3.10.2005

Artikel

Generalstreik in Frankreich

Über eine Million Menschen protestieren gegen Sozialabbau

Bei über 150 Demonstrationen sind landesweit in Frankreich über eine Million Menschen auf den Straßen. In allen großen und mittleren Städten und in 74 Provinzstädten wird demonstriert und für zwei Tage, Montag und Dienstag, die Arbeit niedergelegt. Die Aufrufe zum Generalstreik werden über die Gräben zwischen den verschiedenen Teilen der französischen Linken hinweg von den Gewerkschaften CGT, CFDT, FO, CFTC, CFE-CGC, FSU, UNSA und Solidaires getragen und von Parteien wie der traditions-kommunistischen PCF, den französischen Pseudo-Grünen 'Les Verts' und der trotzkistischen LCR bis hin zu den mehrheitlich neoliberalen "Sozialisten" der PS unterstützt.

Der Pendlerverkehr in Paris kam nahezu zum Erliegen, aber zum ersten Mal bei einem Generalstreik ist eine Mindestversorgung bei öffentlichen Nahverkehr eingerichtet worden. In Staßbourg, Lyon, Nizza und Marseille fahren kaum Züge und keine Busse. Auch die Fluglotsen streiken und so mußten auf den Pariser Flughäfen Orly und Roissy-Charles de Gaulle rund 400 Flüge gestrichen werden. Die Fluglotsen wehren sich speziell gegen die geplante Privatisierung.

Auch der Schulunterricht fällt weitgehend aus. Der Streik der Lehrer richtet sich insbesondere gegen die Sparmaßnahmen an den Schulen und die Erhöhung ihrer Stundenzahlen. Ähnlich ist es in den öffentlichen Krankenhäusern. Die große Mehrheit der Franzosen unterstützt den landesweiten Generalstreik. 74 Prozent der FranzösInnen sprachen sich lauf Umfragen für den Generalstreik aus, neun Prozent dagegen und 14 Prozent äußerten keine Meinung. Deswegen blieben die meisten trotz gelegentlicher Beeinträchtigungen gelassen: "Mich stört das nicht so. Ich habe mein Fahrrad dabei. Wenn die Züge nicht fahren, radle ich eben," erklärte ein Passant laut ARD.

So einig war sich die französische Linke seit 30 Jahren nicht mehr. Nun geht es auch gegen eine "konservative" Regierung unter Premierminister Dominique de Villepin, der allerdings keine andere Politik verfolgt wie sie die deutsche "rot-grüne" Regierung mit der Agenda 2010 durchzusetzen versuchte. Auch in Frankreich wird diese Politik der "Arbeitsmarkreformen" zunehmend als Sozialabbau verstanden, der nur mit leeren Versprechungen bei stetig zunehmender Arbeitslosigkeit verbrämt wird.

Gemeinsam soll mit dem Generalstreik ein Zeichen gesetzt werden gegen die Privatisierung der öffentlichen Dienste, gegen den Börsengang des staatlichen Energieversorgers EdF, gegen die Auflösung des Kündigungsschutzes und gegen viele andere Maßnahmen, mit denen der bislang scheibchenweise durchgesetzte Sozialabbau forciert werden soll. In Hinblick auf die EdF darf aber nicht verschwiegen werden, daß die französische Gewerkschaft CGT wegen Privilegien, die die Situation bei VW noch in den Schatten stellen, zu den heftigsten BefürworterInnen der Atomenergie zählt. Ein weiterer Schwerpunkt des Generalstreiks ist Korsika, wo die Fährgesellschaft SNCM privatisiert werden soll. Gestreikt wird außerdem beim Computerunternehmen Hewlett-Packard, wo 1.240 Arbeitsplätze gestrichen werden sollen, bei den Nahrungsmittel-Konzernen Nestlé und Lustucru (Danone), bei denen ebenfalls Entlassungspläne angekündigt worden waren, und beim Mineralöl-Konzern Total.

In den Reihen mit Flaggen und Transparenten waren auch die roten Fahnen der deutschen IG Metall zu erkennen. In der ersten Reihe des langen Demonstrationszuges in Paris ging Dieter Scholz, DGB-Bezirksvorsitzender für Berlin-Brandenburg, Seite an Seite mit den Vorsitzenden der französischen Gewerkschaften. "Ich finde, das ist eine Ehre für uns, mitdemonstrieren zu können", so Scholz. Olivier Hövel, IG Metall-Bezirksleiter für Berlin, Brandenburg und Sachsen marschierte auch mit. "Ich denke, wir sind in Europa insgesamt in einer Auseinandersetzung um die Zukunft des Sozialstaats, der Sozialstaaten, aber insgesamt eigentlich des sozialen Europas. Insofern ist es ganz selbstverständlich, daß wir als Gewerkschafter uns dann hier an einer solchen Demonstration beteiligen," erläutert Hövel. Vielfach kritisierten aber auch Gewerkschaftsmitglieder von der Basis diese rein symbolische Solidarität und forderten, daß endlich Generalstreiks über Nationalgrenzen hinweg der Solidarität Kraft verleihen.

 

Frank Bayer

 

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