25.06.2004

Gefährdet Caroline
die Pressefreiheit?

Die Bundesrepublik Deutschland ist gegen Caroline von Hannover1 vor dem Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßbourg unterlegen. Dieses Urteil freut mich, auch wenn es einen leicht unheimlichen Beigeschmack hat. Aber nur weil hier eine Prinzessin in einer im Grunde anachronistischen Angelegenheit Recht bekommen hat, gibt es keinen Grund, sich die Freude zu verkneifen. Sich zugleich mit ihr zu freuen, heißt nicht, sich mit ihr gemeinsam zu freuen. Das würde sie sich wohl auch verbitten...

Zum zweiten ist dieses Urteil für mich nicht etwa deshalb erfreulich (um die Abgrenzungen gleich vorneweg zu erledigen), nur weil Deutschland (und damit indirekt auch das deutsche Bundesverfassungsgericht) den kürzeren gezogen hat. Aber es gibt drei Gründe von politischer Relevanz, die meine Freude als zugleich emotionaler und rationaler Natur erweisen.

Die sogenannte 'Yellow Press' oder Regenbogenpresse ("Alles so schön bunt hier!") erleidet damit eine Niederlage. Sie heult auch entsprechend lautstark auf und jammert von "Zensur", so der Anwalt der 'Hubert Burda Medien Holding', Robert Schweizer, der die Bundesrepublik Deutschland in Straßbourg hatte unterstützen dürfen. Darauf komme ich noch. Zunächst: Was ist gegen Produkte einzuwenden, die doch gerade bei den unteren Schichten auf große Nachfrage treffen? Vielfach ist heute auch von Linken das zynische Argument zu hören, "das Volk" wolle nun mal verdummt werden...

Doch was haben die Menschen heute überhaupt an Auswahl? Ich will mal außer acht lassen, daß der Anteil der Lesemuffel in dieser Gesellschaft von Jahr zu Jahr rapide wächst und laut PISA-Studie der Anteil der 15-jährigen, die freiwillig kein Buch mehr anfassen, bereits 42 Prozent beträgt. Für Menschen ohne Abitur sind die "seriösen" Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine kaum lesbar. Studien belegen, daß die Zeitungs-Sprache häufig schwer verständlich ist. Verwendete Fachbegriffe setzen ein Vorwissen voraus und Jugendliche müssen sich in der Regel erst wochenlang durchbeißen, um einen Zugang zu dieser Sphäre zu finden. So können sich Kinder aus den Unterschichten zwar einen kulturellen Zugang zur heute immer besser abgeschotteten Welt der Eliten erlesen. Außer diesem materiellen Vorteil bietet ihnen die Sparte der "seriösen" Medien allerdings weitestgehend standardisierten Einheitsbrei.

Springer, Bertelsmann, Heinrich-Bauer-Verlag, Burda, Holtzbrinck- Konzern, Essener WAZ-Konzern und Neven DuMont 2 haben die regionalen Monopole untereinander aufgeteilt. Und seit 1996, als zwei Jahre vor der Bundestagswahl die Entscheidung für Gerhard Schröder als Nachfolger Helmut Kohl fiel, bis Anfang 2004, als sich ein deutlicher Umschwung zeigte, wurde die neoliberale Politik von "Rot-Grün" und deren Protagonisten Gerhard Schröder und Joseph "Joschka" Fischer wohlwollend "begleitet".3 Doch nicht allein der direkte Druck der Verleger erzeugt den journalistischen Einheitsbrei. Auch über Rationalisierungen, Zeitdruck und Konzentrationsprozesse bei den Nachrichtenagenturen wird ein Instant-Journalismus gefördert. Vorformulierte Fertigware wird lediglich weitertransportiert, geliefert nicht nur von den Nachrichtenagenturen, sondern immer häufiger auch direkt von Pressestellen und Propagandastäben.

Einfache Menschen haben oft ein gutes Gespür dafür, daß sie von den vorgeblich seriösen Medien ebenso "verarscht" werden wie von der Regenbogenpresse. Auch wenn sie dies nicht argumentativ begründen können. Und so wenden sie sich denn nicht selten in bewußter Resignation der wohligen Scheinwelt der Regenbogenpresse zu. Dies als "Ersatz-Befriedigung" für echte Information zu bezeichnen, wäre nicht nur zu pauschal, sondern geht am Wesentlichen vorbei. Ähnlich dem gesellschaftlich (halbwegs) stabilisierten Drogengebrauch in Form von Zigaretten, Alkohol, THC und Psychopharmaka oder dem heute breit aufgefächerten Markt an Religions- und Therapie-Angeboten, bietet die Regenbogenpresse schlicht die bequemere Variante fürs "Abschalten am Feierabend". Was Karl Marx noch als "Opium des Volks" bezeichnete ist heute marktwirtschaftlich optimiert und auf die "individuellen" Bedürfnissen maßgeschneidert. Es handelt sich dabei um kein "Scheinbedürfnis". Jeder Mensch hat die Wahl zwischen dem Bedürfnis nach Illusion und dem Bedürfnis nach Freiheit. Das eine ist leicht zu befriedigen - das andere setzt voraus, jenem nicht nachzugeben.

Freude bereitet es mir auch, daß ein lächerlicher und wissenschaftlich verbrämter Rechtfertigungs-Versuch einmal gescheitert ist. Es ist der Versuch, die Existenz der Regenbogenpresse damit zu rechtfertigen, daß sie einem rationalen Bedürfnis diene. Immer wieder ist behauptet worden, auch die Regenbogenpresse leiste einen "Beitrag für die Meinungsbildung in der Gesellschaft" und gerade "Berichte" über das Alltagsleben von Prominenten böten "Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen". Diesen Argumenten war das Bundesverfassungs- gericht 1999 gefolgt und hatte die Persönlichkeitsrechte gegenüber (vermeintlichem) Presserecht nur geringfügig verbessert. Zwei kleine Einschränkungen hat die deutsche Rechtsprechung den Voyeuren und Schlüsselloch-Journalisten seither zugemutet: Auch in der Öffentlichkeit könne es "Orte der Abgeschiedenheit" geben, wo Prominente nicht fotografiert werden dürfen. Und außerdem seien Fotos von Prominenten ohne deren Zustimmung dann nicht erlaubt, wenn diese von ihren Kindern begleitet werden.

Der Straßbourger Gerichtshof beurteilte dies als "nicht ausreichend". In Deutschland gebe es "keine faire Balance" zwischen der "Pressefreiheit" und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte. Damit werde das "Recht auf Schutz des Privatlebens" verletzt, das durch die Europäische Menschenrechtskonvention (die neue EU-Verfassung wird nicht erwähnt!) garantiert sei. Dieser Beschluß wurde einstimmig gefaßt.

Ist damit nun die Pressefreiheit in Gefahr, wie eine Allianz aus Burda-Verlag, Verband der deutschen Zeitschriftenlerleger und Deutschem Journalistenverband in trauter Einigkeit verkünden? Wer beobachtet hat, wie der Konzentrationsprozeß im Verlags- und Medienbereich seit dem Fall der Mauer sich beschleunigt hat und wie die verlegerische Macht immer rücksichtloser zur Unterdrückung jeglichen kritischen Journalismus eingesetzt wurde, kann nur müde lächeln, wenn ausgerechnet diese Totengräber der Pressefreiheit aus dem Lager der Verleger sich zu deren Verteidiger aufschwingen wollen. Aber ich freue mich, daß hiermit einmal das Thema Pressefreiheit in die öffentliche Debatte gerät.

Wer einmal die vielfältige und tatsächlich pluralistische Zeitungsvielfalt der Weimarer Republik mit der heutigen Monokultur von einer Presselandschaft vergleicht, wird sich vielleicht erst bewußt, in welcher journalistischen Einöde wir leben. Wer einige Male die Artikel von zehn beliebigen deutschen Tageszeitungen zu einem überregionalen Thema im Internet abruft und vergleicht, wird über die dabei ersichtliche Uniformität erschrecken. Eckart Spoo zitiert in seinem Artikel 'Pressefreiheit: Mißbrauch publizistischer Macht'3 den Medien- wissenschaftler Norbert Jonscher, der ein vernichtendes Urteil über die deutsche Lokalpresse fällt, und zudem zeigt er beispielhaft an den Themen "Enttabuisierung des Militärischen" und "Hetze gegen die Gewerkschaften" auf, wie sehr die Medien ihre Macht - von der Mehrheit unbemerkt - einsetzen, um die politische Richtung zu bestimmen.

Doch auch ein Rest von Pressefreiheit könnte nun durch das Urteil des Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefährdet sein. Ich könnte es mir nun einfach machen und der Regenbogen- presse generell absprechen, daß es sich dabei überhaupt um Presse handelt. Gute Gründe gäbe es dafür zur genüge. Comics und Anzeigenblättchen werden ebenfalls per Druckpresse produziert und erheben nicht den Anspruch, Erzeugnisse im Sinne des Presserechts zu sein. Sie haben in der Regel ebenso wenig mit einer reflektierenden Darstellung der Realität zu tun wie beispielsweise eine rein spekulative und mit nichtssagenden Fotos ergänzte Meldung über die Schwangerschaft einer Prominenten. Doch die Abgrenzung wäre schwierig - insbesondere bei einem Zwitterprodukt wie dem meistverkauften Toilettenpapier mit den vier Buchstaben.

Da packe ich diese Elaborate doch lieber bei ihrem eigenen Anspruch, zur Meinungsbildung in der Gesellschaft beizutragen oder Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen zu bieten. Selbst, wenn letzteres nichts mit Journalismus zu tun hat. Was - bitte schön - tragen "Berichte" über einsame Spaziergänge von Caroline am Meer, Bilder ihrer nackten Brüste oder Spekulationen über Depressionen und Schwangerschaften zur Meinungsbildung bei? Sie dienen entweder dem puren Voyeurismus, der Identifikation mit einer vermeintlichen Traumwelt oder der Häme über das (angeblich) traurige Schicksal von Superreichen. All das hat mit Journalismus nichts zu tun. Und wenn hier nun durch das Urteil Grenzen gezogen werden, geht - ergo - auch kein journalistischer Spielraum verloren. Ob es sich bei einer Promi-Hochzeit um ein gesellschaftlich relevantes Thema handelt, sei einmal dahin gestellt - aber dieser Bereich wird mit dem Urteil ja nicht einmal eingeschränkt. Und daß investigativer Journalismus aus übergeordneten Gründen des öffentlichen Interesses in geschützte Bereiche eindringen darf, ist in einschlägigen Gerichtsurteilen bestätigt worden. Allerdings müssen solche Gründe dann auch strengen Kriterien standhalten können. Und das Argument mit den Lebensentwürfen ist schlicht und einfach als spekulativ zurückzuweisen. Ob beispielsweise die Scheidungsrate in Deutschland in Folge der breiten Darstellung der Lebensweise von Carolines Schwester Stephanie gestiegen ist, wird wohl nur ein Witzbold behaupten. Wo also kein journalistischer Bereich existiert, der eingeschränkt würde, kann also auch von Zensur oder Einschränkung der Pressefreiheit keine Rede sein.

 

Harry Weber

 

Anmerkungen:

1 geborene Grimaldi
    und auch nach ihrer Heirat mit Ernst August von Hannover
    noch häufig als "Caroline von Monaco" bezeichnet

2 Um ein bißchen Transparenz zu schaffen
    hier eine (noch zu vervollständigende) Liste, was wem gehört:

Springer
größter Zeitungsverlag in Europa, Marktanteil an Tageszeitungen in Deutschland: ca. 25 Prozent
BILD, BamS, Welt, Welt am Sonntag, BZ (Berliner Zeitung), Berliner Morgenpost, Hamburger Abendblatt, Lübecker Nachrichten,...

Bertelsmann
mit Abstand größter Medienkonzern in Deutschland und weltweit auf Platz 5
RTL, RTL 2, Super RTL, VOX
Gruner+Jahr (stern, Geo, Capital, Brigitte, essen & trinken, PM,...)
Hamburger Morgenpost
Mehrheitsbeteiligungen an: Sächsischen Zeitung, Morgenpost Sachsen (beide Dresden).

Heinrich-Bauer-Verlag
mit rund zwei Milliarden Euro Umsatz im Pressebereich an dritter Stelle in Deutschland
Volksstimme (Magdeburg)
Fernsehwoche, Tina, Bravo, Neue Revue, Neue Post

Burda
rund 1,5 Milliarden Euro Umsatz
Norddeutschen Neuesten Nachrichten" (Rostock), Schweriner Volkszeitung
Bunte, Focus, Freundin, Super Illu, Burda Moden, Playboy,...

Holtzbrinck-Konzern
Die Zeit, Handelsblatt, Tagesspiegel (Berlin), Südkurier, Lausitzer Rundschau (Cottbus), Saarbrücker Zeitung, Main-Post (Würzburg), Südkurier (Konstanz),...

WAZ-Konzern
Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (Essen), Westfälischen Rundschau (Dortmund), Neuen Ruhr-Zeitung, Westfalenpost (Bielefeld), Thüringer Allgemeine (Erfurt), Ostthüringer Zeitung (Gera)

Neven DuMont
Kölner Stadtanzeiger, express, Kölnische Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung

3 Siehe auch den Artikel

    'Pressefreiheit: Mißbrauch publizistischer Macht' (5.04.04)

 

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