29.10.2007

Rede

Pro und Contra
LokführerInnen-Streik

Zunächst einmal zum Wichtigsten: Ist die Lohnforderung der LokführerInnen gerechtfertigt?

Wir sollten hier Argumente wie die von der hohen Verantwortung, von Gerechtigkeit, der Vergleich mit der Erhöhung der Bezüge des Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn um 77 Prozent auf 3,18 Millionen Euro im Jahr, beiseite lassen. Solche Betrachtungen haben in anderem Zusammenhang durchaus ihren Sinn. Im Zusammenhang mit Lohnforderungen sind sie nichts als Esoterik.

Wie ich schon mal in einem Redebeitrag aufgezeigt habe, zählt im Kapitalismus bei Tarifauseinandersetzungen ausschließlich der Marktwert der Ware Arbeit. Liegt der tatsächliche Lohn unter dem Markwert, ist eine Erhöhung angesagt - notfalls muß diese mit Streik erkämpft werden. Alles andere wäre ein Geschenk an die Kapitalseite. Nicht nur, daß wir uns keine Geschenke leisten können - jedes Geschenk an die Gegenseite wird zur Waffe gegen uns benutzt.

Jedes Spekulieren über den Verantwortungsgrad einer bestimmten Arbeit - oder Gerechtigkeits-Erwägungen im Vergleich zu Manager-Gehältern - führen auf Abwege: Gibt nämlich der Markwert keinen höheren Lohn her, kann es dazu kommen, daß wir uns von solchen - an dieser Stelle nicht angebrachten Argumenten - zu einem Streik verleiten lassen, bei dem wir uns nur eine blutige Nase holen. Dabei ist nichts gewonnen und es kann im Extrem so weit kommen wie bei den zurecht immer wieder angeführten Bergarbeiter-Streiks in Großbritannien, die dann zur Zerschlagung ihrer Gewerkschaft führten.

Um uns ein Bild vom realen Marktwert der Arbeit von LokführerInnen zu machen, genügt ein Blick ins benachbarte Ausland. Die dortigen Bahngesellschaften zahlen keineswegs freiwillig mehr als sie müßten. In Italien, in Österreich, in der Schweiz, in Skandinavien und in Frankreich verdienen LokführerInnen erheblich mehr als in Deutschland. In Frankreich geht keinE LokführerIn unter 3000 Euro netto nach Hause.

Nicht beamtete LokführerInnen in Deutschland erhalten rund 1.600 Euro netto. LokführerInnen, die Beamte sind, werden ein bißchen besser bezahlt. 50-jährige Beamte, die 30 Jahre im Betrieb sind, gehen beispielsweise mit 2200 bis 2300 Euro im Monat nach Hause.

Seit 2004 mußten die Beschäftigten der Deutschen Bahn AG reale Einkommensverluste von rund 10 Prozent hinnehmen.

Doch die Lage der deutschen LokführerInnen ist nicht nur beim Lohn beziehungsweise Gehalt erheblich schlechter als der ihrer europäischen KollegInnen. Hinzu kommen extrem miese Arbeitsbedingungen:

Überstunden
Für LokfüherInnen gibt es eine bestimmte Jahresarbeitszeit. Diese liegt bei rund 2.080 Stunden. Überstunden, die sie machen werden nicht bezahlt, sondern reduzieren theoretisch die Jahresarbeitszeit des Folgejahres. Dies funktioniert aber nicht, da jedes Jahr neue Überstunden hinzukommen. So schieben LokfüherInnen durchschnittlich einen Berg von 400 bis 500 Überstunden vor sich her - also 10 bis 12 Wochen. Ein zinsloses Darlehen an die Bahn AG.

41-Stunden-Woche
Das Fahrpersonal arbeitet pro Woche eine Stunde mehr als alle anderen.

Wenn ich hier diese Fakten zu den Arbeitsbedingungen aufzeige, geht es nicht darum, auf Mitleid zu machen. Die Arbeitsbedingungen sind neben dem nominalen Lohn der zweite Teil in Tarifvereinbarungen. Es geht also auch hierbei um den realen Marktwert ihrer Arbeit, den wir an den Löhnen und Arbeitsbedingungen im europäischen Vergleich ermitteln können.

Was sind die Gründe für das vergleichsweise schlechte Abschneiden der deutschen LokführerInnen?
Da muß ganz offen und gewerkschaftskritisch auf den Tisch: Die Verhandlungsführer der letzten Tarifauseinandersetzungen mit der Bahn AG, Transnet und GDBA haben Geld verschenkt. Sie haben mehrmals und über Jahre hin aus politischen Gründen und wegen ihrer Verflechtung mit der neoliberalen SPD Tarifabschlüsse unter Marktwert vereinbart.

Die GDL lehnt völlig zurecht die Übernahme der am 9. Juli von der Tarifgemeinschaft Transnet und GDBA - das ist die Gewerkschaft Deutscher BundesbahnbeamtInnen und AnwärterInnen - ausgehandelte Tarifvereinbarung ab: Eine 4,5-prozentige Lohnerhöhung ab Januar 2008 bei einer Laufzeit von 19 Monaten und eine Einmalzahlung von 600 Euro.

Nun zu einem gewichtigen Argument gegen den Streik der GDL-LokfüherInnen: Es wird völlig zurecht kritisiert, daß von einem Teil der radikalen Linken die GDL zu einer "traditionsreichen Gewerkschaft" verklärt und als Speerspitze der Gewerkschaftsführung idealisiert wird. Unter manchen Linken, die sich selbst für radikal halten, gilt anscheinend die Maxime: Je höher die Lohnforderung, desto linker die Gewerkschaft. Die Überlegungen zu Beginn zeigten bereits, daß es sich dabei um eine allzu bequeme Vereinfachung handelt. So etwas kann leicht ins Auge gehen.

Es geht jedoch nicht um die Frage, was von der GDL als Organisation zu halten ist, sondern um eine Beurteilung des gegenwärtigen Streiks.

Völlig verfehlt ist in diesem Zusammenhang auch der warnende Hinweis, daß es sich beim GDLVorsitzenden Manfred Schell um ein CDU-Mitglied und einen früheren Bundestagsabgeordneten handelt. Wer erkannt hat, daß es sich im Bundestag heute um eine schwarz-rot-grün-gelbe neoliberale Einheitsfront handelt, läßt sich von derlei Rechts-Links-Rhetorik nicht ins Bockshorn jagen. Wir wissen schließlich, daß beispielsweise der Vorsitzende von ver.di, Frank Bsirske, Mitglied der Pseudo-Grünen ist und sich für eine Verlängerung der Laufzeit von AKWs ausgesprochen hat. Wir wissen auch, daß DGB-Chef Michael Sommer SPD-Mitglied ist. Obwohl er gelegentlich recht radikale Töne von sich gibt, ist er als Bremser bekannt und nicht vergessen ist, daß er die sogenannten Arbeitsmarkt-Reformen der "rot-grünen" Bundesregierung unter Gerhard Schröder - also die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze - mittrug. Wir wissen also, daß wir diesen Gewerkschaftsbonzen nicht vertrauen können und daß sie - freiwillig oder unfreiwillig - nur dann richtige Entscheidungen treffen, wenn sie gehörig Druck von der Gewerkschaftsbasis bekommen.

Und nebenbei bemerkt: Der Vorsitzende von Transnet, Norbert Hansen, ist ein ausgewiesener Vertreter der sozialpartnerschaftlich orientierten Führungsriege im DGB und in den Einzelgewerkschaften. Er und der jetzige Vorstand von Transnet tragen in hohem Maße eine Mitverantwortung für die Senkung der Reallöhne und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.

Ein sehr gewichtiges Argument ist wiederum, daß der GDL-Streik benutzt werde, um so den Flächentarifvertrag zu zerschlagen. Es ist unstrittig, wenn auf die Bedeutung der Flächentarifverträge hingewiesen wird und auf die Gefahr einer Spaltung, Zersplitterung und Schwächung. Das ist ganz sicher immer das Ziel des Kapitals. Wenn jedoch behauptet wird, Aufgabe und Wirkung einer Organisation wie der GDL sei es objektiv die Belegschaft zu spalten, muß dem entgegengehalten werden: Dies geht aufs Konto von Transnet und GDBA, die die legitimen UND - das ist entscheidend - durchsetzbaren Interessen der LokführerInnen über einen langen Zeitraum vernachlässigt haben. Sie haben zudem die Schlagkraft der LokführerInnen bei einem Streik nicht eingesetzt und mit dem abgeschlossenen Tarifvertrag Geld an die BahnAG verschenkt.

Würde der Streik abgeblasen, wäre die Einheit damit de facto keineswegs wieder hergestellt. Es wird behauptet, mit der Durchsetzung eines eigenen "Fahrpersonaltarifvertrages" trage die GDL faktisch zu einer Zerschlagung der Flächentarifverträge bei, was durchaus zu einer Schwächung der gesamten Gewerkschaftsbewegung führen kann. Das Beispiel ver.di zeigt jedoch, daß es auch heute möglich ist, mehrere Einzelgewerkschaften zusammenzuschließen. Ob dies in jedem Fall sinnvoll ist, wäre eine andere Frage. Im Falle von Transnet, GDBA und GDL wäre dies sicherlich sinnvoll. Hier muß - nach einem hoffentlich erfolgreichen Abschluß der Streiks und entsprechenden Tarifverträgen - gehörig Druck von der Gewerkschaftsbasis und insbesondere von den LokführerInnen ausgeübt werden, daß eine solche Vereinigung zustande kommt. Denn eine solche Einzelgewerkschaft aller Bahnbeschäftigten als Branchengewerkschaft im DGB wäre im Interesse aller bei der BahnAG Beschäftigten. Die Beschäftigten müssen sich die Möglichkeit erkämpfen, die politische Grundlagen und Strukturen hierfür gründlich zu diskutieren.

Den LokfüherInnen weht aus Politik und Medien ein scharfer Wind entgegen. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck, der sich auf dem Hamburger SPD-Parteitag mit einer winzigen Korrektur beim ALG I als Linker zu profilieren versuchte, hat die LokführerInnen zugleich heftig attackiert. Er warf ihnen vor, sie stellten völlig unrealistische Forderungen auf und würden damit die "Solidargemeinschaft aller bei der Bahn" brechen. Dann bezeichnete er den Streik als "Störung des Betriebsfriedens", was einer Aufforderung zu Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Entlassung der Streikenden gleichkommt.

Dennoch erfreut sich der Kampf der LokführerInnen in der Öffentlichkeit einer breiten Solidarität und in Umfragen muß konstatiert werden, daß eine Mehrheit ihren Forderungen zustimmt. Diese Solidarität mit dem Kampf der LokführerInnen ist zu einem Ausdruck für einen Stimmungsumschwung bei der Mehrheit der Bevölkerung geworden und sie ist damit zugleich ein Signal für die zunehmende Ablehnung einer fortgesetzten Politik von Lohnsenkungen und Sozialabbau. Den LokführerInnen muß klar sein, daß ein Erfolg ohne diese Solidarität kaum möglich wäre. Wir dürfen daher von ihnen erwarten, daß sie sich nicht etwa auf einem Erfolg ausruhen, sondern sich dafür ins Zeug legen, eine gemeinsame Branchengewerkschaft der Bahnbeschäftigten zu schaffen. Dies werden weder Hansen noch Schell für sie tun - das müssen sie selbst anpacken.

 

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