7.01.2003

Diskussionsbeitrag

Ein "Paradevorzeig"-Beispiel
für Nachhaltigkeits-Geschwätz

Liebe MitdiskutiererInnen!

Ich habe hier ein "Paradevorzeig"-Beispiel für Nachhaltigkeits-Geschwätz von einem Politiker gefunden: Ein Interview mit dem österreichischen Landwirtschaftsminister Josef Pröll (unten einkopiert mit Kommentaren). Ob das mit der energieproduzierenden Landwirtschaft auf der Grundlage von nachwachsenden Rohstoffen tatsächlich so zukunftsweisend und nachhaltig ist, wäre eine eigene Diskussion. Tatsächlich sind die ÖsterreicherInnen in der Biolandwirtschaft und in der alternativen Energiegewinnung schon doppelt und dreifach so weit wie die Deutschen. Dennoch führen beide Bereiche auch dort noch ein Nischen-Dasein. Der springende Punkt ist, daß die schwarz-gelbe östereichische Regierung genauso leeres Stroh drischt wie die rot-grüne deutsche und die Fördermittel völlig unzureichend sind. Allein über Beiträge an die EU und Euratom-Gelder gibt Österreich mehr für die Atom-Subventionierung aus als für alternative Energien oder Biolandwirtschaft. Und ganz entscheidend: Herr Pröll verliert kein Wort darüber, wie er den österreichischen Stromversorgungs-Konzernen die Macht entziehen will. Denn solange das nicht geschieht, bleiben alle diese angesprochenen Pionierleistungen Alibiveranstaltungen auf Widerruf.

Nachhalltige Grüße
Solveig Brendel

Österreichs Landwirtschaftsminister Josef Pröll am 3. Januar 2004 in einem Interview des ORF:

ORF: Es gibt jetzt den ersten energieautarken Bauernhof in Österreich, Wolfgang Löser in Streitdorf im Weinviertel - ist das für Sie ein Meilenstein auf dem Weg zu einer Landwirtschaft, die sich mehr und mehr aus eigener Kraft mit erneuerbarer Energie versorgt?

Pröll: Keine Frage, ein faszinierendes Projekt, weil wir1 ganz klar die Strategie verfolgen, daß erstens die Landwirtschaft in Österreich und in Europa neue Standbeine braucht, und das wird die Energieproduktion zu einem großen Teil sein können, und zweitens, daß gerade dieser Bauernhof in Streitdorf in meiner näheren Heimat darauf zurückgekommen ist, die Kreisläufe wieder zu schließen in der Energieversorgung, auch das faszinierend. Wir haben auch die gesetzlichen Grundlagen geschaffen mit dem Ökostromgesetz2, damit auch finanziell attraktiv3 hier investiert werden kann. Man soll sich das anschauen, man kann davon lernen, ich glaube, daß es zukunftsweisend ist, Energieproduzent Landwirt auf der einen Seite, geschlossener Kreislauf auf der zweiten Seite: eigentlich das Urprinzip der Nachhaltigkeit4 - es ist damit erfüllt.

ORF: Die Landwirtschaft war ja früher Rohstofflieferant, Energie- und Nahrungsmittelversorger - gehen wir solchen Zeiten wieder entgegen?

Pröll: Wie Sie an konkreten Projekten sehen - unter anderem dieser energieautarke Bauernhof - gehen wir5 diesen Zeiten entgegen, ja. Die Bauern werden wieder stärker investieren in Energie, in Energielieferung, werden einen Markt damit erschließen können und nicht nur den Bauernhof selbst damit bedienen können, sondern auch Geld auf einem neuen Markt lukrieren können. Das ist meine Zielsetzung, meine Aufgabe, das entsprechend zu unterstützen, und deshalb ist es besonders wichtig, daß es Beispiele gibt, die zeigen, daß es funktioniert.

Da sind zwei Komponenten: 1. in der Frage der Stromversorgung aus alternativen Energieträgern, 2. aber auch unter Nutzung aller Ressourcen, die auf den Feldern wachsen und was die Treibstoffversorgung betrifft. Ich glaube, wir sollten auf diesem Weg mutiger weitergehen. Ich hab das auch im Rahmen der Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, nämlich die Forcierung alternativer Energie eingebracht.

ORF: Wenn Sie sagen, Sie wollen das entsprechend unterstützen: wann werden Sie die Deckelung von 15 Megawatt pro Jahr bei Strom aus Photovoltaik aufheben?6

Pröll: Im Regierunsgübereinkommen steht das Ziel, daß wir die 15-Megawatt-Deckelung aufheben. Klar muß aber auch sein, daß im gesamten alternativen Energiemix - also Biomasse, Biogas, Windenergie die Photovoltaik mit Abstand die teuerste Energieform ist, von den Investitionskosten her, aber wenn wir das Ökostromgesetz neu zu verhandeln haben - und das wird nächstes Jahr oder 2005 der Fall sein - werden wir natürlich genau evaluieren, wo müssen wir nachschärfen, wo müssen wir in die Offensive gehen und im Bereich der Deckelung der 15 Megawatt sollten wir auch offensivere Wege gehen, das ist mein Ziel, Allerdings, noch einmal: im Verhältnis zu den anderen Energieträgern ist die Photovoltaik sehr teuer. Dennoch ist sie durchaus ein absolutes Zukunftsprojekt.7

ORF: Es gibt genügend Beispiele, daß im Umweltbereich anfangs sehr teure Investitionen durch eine entsprechende Förderung und Verbreitung wesentlich billiger geworden sind. Könnte die Photovoltaik nicht längst viel kostengünstiger sein als sie es heute ist?

Pröll: Keine Frage, daß die Pioniere, die jetzt investieren, und zeigen, wie es geht, unglaublichen Input liefern - das ist ganz, ganz wichtig., denn damit kommt die Technologie in Gang, es wird breitflächiger angeboten, die Kosten können reduziert werden und die Energieform wird billiger. Auf diesem Weg sind wir. Das Ökostromgesetz hat die richtigen Impulse gegeben, und ich glaube, daß wir auf dem richtigen Weg unterwegs sind. Auch die Photovoltaik wird ohne Zweifel ihren wichtigen Platz8 im Energiemix der Zukunft haben.

ORF: Sie gelten als ein Minister, der die erneuerbare Energie stark fördert; Österreich wird heute auch im Ausland schon als Weltmeister am Sektor Biomasse bezeichnet - etwa vom Pressedienst des deutschen Journalisten Franz Alt - haben Sie eine Vision von der Energieentwicklung in Zukunft?

Pröll: Meine Vision von der Energiebewirtschaftung des Landes in Zukunft ist sicher, daß wir ohne die Nutzung von gefährlicher Kernkraft auskommen9 - auch langfristig auskommen; daß wir viel stärker unsere regionalen Energieangebote nutzen - in manchen Teilen Österreichs wächst uns der Wald über die Ohren, und Biomasse ist ein hervorragender Energieträger in der Frage Ersatz von Erdöl und Erdgas in der Raumwärme, aber auch zunehmend mit moderner Technologie zur Stromgewinnung. Biogas ist auf dem Vormarsch, das war früher ja gang und gäbe, und wir werden jetzt wieder aus der Landwirtschaft, aus den Grünschnitten der Gemeinden stärker Biogas produzieren und damit Strom erzeugen. Windenergie und Photovoltaik werden ihr übriges dazu tun, daß wir gemeinsam mit Wasserkraft einen guten zukunfsträchtigen Energiemix für Österreich zusammenbringen. Dazu brauchts aber auch gesetzliche Rahmenbedingungen und entsprechende Einspeistarife, um Sicherheit für die Investoren zu geben.10

ORF: Könnte die Biomasse nicht viel stärker mit Hilfe von Kraft-Wärme-Kupplungen zur Stromerzeugung genutzt werden?

Pröll: Klar ist, daß die Kraft-Wärme-Kupplung der Weg der Zukunft ist. Man kann dann Biomasse nicht nur im Bereich der Raumwärme nutzen, sondern auch wertvollen Strom gewinnen. Da ist die Technologie rasant vorangeschritten und Kraft-Wärmekupplungen sind ja bereits in Industriebetrieben aktiv und in Verwendung.11 Ich glaube, daß mit diesem Energiemix, nämlich Wärme und Strom aus einer Energiequelle, die Biomasse absolut konkurrenzfähig sein wird im Vergleich zu anderen Energieträgern.

ORF: Wie groß sind Ihre Möglichkeiten, erneuerbare Energie zu forcieren angesichts der konträren Interessen großer Konzerne und multinationaler Energieversorger?12

Pröll: Klar ist, Atomkraft ist keine nachhaltige Energieform, sie ist brandgefährlich, wir haben das leider erleben müssen rund um Tschernobyl. Die Folgen sind in den betroffenen Ländern, in der Ukraine, bis heute nicht wegzubringen. Zweitens ist klar, daß fossile Energieträger ein Ablaufdatum haben. Wir können nicht unbegrenzt auf Öl und Gas zurückgreifen. Wir müssen frühzeitig auf alternative Treibstoffe setzen, die vor allem vor der Haustüre wachsen und damit die regionale Wertschöpfung in Österreich halten - Holz nutzen, Biogas produzieren, die Sonne als Energieträger forcieren, die Windkraft dort, wo es möglich ist, intensivieren, und natürlich die Wasserkraft als eine wichtige Basis der Energieversorgung gerade in Österreich. Ich glaube, daß dieser Energiemix Zukunft hat. Atomkraft ist keine Option für mich. Ihr Gefährdungspotential ist derart hoch, daß man unter Einbeziehung der Folgekosten sicher nicht wirtschaftlich oder wettbewerbsfähig damit ist.13

ORF: Was ist noch einmal Ihre persönliche Meinung zu Wolfgang Löser, dem ersten energieautarken Bauern Österreichs, der anfangs belächelt wurde, heute schon ausgezeichnet wird?14

Pröll: Der Bauernhof Löser im Weinviertel ist sicher ein Pionier auf dem Weg Richtung alternativer Energiebewirtschaftung in unserem Land. Er hat es geschafft, mit seinen alternativen Ansätzen energeiautark zu werden, und aus meiner Sicht muß man sich gerade bei solchen Pionieren bedanken. Sie sind Vorreiter, bringen eine Technologie voran, die dann viele andere auch nutzen können. Es ist ein faszinierendes Projekt, überhaupt keine Frage, und wir haben glaube ich mit den gesetzlichen Grundlagen auch solche Projekte induziert. Aber ohne den Idealismus und das Engagement von Einzelpersonen geht das im Prinzip nicht.

Der Betrieb Löser versorgt sich autark mit Strom und versorgt sich auch mit Treibstoffen für seine Traktoren und die PrivatPkws aus eigener Produktion - ein faszinierendes Projekt: auf der einen Seite Landwirt als Energiewirt, auf der anderen Seite auch der Ersatz von fossilen Energieträgern und damit ein maximaler Beitrag zur ökologischen Bewegung in Österreich. Das ist absolut herzeigbar und für mich ein Paradevorzeigbetrieb.

meine Kommentare:

1 das "wir" ist eine Frechheit

2 Was war wohl zuerst?

3 aber ja nicht zu attraktiv

4 Hier offenbart sich Pröll als Schwätzer: Bei nachhaltiger Waldbewirtschaftung beispielsweise muß weder die Asche verbrannter Möbel (das wäre stofflicher Kreislauf) noch beispielsweise die bei der Verbrennung von Holzpellets gewonnene Energie (das wäre energetischer Kreislauf) dem Wald wieder zugeführt werden. Die Beachtung ökologischer Kreisläufe ist allerdings in der Biolandwirtschaft sehr wichtig.

5 Dieses penetrante "wir" ist nicht anderes als eine billige Vereinnahmung zu Werbezwecken. "Image-Transfer" wie es in der PR-Branche heißt.

6 Da könnte der Journalist auch direkt fragen: Wann werden Sie zulassen, daß es eine ernsthafte Konkurrenz für die Energieversorgungsunternehmen wird?

7 Alles unverbindliches Bla-Bla. 2005 oder 2050 oder...

8 Einen wichtigen Platz im Bereich von ein bis zwei Prozent.

9 Das haben die ÖsterreicherInnen ganz ohne Herrn Pröll mit der Verhinderung des AKW Zwentendorf und in all den Jahren seitdem bereits bewiesen.

10 Hört, hört !

11 Seit einem Vierteljahrhundert bekannt und beispielsweise in Rottweil lange erprobt.

12 Hier kommt die Frage dem Kern des Pudels schon bedenklich nahe - wird sich Pröll auch diesmal herauswinden können??? Die Spannung steigt.

13 Tja, ein "Paradevorzeig"-Beispiel eben. Gelernt ist gelernt. Kein Wort zu Konzernen oder multinationalen Energieversorgern - statt dessen liebreizende Worte über Atomenergie für das Ohr der potentiellen ZuhörerInnen. Dabei steht Atomenergie in Österreich schon lange nicht mehr zur Disposition.

14 Und was ein höflicher Journalist sein will, der wechselt aufmerksam und prompt das Thema. Anderes könnte als Impertinenz gewertet werden und die Karriere gefährden.

 

Solveig Brendel

 

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