20.07.2003

Pleiten, Pleiten und -
noch mehr Pleiten

Bereit 2001 war die Zahl der Firmeninsolvenzen (inclusive Kleingewerbe) gegenüber dem Vorjahr um 16 Prozent gestiegen. 2002 stieg sie nochmals um gut 16 Prozent. Und in den ersten vier Monaten dieses Jahres gewann die Höllenfahrt zusätzlich an Drive mit einem Anstieg von 26 Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum.

Firmenpleiten 1995 - 2002

Quelle: Statistisches Bundesamt

Betroffen waren laut Statistik vor allem die kleinen Firmen mit nur wenigen Angestellten und die kleinen Gewerbetreibenden. Bei den Insolvenzen von VerbraucherInnen gab es sogar eine Steigerung um über 75 Prozent.1 Dieser Erosionsprozeß des deutschen Mittelstandes birgt enormen sozialen Sprengstoff. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts war es exakt derselbe Umbruch und dieselbe Polarisierung der Gesellschaft, die in großer Zahl autoritätsgläubige aber zugleich völlig verängstige Menschen in die Arme der Nazis trieb. Auch heute fühlen sich die kleinen Einzelhändlerinnen oder Nebenerwerbsbauern nicht mit den unteren Schichten der Gesellschaft solidarisch, sondern sie sehen sich als kleine Kapitalisten, deren fundamentales Menschenrecht auf Eigentum von einer anonymen Macht zerstört wird.

Es besteht die große Gefahr, daß Millionen, die sich in ihrer Existenz bedroht fühlen, zugleich aber das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren haben, sich populistischen oder schlimmer noch: neuartigen totalitären Parteien in die Arme werfen. Das Vertrauen in die konservativen Parteien scheint mit dem Abgang von Kohl hierzulande unwiederbringlich perdu. Aber ebenso gründlich haben inzwischen "Rot" und "Grün" in jenen Schichten, die ihre Wahl-Phantasmagrie von der "Neuen MItte" 1998 und nochmals 2002 mit viel Friedens-Rhetorik übergossen knapp geglaubt haben, jenes "Vertrauenskapital" verspielt. Die Umworbenen meinten, ihre bequeme Mittelposition aus fetten Wirtschaftswunderjahren mit nebulösen Ruck-Appellen, Entkrustungs-Voluntaristik und verträumten Wünschen nach einer "Fexibilisierung" der in "Besitzstandswahrung" erstarrten Gesellschaft erhalten zu können.

Flexibilität heiß aber im Klartext: Mindestens ein Part muß sich bewegen. Solange die Mittelschicht träumt und das obere Drittel, das sich stärker wähnt als je, noch mehr und noch mehr an sich reißt, muß das untere Drittel weichen - und die Mittelschicht wird dabei unversehens zerrieben. Da letztlich aber nicht das Großkapital, sondern Mittelstand und Gewerbe die Basis des Kapitalismus bilden, zieht sich der Kapitalismus damit selbst den Boden unter den Füßen weg. Das ist nun keineswegs witzig, sondern - wie die Geschichte lehrt - äußerst gefährlich.

Tragisch mutet es an, wenn jetzt zugleich die orthodoxe Linke, die nunmehr angesichts massenhafter Kritik an "neoliberaler Globalisierung" Morgenluft wittert, meint, ihre schon lange eingemotteten Lehren vom unweigerlichen Ende des Kapitalismus wieder auspacken zu müssen. Lange Jahre von "Rot-Grün" ins Niemandsland oder gar in die Partei der realexistierenden Zombies abgedrängt und völlig von allen guten Träumen an die "Arbeiterklasse" verlassen, meint sie nun diese in Gestalt der "Lohnabhängigen", "Werktätigen" oder ein bißchen entstaubt: "abhängig Beschäftigten" wiederentdecken zu müssen. Arbeitslose, kleine Gewerbetreibende, Tante-Emma-Laden-BesitzerInnen und Kleinbauern und -bäuerinnen sollen also auf die Seite der "Kapitalisten" eingeteilt werden ? Angestellt mit Monatsgehältern von 4.000, 5.000 Euro oder ein "grüner" Bsirske mit 13.500 Euro (plus 13-tem Monatsgehalt) aber zu den "Proletariern" eingereiht ?

Das obere Drittel mit Haushaltseinkommen von über 2.000 Euro weiß dagegen genau, auf welcher Seite es steht und warum es ausgerechnet dem unteren Drittel "Besitzstandswahrung" vorwirft. Ihm umgekehrt das selbe Schlagwort um die Ohren zu hauen, wäre denn auch verfehlt, geht es doch dieser Seite tatsächlich um gesteigerte Besitzstandsmehrung. Solange die unteren zwei Drittel (alp-)träumen oder meinen, alte Fehler wiederholen zu müssen, sieht es schlecht aus. Und solange hat die realistische Perspektive einer grundlegenden Demokratisierung der Wirtschaft, eine Perspektive, die sich auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit stützen könnte, keine Chance.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkung:

1 Siehe auch unser Artikel Reiche werden noch reicher (12.06.03)

 

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