17.03.2003

Interview

Warum
jetzt in den Irak ?

Thomas Krahe organisiert zusammen mit der Friedensinitiative Bad Tölz-Wolfratshausen ein Projekt 'menschliche Schutzschilde für den Irak'. Wir berichteten bereits in einem Artikel am 13.03.

Das Interview führte Klaus Schramm.

K.S.: Hast Du bereits zuvor an eine aktive Hilfe für die Menschen im Irak gedacht oder wie bist Du auf diese Idee, den Krieg möglicherweise verhindern zu können, gekommen ?

Thomas Krahe: Ich war im November/Dezember letzten Jahres mit einer Delegation des Versöhnungsbundes im Irak. Das Fazit unserer Reise war "Wir haben Familie im Irak". Wenn ein "Thema" plötzlich ein Gesicht bekommt, greifbare Lebensgeschichten, konkrete Namen, dann verändert sich die Qualität des Engagements grundsätzlich.
Wenn die eigene Familie bedroht ist, dann setzt man sich mit aller Kraft, aller Entschlossenheit und Ausdauer für sie ein. Es bedeutet aber auch, in Beziehung zu Menschen zu treten. Ich kam zurück mit der Gewissheit, wir könnten sehr viel voneinander lernen. Das geht vom reinen Protest weg. Es bedeutet Brücken zu bauen, den Frieden zu gestalten. Sich auch auf Konflikte und Widersprüche einzulassen und Beziehung zu gestalten. Es bedeutet auch, nach Überwindung einer Bedrohung weiter Verantwortung für das Schicksal der Menschen im Irak zu übernehmen. Der Vorwurf, wo denn die Friedensbewegung ihren Teil zur Überwindung des Regimes geleistet habe, muss plötzlich ernst genommen werden.

K.S.: Was hälst Du von "TJP Human Shield" ?

Thomas Krahe: Die Idee der menschlichen Schutzschilde ist für mich sehr wichtig. Sie sagt, alle Menschen sind gleich. Wenn ihr Iraker bombardieren wollt, dann müsst ihr auch mich bombardieren. Human Shields sind natürlich nicht die einzige Gruppe, die das organisieren. Sie sind schnell entstanden und "kranken" an den für mich typischen Mängeln einer jungen Initiative. Sie setzen auf Masse, also möglichst vielen Menschen, die sich daran beteiligen. Und das ist im Moment auch für mich das vorrangige Ziel. Den Zerfall der Initiative bedaure ich sehr.

K.S.: Gibt es Überlegungen dazu, wie ihr dem entgegensteuern könnt, als Saddam-Hussein-Freund hingestellt zu werden ?

Thomas Krahe: Bei der letzten Reise haben wir darauf geachtet, unsere Berührungen mit staatlichen Institutionen so gering wie möglich zu halten. Wir haben zum Beispiel unseren Aufenthalt selber finanziert. Doch laufen die Uhren im Irak völlig anders wie bei uns. Alles läuft irgendwann über staatliche Institutionen. Unsere Vorstellungen greifen hier aber nicht. Und das hat viel mit kulturellen Unterschieden zu tun. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir nicht manipuliert oder gesteuert wurden. Wir haben selber entschieden, was wir sehen und wen wir sprechen wollen. Und das ist dann auch passiert. Ganz im Gegenteil habe ich sogar die Erfahrung gemacht, dass für uns eigene Regeln der dortigen Kultur ausser Kraft gesetzt wurden, nur in der Hoffnung, wir können helfen den Krieg abzuwenden und die Sanktionen aufzuheben. Natürlich gibt es ganz "oben" das Interesse, an der Macht bleiben zu wollen. Aber daneben gibt es auch das Interesse, die Bevölkerung zu schützen und ihnen endlich die Grundversorgung zu ermöglichen. Die staatlich bediensteten Menschen, mit denen wir zu tun hatten, litten selber existentiell an den Sanktionen. Für die Reise im April versuchen wir die Unabhängigkeit von staatlichen Institutionen so gering wie möglich zu halten, aber dennoch auch deren Perspektive kennen zu lernen. Die müssen wir dann natürlich mit denen anderer vergleichen und überprüfen. Im Moment sind wir dabei auszuloten wie groß unser Spielraum für die nächste Reise sein wird.

K.S.: Wie steht es mit der freien Bewegungsmöglichkeit im Irak ? Gibt es dazu Verhandlungen mit dem Regime ? Zusagen ? Seid ihr sicher, nicht plötzlich dort "zur eigenen Sicherheit" interniert zu werden ?

Thomas Krahe: Die Frage der Internierung bringt mich immer zum Lachen. Das zeigt wie verzerrt hier das Bild des Irak dargestellt wird. 1991 gab es diese Gefahr, keine Frage. Aber inzwischen haben vor allem Voices in the Wilderness viel Arbeit und Zeit rein gesteckt, um Anerkennung für ihre Arbeit im Irak zu bekommen. Sie haben 6 Jahre gebraucht, um diese kulturellen Brücken zu bauen. Jetzt haben sie die Bewegungsfreiheit, die sie wollen. Voraussetzung ist dafür, sich mit der Kultur zu verständigen und auch ihre Regeln zu respektieren. Wenn langhaarige Hippies oder Frauen in engen Hosen da hin fahren und sich so aufführen wie sie es hier tun, dann gibt es Probleme. Das ist eine der Schwierigkeiten von Human Shields. Die Gastfreundschaft zu verletzen, bedeutet alles Vertrauen zu verlieren. Die irakischen Behörden haben sehr viele negative Erfahrungen mit Ausländern gemacht - wie den spionierenden Waffeninspektoren 1998. Aber auch mit Journalisten, die mit Vorurteilen kamen und diese unbedingt bestätigt sehen wollten. Habe ich selber mit einem SPIEGEL-Journalisten erlebt. Die Arroganz unserer westlichen Kultur steht uns im Weg. Demut und Bescheidenheit sind der Schlüssel für eine Verständigung. Ich persönlich habe überhaupt keine Angst davor. Mein vorrangiges Ziel ist es, im Irak Solidarität mit den Menschen zu bekunden. Es kann sein, dass unsere Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist. Ich weiß aber auch aus meiner Erfahrung, dass sich das schnell ändern kann, wenn klar wird, dass wir ehrliche und verlässliche Partner sind - ohne eigene Abstriche machen zu müssen. Fordernd und rebellisch aufzutreten ist allerdings die Garantie dafür, nichts zu erreichen.

K.S.: Wie gehst Du mit der Angst um, dort Dein Leben aufs Spiel zu setzen ?

Thomas Krahe: Die Menschen im Irak haben überhaupt keine Möglichkeit, zu wählen. Sie sind eingeschlossen und können den Bomben nicht ausweichen. Deswegen empfinde ich mein Möglichkeit zu wählen, wo ich mein Leben einsetze, als Luxus. Mir ist es nicht möglich, Bashars Gesicht vor mir zu sehen und zu denken, das betrifft mich nicht. Immer wieder hörten wir: "Laßt uns nicht allein". Ich bin nicht mehr bereit dazu, diesen Krieg hinzunehmen und dann zurück zu schauen und es als Geschichte zu betrachten. Für Gandhi war die Voraussetzung dafür, etwas grundsätzlich zu ändern, sein Leben voll dafür einzusetzen und auch die entsprechende Disziplin aufzubringen. Von Soldaten wird das als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Für den Frieden gilt dasselbe. Frieden kann man nicht als Hobby betreiben. Ob das eine Wirkung hat, weiß ich nicht. Mir ist es wichtig, das Richtige zu tun. Und ich merke, wie sich daraus von selber eine Wirkung ergibt, wenn man aufmerksam damit umgeht und es richtig einsetzt. Natürlich habe ich Angst. Wer hätte das nicht. Das ist für mich aber kein Hinderungsgrund.

K.S.: Wie regieren FreundInnen und Bekannte auf Dein Vorhaben ?

Thomas Krahe: Entsetzen und Besorgnis, aber auch Anteilnahme. Die Meisten versuchen mich zu überreden, davon abzulassen. Andere wollen in mir unbedingt einen Helden sehen. Das ist immer eine willkommene Möglichkeit, die eigene Verantwortung abzuschieben und sie auf mich zu übertragen. Unsere Gesellschaft leidet meiner Meinung nach fundamental daran, dass sie alles Unbequeme wie Schmerz, Trauer und Angst versucht zu betäuben oder zu verdrängen. Als Drogenberater sehe ich das in meiner täglichen Arbeit. Angst und Schmerz anzunehmen als Weg und Zugang zu etwas Neuem ist hier unterentwickelt. Dabei sind sie nur Zeichen, dass sich etwas verändern will, dass eine Vorstellung oder ein Verhaltensmuster nicht mehr greift. Das gilt auch für Gesellschaften. Die Fragen an mich sind eigentlich Fragen, die sich die Menschen selber stellen. Das versuche ich klar zu machen. Dem Tod kann niemand weg laufen. Man kann nur damit umgehen lernen. Ich bin alleinstehend. Insofern ist es für mich leichter, so eine Entscheidung zu treffen. Und ich sehe das als Arbeitsteilung. Es braucht Leute, die in den Irak gehen, und es braucht Leute, die sich hier engagieren. Es geht also nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl als auch. Ich hoffe darauf, dass meine Präsenz im Irak die Menschen, die mich kennen, motiviert, nicht aufzugeben, den Krieg zu verhindern. Es ist sozusagen eine Metapher, denn die Wenigsten kennen Menschen im Irak, aber mich schon.

 

 

 

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