20.06.2007

Studiengebühren legalisiert

Soziale Hürde vor den Uni-Pforten erhöht

Das Freiburger Verwaltungsgericht erklärte heute in einem wohl wegweisenden Urteil die Studiengebühren in Baden-Württemberg von 500 Euro pro Semester als rechtmäßig. Das Gericht wies mehrere Klagen ab und ließ Revision zu. Insgesamt stehen rund 2.800 Klagen von baden-württembergischen StudentInnen an, denen nun aber kaum mehr eine Chance eingeräumt wird.

In parallel behandelten Verfahren hatten eine alleinstehende Mutter, eine Schwangere und vier Zivildienstleistende geklagt. Im Mittelpunkt des Interesses stand die Frage, wie der Wiederspruch zwischen den Studiengebühren auf der einen Seite, Gleichheitsgrundsatz, Grundrecht auf freie Berufswahl und UN-Sozialpakt von 1966 zur Unentgeltlichkeit von Bildungseinrichtungen auf der anderen Seite, geleugnet werden könnte.

Merkwürdiger Weise hatte die Bundesrepublik Deutschland 1973 den Sozialpakt der Vereinten Nationen unterzeichnet, laut dem in Hinblick "auf die volle Verwirklichung" des Rechts auf Bildung "der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch die allmähliche Einführung von Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muß." Nun scheinen manche deutsche RichterInnen - entsprechend ihrer Lebensrealität - zwischen Unentgeltlichkeit und Gebühren keinen Widerspruch zu sehen. Sophistisch erklärte der Vorsitzende Richter des Freiburger Verwaltungsgericht, Werner Cordes, das so: "Studiengebühren sind nach diesem Pakt nur verboten, wenn sie abschreckend insbesondere auf ärmere Studierwillige wirken." Das aber verhindere das Darlehensmodell des Landes. Dieses erlaube, die Gebühren samt Zins und Zinseszins nach dem Studium zu bezahlen. So werde niemand wegen finanzieller Probleme vom Studium abgehalten. Entweder haben diese RichterInnen noch nie von arbeitslosen AkademikerInnen gehört oder sie machen sich einen Scherz.

Daß in Deutschland - schlimmer noch als in den meisten anderen europäischen Ländern - eine scharfe soziale Auslese erfolgt und beispielsweise Beamtenkinder eine fünfeinhalb mal höhere Chance auf ein Studium haben als Kinder aus Arbeiterfamilien, hatte erst gestern - einmal mehr - eine von der Bundesregierung finanzierte Erhebung bewiesen.1 Müßig zu erwähnen, daß auch das Grundgesetz das Recht auf Bildung zu garantieren verspricht.

Zu den KlägerInnen zählte auch eine 37-jährige Mutter von zwei 11 und 13 Jahre alten Kindern, die nach längerer Pause ihr Lehramts-Studium wieder aufgenommen hat. Ihre Klage richtete sich gegen die Regelung, wonach nur Eltern von Kindern unter acht Jahren von den Gebühren befreit werden. Das Gericht verwies jedoch darauf, daß der Gesetzgeber die Altersgrenze bereits von fünf auf acht Jahre angehoben habe. Eine "etwas großzügigere Regelung" sei - so der Trost - allerdings wünschenswert.

Weitere Kläger waren vier Studenten, die als Ausgleich für ihren abgeleisteten Zivildienst für zwei Semester von den Gebühren befreit werden wollten. Das Gericht argumentierte schlicht, Zivil- oder Wehrdienst schütze nicht vor späteren Mehrbelastungen.

Bereits 2001 hatte das Bundesverfassungsgericht die Weichen in Richtung Sozialabbau gestellt: Es gab sechs Bundesländern recht, die gegen das von der "rot-grünen" Bundesregierung kurzzeitig installierte Verbot von Studiengebühren im Hochschulrahmengesetz (HRG) geklagt hatten. Und im Juli 2001 erklärte das Bundesverwaltungsgericht in Berlin Langzeitstudiengebühren für rechtmäßig. Als dann das Bundesverfassungsgericht 2005 entschied, Studiengebühren müßten so gestaltet werden, daß "Hochschulunterricht auf geeignete Weise jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Befähigungen zugänglich" sei, hatten dies KritikerInnen bereits als pure Kosmetik qualifiziert. Die jetzige Entwicklung bestätigt diese Einschätzung.

Angesichts dieses Urteils zeigte sich die Freiburger Studentin Julia Daiber, die wegen der Rechtswidrigkeit von Studiengebühren geklagt hatte, geschockt. Der baden-württembergische Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) begrüßte dagegen die Entscheidung.

Der nächste Prozeß gegen Studiengebühren wird am 11. Juli vor dem Karlsruher Verwaltungsgericht verhandelt.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel:

      Soziale Auslese an der Uni-Pforte
      Unterschichten-Kinder mit geringen Bildungs-Chancen
      (19.06.07)

 

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