Fälle, dass die deutsche Öffentlichkeit die Menschenrechtslage in anderen Ländern in keiner Weise beurteilen kann. Auch auf die Angaben vermeintlich "unabhängiger" Menschenrechts- und Hilfsorganisationen kann man sich nicht stützen. Eben so wenig sind in aller Regel die Abgeordneten des Deutschen Bundestages informiert.

Von der Vorbereitung des NATO-Krieges gegen Jugoslawien ist hinreichend bekannt, wie im Vorfeld des Krieges von offizieller Seite vermutlich massiv die Unwahrheit gesagt wurde. Die USA hatten vor einigen Jahren sogar offiziell angekündigt, sie würde der Öffentlichkeit künftig nicht immer die Wahrheit sagen.

Das bedeutet, dass eine demokratische Kontrolle von Interventionen praktisch nicht möglich ist. Weder die Bevölkerung noch die Abgeordneten in den Parlamenten können ernsthaft überprüfen, ob ein Krieg tatsächlich wie oft behauptet zur Verhinderung von schweren Menschenrechtsverletzungen geführt wird oder mit dem Ziel, Zugang zu Märkten und Rohstoffen zu bekommen.

4. Das Herbeibomben von Öl und Gas bleibt letztlich perspektivlos

Man könnte im Sinne einer Staatsraison zunächst argumentieren, es sei nun einmal so, dass wir abhängig vom Öl sind und notfalls müssten wir diese Grundlage unserer Zivilisation eben mit militärischen Mitteln sichern; wir stünden in hartem Wettbewerb mit anderen Industrie- und Schwellenländern und man könne das Öl jetzt nicht einfach den Ländern überlassen, die über entsprechende Vorkommen verfügten oder die sich den Zugang zum Öl mit militärischen Mitteln sicherten; Deutschland und Europa müssten sich zwangsläufig mit Hilfe harter Verhandlungen, mit der Beteiligung an der Besetzung entsprechender Territorien und hin und wieder auch mit Kriegen den Zugang zum Öl und zu den anderen erforderlichen Rohstoffen sichern; Romantisieren helfe hier wenig, es gehe um unser Überleben und um unseren Wohlstand; man beanspruche nur eine Art Selbstverteidigungsrecht.

Eine solche Argumentation würde - abgesehen von der Frage der Legitimation und der praktischen Durchführbarkeit - allenfalls dann Sinn machen, wenn sich daraus eine langfristig tragfähige Perspektive ergäbe, die die Risiken und die massive Inhumanität einer solchen Strategie rechtfertigen könnten. Dies ist aber nicht der Fall.

Seit den 1970er Jahren ist allgemein bekannt, dass Öl und Gas in absehbarer Zeit zur Neige gehen. Insider wissen mindestens ebenso lange, dass auch Uran ein extrem begrenzter Energie-Rohstoff ist. Wenn 30 Jahre später (!) das Verkehrssystem in Deutschland praktisch noch immer vollständig vom Öl abhängig ist und die Abhängigkeit des Strom- und Wärmesektors von Erdgas sogar noch erhöht wurde, dann hat die wirtschaftliche und politische Elite 30 Jahre lang vollständig versagt. Eine gewisse Mitschuld tragen auch manche Umweltschützer, die sich der Expansion des Erdgases zu Heizzwecken nicht widersetzten und zum Teil noch heute den Bau von "hocheffizienten Gaskraftwerken" fordern.

Die Menschheit kann ihren Energiehunger langfristig nicht auf Erdöl, Erdgas und Uran stützen. Insofern sind alle Bemühungen, mit diplomatischen Mitteln und mit Kriegseinsätzen den Zugang zu diesen Rohstoffen zu sichern, letztlich perspektivlos. Es handelt sich nicht um eine langfristig rationale Politik, sondern um ein kurzfristiges Aufrechterhalten einer vollständig verfehlten Politikstrategie mit inhumanen Mitteln.

Die Menschheit ist dabei, die letzten Reste an Demokratie, Menschenrechten und sonstigen zivilisatorischen Errungenschaften aufzugeben und erneut in ein barbarisches Zeitalter der Rohstoffkriege einzutreten, in dem - möglicherweise mit ständig wechselnden Koalitionen - permanent National- oder auch Privatarmeen übereinander herfallen.

Eine vernünftige Energiepolitik ist daher das Gebot auch im Sinne einer aktiven Friedenspolitik. Ein humanes Miteinander der Völker erscheint aus heutiger Sicht nur dann möglich, wenn erneuerbare Energien und ein sparsamer Umgang mit Ressourcen die Basis der Energieversorgung bilden.[5]

5. Das Herbeibomben von Menschenrechten ist eine Illusion

Auch wenn man im Einzelfall glaubt, dass eine Menschenrechtssituation nur mit militärischen Mitteln beseitigt werden kann, so erscheint doch eine allgemeine politische Strategie der Verteidigung der Menschenrechte mit militärischen oder sonstigen massiv interventionistischen Mitteln als Illusion. Realpolitisch betrachtet, kann eine Interventionsstrategie für Menschenrechte nicht funktionieren. Abgesehen davon, dass der Krieg selbst zutiefst inhuman ist, sprechen hierfür u.a. die folgenden Gründe:

  1. Den Führungseliten fehlt die Motivation zur Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen: Eine solche Interventionsstrategie scheitert bereits daran, dass man realistischerweise nicht unterstellen kann, der politischen und der wirtschaftlichen Elite ginge es um die Menschenrechte. Die Erfahrung spricht schlichtweg dagegen. Es wird in Deutschland inzwischen auch wieder ganz offen gesagt, dass es um die Vertretung von "nationalen Interessen" wie etwa die Sicherung der Rohstoffversorgung geht. Ausnahmen bestätigen diese Regel. Da dies so ist, gibt es den Grundsatz der demokratischen Kontrolle.
  2. Eine demokratische Kontrolle der Führungseliten ist nicht möglich: Wie dargelegt scheitert eine demokratische Kontrolle bereits daran, dass die breite Öffentlichkeit - wie auch die interessierte Öffentlichkeit - die Lage in einem anderen Land überhaupt nicht realistisch beurteilen kann. Die Praxis zeigt: Die Manipulationen der öffentlichen Meinung werden entweder gar nicht oder erst zu spät bekannt.
  3. Eigendynamik von Militär und Rüstungsindustrie: Eine Interventionsstrategie zur Verteidigung der Menschenrechte erscheint auch insofern als Illusion, als damit ein Wiedererstarken des Militärs und der Rüstungsindustrie verbunden ist. Es wäre illusorisch anzunehmen, man könne das entfesselte Militär und eine starke Rüstungsindustrie auf einfache Weise zügeln. Die Entwicklung der Out-of-Area-Einsätze der Bundeswehr hat gezeigt, dass eine schrittweise Enthemmung stattfand. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.
  4. Schwerste Menschenrechtsverletzungen in starken Ländern können militärisch nicht bekämpft werden: Interventionen zur Durchsetzung von Menschenrechten sind höchst selektiv. Die Erfahrung zeigt: Bei den jeweiligen Verbündeten oder auch bei militärisch als unangreifbar geltenden Staaten wie China oder Nordkorea marschiert man selbstverständlich nicht ein. Trotz ständiger Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in den USA und durch die USA im Ausland, gibt es natürlich keine durchgreifenden (militärischen) Interventionen durch Deutschland oder andere europäische Länder. Die Bundeswehr unternimmt keinerlei Anstalten, die Insassen von Guantánamo oder von anderen durch die USA kontrollierten Gefängnissen zu befreien. Auch in China marschiert keine fremde Armee ein, um die eklatanten Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. In der deutschen Politik werden die von den Rebellen des Südsudan begangenen Menschenrechtsverletzungen nicht angeprangert, weil es derzeit Verbündete sind. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen: Dieser vermeintliche Kampf um die Menschenrechte ist nichts anderes als die Durchsetzung des Rechtes der Stärkeren.
  5. Die organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten reichen für eine Bekämpfung der weltweit begangenen Menschenrechtsverletzungen auch nicht ansatzweise aus: Eine auf militärische Mittel gestützte Interventionsstrategie ist auch deswegen völlig unrealistisch, weil es weder organisatorisch noch finanziell durchführbar wäre, mit Kriegen und der Besetzung fremder Territorien alle relevanten Schauplätze schwerer Menschenrechtsverletzungen abzudecken. Die Praxis der vergangenen Jahre zeigt bereits, dass derzeit neben der Besatzung des Irak und Afghanistans und einiger anderer Territorien schon kaum noch ein weiterer Krieg geführt werden kann, obwohl dies von der so genannten "internationalen Gemeinschaft" beispielsweise im Iran, in Nordkorea und sicherlich auch noch an zahllosen weiteren Orten als notwendig erachtet wird. Doch weltweit geschehen schwere Menschenrechtsverletzungen, wie man den einschlägigen Berichten entnehmen kann.
  6. Kriege führen zu Menschenrechtsverletzungen: Hinzu kommt: Die Kriege selbst sind Auslöser schwerster humanitärer Katastrophen. Man denke nur an die heute in Kriegen übliche gezielte Zerstörung der zivilen Infrastruktur von Ländern (vgl. Ex-Jugoslawien, Irak etc.). Die unmittelbare Folge von Kriegen sind meist Hunger und Elend. Aber schon die niederschwelligeren Interventionen mit diplomatischen Mitteln und wirtschaftlicher Erpressung oder Nötigung lösen weltweit humanitäre Katastrophen größten Ausmaßes aus. Wenn die "internationale Staatengemeinschaft" zum Beispiel die Privatisierung der Wasserversorgung oder Patente auf Saatgut durchsetzt, dann kann dies zu weiteren Hungerkatastrophen größten Ausmaßes führen. Wenn die Darstellung von Chossudovsky richtig ist, dann haben IWF und Weltbank in Somalia den Hunger aufgrund ihrer Interventionen erst herbeigeführt. Selbst in Deutschland breitet sich das Frieren und Hungern wieder aus.

6. Interventionismus heißt Einmischung in fremde Angelegenheiten

Interventionismus ist das Gegenteil von Souveränität. Interventionismus bedeutet, dass man sich in fremde Angelegenheiten einmischt. Bei Interventionen mit Zwangsmaßnahmen wie zum Beispiel Kriegen maßt man sich sogar an, unmittelbar über das Schicksal anderer Menschen zu entscheiden.

Wenn man sich aber in fremde Angelegenheiten einmischen möchte, möglicherweise sogar mit Zwangsmaßnahmen, dann benötigt man dafür nach allgemeiner Auffassung starke Rechtfertigungsgründe. Sind diese gegeben? Wie dargelegt sind Kriege für Öl und für Menschenrechte nicht nur inhuman, sondern bezüglich der Zielsetzungen auch perspektivlos und unrealistisch. Wie steht es dann mit den Rechtfertigungsgründen für Interventionen unterhalb der Kriegsschwelle?

Wir halten die Demokratie für die beste aller mit Mängeln behafteten Staatsformen. Demokratie aber bedeutet Selbstbestimmung, Souveränität. Es bedeutet, dass Menschen selbst darüber entscheiden, wie sie leben wollen und auch, wie sehr sie sich möglicherweise beherrschen lassen wollen.

Der Grad der Abgabe von persönlichen Souveränitätsrechten ist in verschiedenen Demokratieformen sehr unterschiedlich. Es gibt eine breite Spannweite von der "Palaverdemokratie" mit fast vollständiger persönlicher Mitbestimmung, über verschiedene Formen der Teil-Abgabe von Machtbefugnissen unter Beibehaltung von direkten Mitbestimmungsrechten (z.B. über Volksentscheide) bis hin zur repräsentativen Demokratie westlicher Prägung mit nur noch minimaler persönlicher Mitbestimmung, wobei hier nochmals zwischen den Frühformen des relativ starken Staates und der heutigen Ausprägung mit der Dominanz durch Großkonzerne zu unterscheiden ist.

Wie wäre es nun mit einer Einmischung (Intervention) von außen? Stellen wir uns vor, wir lebten in einer repräsentativen Demokratie mit faktischer Dominanz internationaler Konzerne und dann nötigte uns die "internationale Staatengemeinschaft", sehr weit reichende Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung schlagartig einzuführen, so dass das Land im jahrzehntelangen Chaos versänke. Wäre eine solche Einmischung von außen sinnvoll und wünschenswert?

- Stellen wir uns andererseits vor, wir lebten in einer funktionierenden, sehr lebendigen und aufgeklärten Demokratie mit weit reichenden direkten Mitbestimmungsrechten in Politik und Wirtschaft und dann nötigte uns die "internationale Staatengemeinschaft", eine repräsentative Demokratie mit faktischer Dominanz internationaler Konzerne einzuführen? Wäre eine solche Einmischung von außen sinnvoll und wünschenswert?

- Stellen wir uns als dritten Fall vor, wir lebten halbwegs leidlich in einem undemokratischen Staatswesen und dann nötigte uns die "internationale Staatengemeinschaft", eine faktisch von ausländischen Großkonzernen gesteuerte "Demokratie mit freien Wahlen" einzuführen, mit der Folge, dass Armut und Hunger auf der einen Seite und Reichtum auf der anderen Seite zunähmen? Wäre eine solche Einmischung von außen sinnvoll und wünschenswert?

Müssen sich Menschen im Regelfall nicht selbst wehren und selbst für die Modifikation ihrer Staats- und Wirtschaftsform kämpfen? Ist es nicht schon genug an "Intervention", wenn andere Länder als Vorbilder dienen und für ihr Staats- und Wirtschaftsmodell werben? Haben nicht die DDR-Bürger demonstriert, wie leicht ein Regime wegzudemonstrieren ist, wenn die Bevölkerung einfach nicht mehr mitmachen will? Und wenn ein Regime (scheinbar) so fest im Sattel sitzt wie die chinesische Führung, dann wäre nicht nur ein Volksaufstand, sondern ebenso ein militärisches Eingreifen zum Scheitern verurteilt! Vermutlich sind in solchen Fällen sogar Formen der "sozialen Verteidigung" bzw. des "sozialen Aufstandes" die einzig realistische Chance, um Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen zu beenden!

Entspricht es den Grundsätzen von Demokratie und Selbstbestimmung, wenn man in anderen Ländern bestimmte "Reformkräfte", "Rebellen", "Revolutionäre", "Aufständische" bzw. "Terroristen" (die Wortwahl variiert je nach politischem Standpunkt) mit viel Geld bzw. mit Fahnen und Flugblättern ausstattet, damit sie das Land im Sinne der ausländischen Geldgeber umkrempeln, mit reichlich ausländischem Geld im Rücken "freie Wahlen" durchführen und anschließend die Ölkonzessionen an die ehemaligen ausländischen Geldgeber vergeben?

Darf man tatsächlich andere Länder über bilaterale Verhandlungen, über konditionierte Entwicklungshilfe, über Gläubigerversammlungen von Banken, über Institutionen wie IWF und Weltbank etc. regelrecht dazu zwingen, ihr Staats- und Wirtschaftsmodell zu ändern? Muss der Westen tatsächlich sein Staats- und Wirtschaftsmodell mit Mitteln der Nötigung auch noch im letzten Winkel dieser Erde durchsetzen? Darf man anderen Menschen mit IWF und Weltbank Hunger und Elend bringen? Nach hoch offiziellen Aussagen bekommen wir in Deutschland keines der als wesentlich bezeichneten "Probleme" gelöst. Täglich bekommen wir beispielsweise zu hören, dass das Problem der Arbeitslosigkeit, der sozialen Sicherungssysteme, der Staatsfinanzen völlig ungelöst sei und niemand ein Patentrezept habe; man arbeite aber fleißig an Lösungen (so wird es jedenfalls öffentlich suggeriert).

Mit anderen Worten heißt das nichts anderes, als dass unser Wirtschaftssystem nach regierungsamtlichen Aussagen ganz massive Defizite aufweist.

Wie aber kommen wir vor diesem Hintergrund auf die Idee, der Welt mit IWF, Weltbank, Entwicklungshilfe, Besatzungen und Kriegen unser defizitäres Wirtschaftssystem als das allein Heilbringende aufzwingen zu wollen? Ist es vor diesem Hintergrund nicht absurd, anderen Ländern detaillierte Vorschriften zu machen, wie sie ihre Gesetze ändern sollen?

Fußnoten:

[1] Die Verteidigungspolitischen Richtlinien wurden zwischenzeitlich modifiziert. Der Tenor blieb jedoch unverändert.
[2] Es geht bei den Rohstoffkriegen keineswegs nur um Öl. In der Demokratischen Republik Kongo finden sich laut Auswärtigem Amt vor allem die folgenden Rohstoffe: Gold, Diamanten, Kupfer, Kobalt, Coltan (Columbium[Niob]-Tantalit)2, Zink, Zinn, Kadmium, Germanium und Wolfram.
[3] Weitere Hinweise zum Iran weiter unten bei Afghanistan.
[4] Auch Kasachstan ist für die Industriestaaten von höchstem Interesse, und zwar nicht nur wegen der Energierohstoffe. Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung vom 24. November 1997 zählt Kasachstan "zu den wichtigsten Bergbauländern der Welt. (...) Von den 112 Elementen des chemischen Periodensystems kommen mehr als zwei Drittel in Kasachstan vor".
[5] Eine weitere wesentliche Voraussetzung für den Frieden ist die drastische Reduktion der Abhängigkeit von den nicht-energetischen Rohstoffen.

 

Henrik Paulitz

 

Anmerkungen (Red. Netzwerk Regenbogen):

1 Zu den wenig bekannten Plänen Deutschlands im Sudan
      siehe auch unsere Artikel:

      'Das "humanitäre" Interesse am Sudan
      gilt den Bodenschätzen (4.06.04)

      'Sudan: Bundestag beschließt
      Platz an der Sonne' (26.11.04)

      'Deutsche Bundesregierung will weiter
      im Sudan zündeln' (9.01.05)

2 Zu den wenig bekannten Plänen Deutschlands im Kongo und der
      "strategischen" Bedeutung von Coltan
      siehe auch unsere Artikel:

      'Was macht den Kongo
      plötzlich so interessant ?' (26.02.03)

      'Urwald-Zerstörung im Kongo
      Weltbank fördert gigantischen Kahlschlag' (8.03.04)

3 Zur "demokratischen Revolution" in der Ukraine siehe unseren Artikel:

      'Ukraine - alles dieselbe Bagage' (1.01.05)

 

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