26.03.2002

Seveso in Berlin

Dioxin-Funde im Umfeld des Flughafens Schönefeld bringen Umweltverbrechen ans Tageslicht

Auch unter der neuen Berliner "rot-roten" Regierung mit Staatsschauspieler und regierendem Berliner Bürgermeister Wowereit an der Spitze wurde ein schon seit langem ruchbar gewordener Umwelt- Skandal weiter vertuscht. Hintergrund ist, daß die Dioxin-Funde die geplante Erweiterung des Berliner Flughafens Schönefeld stoppen oder zumindest verzögern könnten und eine Sanierung der kontaminierten Flächen zwei- bis dreistellige Millionenbeträge erfordern würde.

Bereits im November 2001 hatte die 'Süddeutsche Zeitung' von Altlastenproblemen berichtet, nachdem GREENPEACE auf den Skandal aufmerksam gemacht hatte: Im kleinen Dorf Diepensee, das für den Flughafenausbau komplett umgesiedelt werden und wo das Zentrum des "überplanten" Airports entstehen soll, waren tausende Tonnen dioxinhaltigen Klärschlamms aufgetaucht. Vermutet wird, daß der Giftschlamm entstand, nachdem jahrzehntelang Rückstände von Desinfektionsmitteln aus den Bordtoiletten der DDR-Fluglinie Interflug im Klärwerk Diepensee gelagert wurde, wo sie mit anderen Chemikalien zu Dioxin reagierten.

Wie üblich versprachen die Behörden eine Beseitigung des Problems. Tatsächlich fand nur eine teilweise Entsorgung unter zweifelhaften Bedingungen statt. Das Sammelbecken mit dem giftigen Klärschlamm lief immer wieder über und die Brühe gelangte in Teiche und Felder der Umgebung.

Am gestrigen Montag (25.03.02) veröffentlichte die Bürgerinitiative BVBB die Ergebnisse einer neuen von ihr in Auftrag gegebenen Untersuchung. Einer der beauftragten Wissenschaftler, Prof. Hötzl vom hydrologischen Institut der Universität Karlsruhe, sprach ohne Umschweife von "Umweltkriminalität". Die Forscher fanden unerwartet hohe Dioxinwerte. Spitzenwerte von 34.700 Nanogramm wurden gemessen. Gesetzlich ist bei Funden in Industriegebieten ein Bodenaustauch ab einem Wert von 10.000 Nanogramm vorgeschrieben. Für spielende Kinder, für die das Gelände noch bis vor kurzem zugänglich war, übersteigt die Kontamination sogar das 350-fache. Hötzl übte scharfe Kritik an Umweltamt, Ministerium und Flughafengesellschaft. Nach dem Bodenschutzgesetz müßten alle verseuchten Flächen sofort abgetragen und als Sondermüll entsorgt werden.

Der am jetzt veröffentlichten Gutachten beteiligte Bremer Medizinprofessor Frentzel-Beyme legte dar, daß das Ausmaß der Dioxin-Verseuchung rund um Diepensee mit Dioxin-Unfällen wie 1953 bei der BASF in Ludwigshafen, der Bille-Siedlung in Hamburg 1996 oder der bekannten Dioxin-Katastrophe von Seveso im Jahre 1976 zu vergleichen seien. Die ermittelten Werte lägen sogar um rund 50 Prozent höher als im Außenring des damals in Seveso verseuchten Gebietes.

Nach Auskunft von Prof. Dr. Frentzel-Beyme bedeutet die Belastung erhöhtes Krebsrisiko und vor allem die Gefahr neurologischer Störungen. Weitere Folgeerscheinungen bei Dioxinvergiftungen seien Apathie, Abwehrschwäche sowie Unfruchtbarkeit bei Männern. Nach Aussage von Bürgerinitiativ-Sprecher Breidbach wird die Gefahr von Seiten der Landesregierung und der Flughafen Berlin Schönefeld GmbH in voller Kenntnis seit 1994 aus Kostengründen vertuscht: "Jeder Privatmann hätte längst die Staats- anwaltschaft im Haus. Doch in diesem Fall schützt sich der Staat mit Hilfe von Filz, Verschleierungstaktik und Untätigkeit. Die wollen weder den Zeitverlust hinnehmen, den eine Sanierung bringen würde, noch die erheblichen Kosten dafür aufbringen. Am liebsten möchten sie über alle verseuchten Flächen den Beton des neuen Flughafens gießen und sich einen Dreck um die Gesundheit der Anwohner kümmern."

 

Adriana Ascoli

 

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