Rezension zum Buch von:

Antje Radcke 'Das Ideal und die Macht'

Politik als Selbstzweck

Aufstieg und (weicher) Fall der ehemaligen Grünen-Sprecherin
Antje Radcke: Das Ideal und die Macht.
Das Dilemma der Grünen.
Henschel Verlag, Berlin 2001, 256 Seiten, DM 39,90

Der Schock kam mit Verzögerung. Nachdem Antje Radcke im Juni 2000 ihren Posten als Vorstandssprecherin der Grünen an den Nagel gehängt hatte, mußte sie erstmals in ihrem Leben ein leibhaftiges Arbeitsamt aufsuchen. Und als sie dann auch noch den Bewilligungsbescheid über schlappe 2.800 Mark im Monat erhielt, stand ihr Entschluß fest: so schnell wie möglich wieder einen gut dotierten Posten in der Politik ergattern. Gesagt, getan: Sofort wurden die alten Hamburger Seilschaften mobilisiert, und nur wenig später saß Radcke wieder auf dem Sessel der Hamburger Grünen-Vorstandssprecherin, den sie für ihren Ausflug in die Bundespolitik geräumt hatte. Und es wäre doch gelacht, wenn nach den Bürgerschaftswahlen im September dieses Jahres nicht ein Senatorenposten für sie abfällt.

In ihrem Buch »Das Ideal und die Macht. Das Dilemma der Grünen« verhehlt die zurückgestufte Parteifunktionärin kaum, was sie umtreibt: der Wille zur Macht, dem Inhalte und Ideale konsequent untergeordnet werden. Und so gerät die in der Verlagswerbung groß angekündigte »Abrechnung mit Joschka Fischer« zur Farce. Politik reduziert sich für die gelernte Sonderpädagogin auf Ränkespiele von männlichen Wesen, deren Tun und Trachten darauf gerichtet ist, Frauen vom Olymp der Herrschenden fernzuhalten. Freimütig beschreibt sie ihren Weg an die Grünen-Spitze als Ergebnis parteiinterner Intrigen. Da ihr Vorgänger Jürgen Trittin ins Ministeramt gewechselt war und die Geschlechterparität in grünen Spitzenämtern durch zwei grüne Männer und nur eine Frau im Kabinett leicht gestört war, ersannen die (männlichen) Parteistrategen die weibliche Doppelspitze. Weitere zu beachtende Paritäten waren damals noch »Ost - West« und »Realos - Linke«. Da alle anderen in Frage kommenden weiblichen West-Linken entweder schon Minister- oder Senatorenposten ergattert hatten bzw. wie Renate Künast und Michaele Schreyer längst nach einem Posten als EU- Kommissarin gierten, blieb eigentlich nur noch Antje Radcke übrig, die sich ihre Meriten im Hamburger Landesvorstand als parteiinterne Minenräumerin für den Kurs der Oberreala Krista Sager verdient hatte. Diese hatte nach der Hamburger Bürgerschaftswahl 1997 gleich darauf verzichtet, mit irgendwelchen grünen Forderungen in die Koalitionsverhandlungen mit der SPD zu gehen, um die heiß ersehnte Machtbeteiligung möglichst problemlos zu erreichen.

Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: umweltzerstörende Mammutprojekte wie ein weiterer Elbtunnel und die Aufgabe mehrerer Naturschutzgebiete, äußerst rigide Flüchtlingspolitik, Vertreibung von Obdachlosen aus der Innenstadt und Kahlschlag bei Sozial- und Kulturprojekten. Diese SPD-Grünen-Koalition war das heiß ersehnte Referenzprojekt für die angestrebte Liaison auf Bundesebene, das Signal an Schröder: »Du kannst mit uns machen, was du willst, Hauptsache, wir dürfen mitmachen.«. Solche Frauen sind nützlich.

Doch ganz oben wird die Luft dünn. Schnell wurde Radcke und ihrer ostdeutschen Vorstandskollegin Gunda Röstel klargemacht, was ihre Rolle sein sollte: jede Schweinerei in die Partei »hinein zu kommunizieren« wie es Joseph Fischer den beiden auftrug, als Hupfdohlen des grünen Neoliberalismus. Antje Radcke litt darunter, natürlich als Frau, nicht als linke Politikerin. Schröder habe sie regelrecht ignoriert, Fischer war für sie nicht zu sprechen, zu Koalitionsrunden wurde sie nicht eingeladen. »Verschlossene Türen« wurden ihr Trauma, denn hinter denen verschanzten sich jene grünen Männer, die ihr den Weg nach ganz oben versperrten. Neben Fischer und Trittin waren das nach Radckes Beobachtung vor allem der Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch, der Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer und ihr Nachfolger Fritz Kuhn, die sich ständig ohne sie bei »Kungelrunden« und »Kamingesprächen« trafen, dabei »männliche Arroganz« und »männliche Dominanz« demonstrierten sowie »Kooperationsbereitschaft« und »soziale Kompetenz« vermissen ließen.

Dabei hatte die gestandene Altlinke ihren Bossen ein nahezu bolschewistisches Angebot gemacht. »Ich versuchte weitgehend, Konflikte intern auszutragen und nach außen dann eine gemeinsam getragene Linie zu vertreten.« Und so verkommt die grüne Kriegstreiberei gegen Jugoslawien bei Radcke auch zur Schmonzette über parteiinterne Ränke und »innere Zerrissenheit«. »In mir tobte ein Streit. Jetzt auf der Stelle trittst du zurück! Nein, du kannst doch jetzt nicht kneifen!«

Natürlich »kniff« sie nicht und »kommunizierte« den Krieg in die Partei hinein. Letzten Endes habe sie sich angesichts des Risikos eines Koalitionsbruches »schweren Herzens« für den Krieg entschieden. Für die moralische Selbstrechtfertigung wird dann schon mal die gute alte deutsche KZ-Aufseher- Mentalität bemüht: »Mitentscheidend war die Gewißheit, daß auch ohne deutsche Beteiligung die Bombardements seitens der NATO weitergehen würden.« Trotzdem habe sie Scharping und Fischer die ganze Sache »sehr übel« genommen.

So langsam schien sie nach dem Bielefelder Parteitag und dem Auszug vieler Restlinker aus der Partei - in ihrem heimatlichen Landesverband Hamburg hatte sich die »Regenbogen«-Fraktion von den Grünen getrennt - zu begreifen, daß sie nicht einmal mehr als Dekoration auf Bundesebene gebraucht wurde. So nutzte sie den grünen Parteitagsbeschluß über die Bestandsgarantie für die deutsche Atomindustrie im Juni 2000 für einen leidlich effektvollen Rücktritt, begleitet von einem Schulterzucken der Parteioberen, die ohnehin schon längst beschlossen hatten, das hilflose Duo Röstel/Radcke bei der bald fälligen Neuwahl der Parteispitze durch die Macher Kuhn und Künast zu ersetzen. Natürlich war ihr Leiden nach dem Rücktritt nicht beendet.

Nachdem sie auf einer Hamburger Anti-NPD-Demo von Autonomen mit faulen Tomaten beworfen wurde, könne sie »nicht mehr unbefangen U-Bahn fahren«. Sogar beim »Aufstand der Anständigen« am 9. November in Berlin habe sie sich »regelrecht verfolgt« gefühlt. Hamburger Junggrüne, die selbst an die Fleischtöpfe wollen, hätten sie aufgrund ihrer Kandidatur für den Vorstandsjob in Hamburg als »Versorgungsfall« und »Politrentnerin« bezeichnet. Und einige hätten sogar kritisiert, daß der zur Wahl stehende Mann für den Schatzmeisterposten ihr Lebensgefährte sei, woraus sie »ihm einen Strick drehen wollten«. Doch darauf hatten Antje und ihr Partner die passende Antwort. »Antje und ich haben uns intensive Gedanken darüber gemacht, ob die gemeinsame politische Arbeit unserer Beziehung schaden könnte. Wir gehen aber nicht davon aus, daß eine gut funktionierende Beziehung der Politik schaden wird.« Soviel zum Thema Kungelrunden.

Antje Radckes Buch ist alles andere als eine politische Analyse der Entwicklung der Grünen in den letzten Jahren. Bestenfalls handelt es sich um eine Art Schlüsselroman aus der Dienstmädchenkammer der Macht. Aber eigentlich ist es nur der aufgeschriebene geballte Frust einer Frau, die ganz nach oben wollte, sich dafür prostituierte und es trotzdem nicht schaffte.

Rezension von: Rainer Balcerowiak
aus: 'junge welt'
mit Dank für die Erlaubnis zur Nachveröffentlichung

 

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