7.07.2003

Der demokratische Entwicklungsstand
seiner Medien ist immer ein Maß
für die Demokratisierung eines Landes

zur Kriegsberichterstattung der US-amerikanischen Massenmedien

Einsamer Rekord einer 55-jährigen New Yorker Friedens- Aktivistin. Ihr wurde als Vertreterin der Friedensbewegung die meiste Redezeit in den US-amerikanischen Massenmedien zugestanden: Eine Minute lang wurde Leslie Cagan von CNN am Rande einer Anti-Kriegs-Demonstration von CNN interviewt. Darüber hinaus war sie die einzige namhafte Kriegsgegnerin, die während der ersten drei Wochen des Irak-Krieges überhaupt in den US-Abendnachrichten zu Wort kam.

Daß Leslie Cagan, einer lebenden Legende der Gegenkultur, in diesem einmaligen Fall die Rolle der Nebendarstellerin zugestanden wurde, ist die sprichwörtliche Ausnahme, die die Regel bestätigt: Die Regel, nach der US-Massenmedien mit patriotischem Eifer für den Krieg trommeln. Das jedenfalls ist das Fazit der ersten brancheninternen Untersuchungen zum Verhalten der US-Medien im Irak-Krieg.

Diese Studie bestätigt in minutiöser Aufarbeitung des damals gesendeten Materials, was KritikerInnen schon länger behaupten: Die gesamten US-Massenmedien - und vorneweg die US-TV-Sender - haben bei dieser Nagelprobe auf objektiven Journalismus versagt. Medienkritiker Steve Rendall, von der Gruppe ' Fairness & Accuracy in Reporting' (FAIR), die eine der Untersuchungen durchführte, drückte sich noch vorsichtig aus: "Die Kriegsberichterstattung hat der Demokratie hier keinen Gefallen getan". Ein objektiver Maßstab dürfte folgendes Kriterium der UN-Organisation UNESCO sein, das in der Regel in der Begutachtung von "Entwicklungsländern" Anwendung findet: "Der demokratische Entwicklungsstand seiner Medien ist immer ein Maß für die Demokratisierung eines Landes."

Während bei allen Umfragen der Anteil der GegnerInnen des Irak-Kriegs in der USA bei rund 30 Prozent lag, war der Anteil kriegskritischer Äußerungen von US-amerikanischen GesprächspartnerInnen in den US-Massenmedien gerade mal 3 Prozent. Die TV-Nachrichten von ABC, CBS, NBC, Fox, CNN und die "News Hour with Jim Lehrer" (des öffentlichen Senders PBS) der ersten drei Kriegswochen wurden in der Studie penibel ausgewertet nach den Kategorien KriegsgegnerInnen, KriegsbefürworterInnen und Neutrale.

Auch unter allen interviewten Personen lag der Anteil der KriegsgegnerInnen lediglich bei 10 Prozent, was durch einen hohen Anteil der KriegsgegnerInnen (vermutlich wurden darunter versehentlich auch Joseph Fischer, Gerhard Schröder oder Jacques Chirac gezählt) unter den ausländischen Interview-PartnerInnen zu erklären ist. 64 Prozent der Interviewten (71 Prozent der interviewten US-Amerikaner- Innen) wurden als KriegsbefürworterInnen gezählt, 26 Prozent (und ebenso 26 Prozent der interviewten US-AmerikanerInnen) als neutral.

Selbst der 'spiegel' konstatiert als Fazit der Studie: "Die US-Medien haben sich im Irak-Krieg nahezu kritiklos auf die Seite der Regierung geschlagen." Bezeichnend ist die Äußerung von Dan Rather, Nachrichten-Chef des "patriotisch" führenden CBS: "Ich bin ein Amerikaner. Wenn mein Land im Krieg ist, will ich, daß es gewinnt." Naiver Weise könnte mensch sich fragen, was die (medienbeeinflußte) Stimmung in der USA mit dem Erfolg oder Mißerfolg eines Krieges zu tun hat. Dan Rather zumindest wird sich daran erinnern, warum sich die USA aus Vietnam zurückziehen mußte. Selbst Diktaturen können keinen Krieg gegen den Mehrheitswillen der eigenen Bevölkerung führen. Sonst wäre auch der so gerne zu Vergleichen herangezogene deutsche Propaganda-Minister Göbbels überflüssig gewesen.

Kein einziger US-TV-Sender gab der US-Friedenbewegung Gelegenheit zu einem Interview. Stattdessen wurde sie allenfalls mit "Ein-Satz-O-Tönen" von der Straße dargestellt, namenlos oder mit dem Pauschalstempel "Protestler" oder "Anti-Kriegs-Aktivist" und die einzige Ausnahme war das einminütige Statement von Leslie Cagan bei CNN. Der Medienkritiker Andrew Tyndall, der zudem die Minuten, die von den drei großen Networks ABC, CBS und NBS auf die jeweils fünf wichtigsten Nachrichten des Tages verwendeten, analysierte, hatte für die Zeiten, die für die Kriegsproteste zur Verfügung standen, nicht viel zu rechnen: Null. Stattdessen genügend Zeit für Bilder von der Invasion, von Schlachten und vom inszenierten Sturz der Saddam-Hussein-Statue.

Peinlich als später dann Filmmaterial auftauchte, das den Sturz der Saddam-Hussein-Statue statt mit kleinem Bildausschnitt mit gleichzeitiger Sicht auf den gesamten Platz zeigte. Es belegte, daß entgegen dem Eindruck, den die aktuell gesendeten TV-Bilder vermittelten, die Beteiligung der irakischen Bevölkerung am Sturz der Statue sich auf ein rundes Dutzend Personen beschränkt hatte. Peinlich auch das mangelnde investigative Interesse der US-ReporterInnen bei der Story um die "Befreiung" der US-Soldatin Jessica Lynch. Die 19-jährige, angeblich Anfang April aus irakischer Kriegsgefangenschaft befreit, wurde über Nacht zur Nationalheldin verklärt. Auch diese Story, die von den US-Massenmedien ohne jegliche journalistische Sorgfaltspflicht übernommen worden war, ist inzwischen als Inszenierung entlarvt. Weder hat Frau Lynch wie ein weiblicher Rambo mit ihrer M-16 noch schnell ein paar feindliche Soldaten niedergemäht. Noch wurde sie angeschossen oder vergewaltigt. Noch war ihre Befreiung durch einen Spezialtrupp der Marines - als körniges Nachtvideo um die ganze Welt gesendet - ein militärischer Bravour-Akt. Die Marines wurden im Krankenhaus, in dem Lynch versorgt wurde, mit offenen Armen empfangen.

Alle US-TV-Sender rissen sich darum, ein patriotisches Exclusiv-Interview mit "Private Jessica" führen zu dürfen. Die 'Washington Post', die das geschickt gestrickte Lynch-Epos unter Berufung auf "anonyme Quellen" als erste in die Welt gesetzt hatte, hat mittlerweile widerrufen. Doch auch in Europa wurde davon kaum Notiz genommen.

Und nicht nur unliebsame Äußerungen über materielle Interessen, die tatsächlich die Gründe für den Irak-Krieg seien, auch alles was nicht in die offizielle Propaganda paßte, wurde ausgeblendet: Erst jetzt wurde dem ehemaligen Nato-Oberkommandeur Wesley Clark in einer NBC-Talkshow öffentlich Gehör geschenkt. Der hatte zu berichten, es habe "eine konzertierte Aktion" der US-Regierung gegeben, Saddam Hussein die Terroranschläge vom 11. September 2001 "anzuhängen". Er selbst habe noch am Tag der Attentate einen Anruf von hoher Stelle bekommen, in dem er aufgefordert worden sei, diese "Connection" öffentlich zu postulieren. Er habe sich jedoch aus Beweismangel geweigert. Eine heiße Story? Nicht für die US-Massenmedien. Clarks Vorwurf wurde schnellstens unter Bergen anderer Meldungen zugeschüttet und hat kaum die Chance, gegenüber dutzendfach wiederholten Nichtigkeiten im Gedächtnis der Nachrichten-KonsumentInnen hängen zu bleiben.

 

Harry Weber

 

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