23.02.2001

Stasi-Mielkes
Auferstehung

Deutschland baut unter "rot-grün" seinen weltweiten Vorsprung im Abhören aus

Von 9.800 auf 12.600 stieg allein zwischen 1998 und 1999 die Zahl der richterlich angeordneten Telefonüberwachungen. Dies ist keine Fantasiezahl paranoider Verschwörungs- theoretiker. Sie stammt vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Joachim Jacob, der sie letzten Dezember veröffentlichte. Der FDP-Rechtsexperte Jörg Essen äußerte sich kürzlich verwundert, daß die Zahl der Telefon- bespitzelungen zunimmt, während die Kriminalitätsrate sinkt. Selbst der Abhörfanatismus des CIA verblaßt gegenüber solchen Größenordnungen. Stasi-Chef Mielke scheint als eine Art Dr. Mabuse hinter rot-grüner Tarnung wiederauferstanden zu sein.

Zur Vorgeschichte

Vor fast zwei Jahren verschwand die als Referenten-Entwurf kursierende Neufassung der TKÜV (Telekommunikations- Überwachungsverordnung) aus der Diskussion. Am 14.07.1999 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil, in dem es eine strengere Kontrolle der Lauscher anmahnte. Gegenstand des Urteils war das Verbrechens- bekämpfungsgesetz bzw. G-10-Gesetz, das 1994 verschärft worden war. Mitte Januar 2001 legte die "rot-grüne" Bundesregierung eine Neufassung samt Begründung vor.

Von Journalisten war gegen die Praxis des BND (Bundesnachrichtendienst - einer der drei Geheimdienste Deutschlands) geklagt worden. Ähnlich dem ins Licht der Öffentlichkeit geratenen Abhörsystem 'Echelon' der USA war begonnen worden, mittels Suchbegriffen den Fernmelde- verkehr ins Ausland abzuhören. Der Hamburger Staatsrechtsprofessor Michael Köhler hatte kritisiert, daß der BND Straftaten an die Polizei weiterleitete - und dazu verpflichtet war. Dadurch werde die verfassungsrechtliche Trennung von Polizei und Geheimdiensten durchbrochen.

Die Verfassungsrichter stimmten der Kritik teilweise zu. Die Übermittlung von Daten an die Polizei müsse an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sein. Die gewonnene Information müsse bei Polizei und Staatsanwaltschaft als Daten des BND klar gekennzeichnet sein. Auch müsse Datenübermittlung und Datenvernichtung genau protokolliert werden. Die Richter rügten zudem, daß in bisher keinem einzigen Fall Angehörige informiert worden seien.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, wertete dieses Urteil noch als einen "Meilenstein zur Sicherung der Persönlichkeitsrechte". Wie seinen aktuellen Äußerungen in der FAZ zu entnehmen ist, sieht er in dem nun vorgelegten Gesetzentwurf eine Verschlechterung der Praxis statt einer Verbesserung. Auch Anwälte und Landes- Datenschützer teilen diese Wertung, so Wolfgang Kahleck vom RAV (Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein) und Sönke Hilbrans vom DVD (Deutsche Vereinigung für Datenschutz). Sie sehen in der Novelle eine erneute Ausweitung der Befugnisse des BND.

Ende 1998 hatte der Chef des BND, August Hanning, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angegeben, der BND höre von täglich 8 Millionen Telefonverbindungen rund 800.000 ab - also zehn Prozent. Er bedauerte diese Quote, da Daten, die durch Kupfer- oder Glasfaserkabel übermittelt werden, dem Zugriff entzogen seien. Rund 700 Verbindungen würden "nach Zufallsprinzip" maschinell auf Suchbegriffe durchkämmt. Und nur 20 Texte böten dann Anhaltspunkte und würden ausgewertet. Das seien 0,003 Promille, rechnete Hanning den Verfassungsrichtern vor.

Nun werden neuerdings von der "rot-grünen" Bundes- regierung wieder ganz andere Zahlen genannt: Von täglich mehreren Milliarden Telekommunikationsverbindungen weltweit würden rund 50 Millionen von und nach Deutschland geführt. Aber - und also muß die Technik des BND schlechter geworden sein - die Empfangsanlagen der BND könnten täglich nur 100.000 Telekommunikationen erfassen. Und der Begriff 'Telekommunikationen' ist ja weiter gefaßt als nur Telefonverbindungen. Demnach wäre der Teil größer als das Ganze oder die Kompetenz des BND ist innerhalb von zwei Jahren um mehr als den Faktor 8 geschrumpft.

Die angebliche Schwäche des Daten-Staubsaugers soll gerade den Zuwachs an neuen Befugnissen begründen.

Neue Befugnisse

Als neue Überwachungsziele werden im vorgelegten Gesetzentwurf Geiselnahmen im Ausland und die Vorbereitung von Partei- oder Vereinsverboten genannt. "Zufallsfunde" über CASTOR-Gegner ebenso wie über Neofaschisten sollen an die Polizeibehörden übermittelt werden. Damit würde die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Polizei und Geheimdienst (eine wichtige Lehre aus der Nazi-Zeit) weiter an Bedeutung verlieren. Nicht mehr allein mutmaßliche "Mitglieder terroristischer Vereinigungen", sondern auch Personen, die verdächtigt werden, "Mord, Totschlag oder räuberische Erpressung" zu planen, sollen abgehört werden dürfen. Dem beliebigen Abhören steht damit fast nichts mehr entgegen. Merkwürdigerweise scheiterte ein ähnlicher Vorstoß der Kohl-Regierung noch 1994 am Widerstand der Opposition.

Während BND-Chef Hanning 1998 noch von einer Abhörquote von 10 Prozent sprach, soll diese laut neuem Gesetz nun "höchstens" 20 Prozent betragen. Den höheren Prozentsatz verteidigt die "rot-grüne" Bundesregierung mit angeblich neuen Methoden der Datenübermittlung, die aber tatsächlich beim E-Mail-Verkehr von Anfang an üblich waren.

Kontrollen

Angeblich würde die Kontrolle der parlamentarischen Gremien aufgewertet, in dem sie in Zukunft die gesamte Flut des Abhörmaterials überprüfen dürfe. Doch einerseits werden die Kriterien verwässert und andererseits die Kontroll- möglichkeiten durch pure Masse außer Kraft gesetzt. Die G-10-Kommission darf nicht mehr allein ministerielle Lauschangriffe (es sei an den Fall Traube erinnert), sondern den gesamten Prozess der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten durch die Nachrichtendienste kontrollieren.

Die neue TKÜV

Zumindest im Internet ist inzwischen ein neuer Entwurf der TKÜV bekannt geworden. Diese Telekommunikations- Überwachungsverordnung oder korrekt: "Verordnung über die technische und organisatorische Umsetzung von Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation" hat insbesondere das Internet und den E-Mail-Verkehr im Visier.

Ein besonderer Clou: die Kosten der Überwachung sollen zum Teil den Internetprovidern aufgebürdet werden. Diese müßten bei Verabschiedung des Entwurfs durch die Regierung ebenso wie Telcos Lauscheinrichtungen installieren und auf Abruf Verbindungsdaten und Mail-Kommunikation an die "Bedarfsträger" übermitteln. Die Kosten für eine Erstinstallation der Überwachungstechnik belaufen sich nach Experten-Angaben auf rund 15.000 Mark. Personalkosten und laufende Ausgaben sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Zahlreiche Internet-Provider, die bisher keine entsprechenden Schnittstellen angeschafft hatten, müssen diese Ausgaben nun einplanen. Die Kleinen werden dem zum Opfer fallen. In Holland, wo die Internet-Provider bereits kürzlich zur Anschaffung von Überwachungsgeräten gezwungen wurden, rechnet der dortige Brachenverband mit dem Konkurs eines Drittels der Provider infolge der hohen Kosten der Einrichtungen.

Die Liste der Daten, die ein Telekommunikationsanbieter im Ernstfall übermitteln soll, füllt allein über zwei Seiten des Entwurfs.

Das PR-Desaster des US-amerikanischen
Überwachungssystems 'Carnivore'

Im Gegensatz zum an der Öffentlichkeit vorbeigeschleusten US-amerikanischen Überwachungssystem 'Echelon', löste das von der US-amerikanischen Bundespolizei FBI und dem ihm übergeordneten US-Justizministerium geplante Überwachungssystem 'Carnivore' ("Fleischfresser") lautstarke Kritik aus. 'Carnivore' wurde als "maßgeschneidertes" Abhörsystem propagiert. Bürgerrechtsgruppen und Parlamentariern enttarnten es als riesige Black Box mit immensen Mißbrauchsmöglichkeiten allein durch unberechtigte Zugriffe. Das FBI sah sich inzwischen immerhin veranlaßt, den bestialischen Namen des Tools in das freundlicher klingende Akronym DCS 1000 ("Data Collection System") umzutaufen.

 

Klaus Schramm

 

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