3.02.2005

Studi-Proteste
in mehreren Städten

Rund 30.000 gegen Studiengebühren und Sozialabbau

Obwohl von vielen politischen Studierenden-Organisationen zu hören war, daß an Proteste gegen die geplanten Studiengebühren1 erst ab Mai gedacht sei, gab es in mehreren deutschen Uni-Städten größere Demos: In Hamburg fanden sich zur Demo gegen Studiengebühren und Sozialabbau rund 10.000 Studiernde ein, in Leipzig 9.000, in Mannheim 6.000, in Berlin 3.000 und in Essen 2.000.

Das ist zwar noch wenig im Vergleich zu den Studi-Streiks von 1997/98. Damals hatten sich Zehntausende in ganz Deutschland über Wochen hin beteiligt, hatten durch Demos und medienwirksame Aktionen auf die finanzielle Ausblutung der Unis hingewiesen und auf die sich schleichend verschlechternden Studienbedingungen aufmerksam gemacht. Doch die sich nunmehr anbahnende Verbindung zwischen Studierenden, Erwerbslosen und Arbeiterschaft läßt manche Damen und Herren in höheren Etagen bereits erschaudern.

Schon eine Stunde vor Demonstrationsbeginn füllte sich der Platz vor dem Mannheimer Hauptbahnhof. Die TeilnehmerInnen kamen aus Karlsruhe, Heidelberg, Ludwigshafen, Tübingen, Heidelberg, Stuttgart, Ulm, Koblenz, Worms, Saarbrücken, Frankfurt a.M., Marburg, Darmstadt und einigen anderen Städten. In Mannheim durfte ein SPD-Politiker reden. Auf Transparenten und Schildern waren allerdings mindestens ebenso viele Parolen gegen Studiengebühren wie gegen den von "rot-grün" forcierten Sozialabbau zu sehen - so beispielsweise: "Dank Rot-Grün - die soziale Bombe tickt".

Auch in Gesprächen zeigte sich, daß Viele, die noch vor kurzen eine der beiden Regierungsparteien gewählt hatten, inzwischen begreifen, daß Studi-Proteste nur dann eine Chance auf Erfolg haben, wenn sie eine Einheit mit den fortlaufenden Protesten gegen Sozialabbau und Hartz IV bilden. Auch wenn es in manchen Medien anders dargestellt wurde, trafen VertreterInnen der Montags-Demos in Mannheim bei den Studierenden auf nahezu ungeteilte Sympathie. Um so weniger verständlich, daß die selbsternannten Demo-LeiterInnen einen Redebeitrag dieser Gruppe abwiesen. Auf ebenso große Solidarität in der Mannheimer Demo traf eine Delegation von streikenden ArbeiterInnen der Mannheimer Eichbaum-Brauerei.

Hannes Brückner, Fachschaftssprecher des Studienzweigs Design, warnte vor Kredit-finanzierten Studiengebühren und der Anhäufung Schulden, die eine lebenslange Abhängigkeit begründeten. Er verdeutlichte den Zusammenhang zwischen Studiengebühren, Arbeitslosigkeit und Hartz IV und erklärte, diese Demonstration sei "integraler Bestandteil einer größeren Protestbewegung". Der Kapitalismus sei nicht in der Lage, für eine freie Bildung zu sorgen. Deshalb sei es Zeit, nach einer gesellschaftlichen Perspektive zu suchen. Gegen Ende der Demo wurde ein Teilnehmer festgenommen, weil er angeblich einen Polizisten beleidigte. Als er wieder freigelassen wurde, zog die Demo weiter.

In Leipzig war das Podium von parteinahen Studi-VertreterInnen dominiert. In Redebeiträgen wurde an die SPD appelliert, obwohl diese nicht nur unter Studierenden sämtlichen Kredit verspielt, sondern auch bei der letzten sächsischen Landtagswahl auf unter zehn Prozent abgerutscht ist. So meinte Benjamin Schulz, Vertreter der 'Konferenz der Sächsischen Studierendenschaften' der SPD den Rücken stärken zu müssen und rief diese dazu auf, sich "konsequent" gegen Studiengebühren einzusetzen. Dazu durften der parlamentarische Geschäftsführer der SPD im sächsischen Landtag, Dulig, der stellvertretende Vorsitzende der "grünen" Landtagsfraktion Weichert und eine Vertreterin der PDS das Publikum mit ihren drögen Reden langweilen. Immer wieder waren Buh-Rufe und Pfiffe zu hören.

Offenbar gezielt wurde auf anderen Studi-Demos von Seiten der Polizei provoziert. In Essen wurde auf dem Weg des Demo-Zugs zur Uni eine große Kreuzung längere Zeit besetzt. Dabei kam es noch nicht zu "Zwischenfällen". Erst als dazu aufgerufen wurde, zur Agentur für Arbeitslosigkeit weiter zu ziehen, versuchte die Polizei einzelne Personen aus der Demo heraus festzunehmen. Und während einige gegen diese Festnahmen protestierten, kam es zu weiteren Festnahmen. Angeblich war der Grund für die Polizei-Provokationen, daß DemontrantInnen auf der falschen Straßenseite gegangen seien.

In einer offiziellen Stellungnahme der Polizei heißt es, nach der Sitzblockade auf der Straßenkreuzung, sei lediglich versucht worden, die Personalien eines Demo-Ordners festzustellen. Dieser habe zu weiteren Blockaden aufgerufen. Während der Festnahme seien die beteiligten BeamtInnen von Demonstrations-TeilnehmerInnen gestoßen und an eine Wand zurückgedrängt worden. Dabei habe eine Polizei-Person eine Verletzung an der Hand erlitten. Ein anderer Demonstrationsteilnehmer habe einen Polizisten von hinten in den Rücken geschlagen. Er sollte zur Personalien-Feststellung zur Wache gebracht werden. Auf dem Weg zum Streifenwagen leistete er - laut Darstellung der Polizei - Widerstand. Der 24-Jährige sei nach "Abschluß aller Maßnahmen" entlassen worden.

Aus den Reihen der Studierenden kommt eine ganz andere Darstellung: Der Student sei aus der Demo herausgezogen und zu Boden geworfen worden. Es habe sich nicht um einen Ordner gehandelt. Nach Aussagen von Augenzeugen habe dieser Student auch nicht zu weiteren Sitzblockaden aufgerufen. Von weiteren Anwesenden war zu hören, daß der WDR die gesamte Szene gefilmt habe, diese aber in einem TV-Bericht herausgeschnitten war. Weitere Augenzeugen berichten, daß Polizeibeamte um sich geschlagen hätten und lautstark aber friedlich gegen die Festnahme Protestierende ohne Vorwarnung ins Gesicht geschlagen hätten.

Auffallend waren auch in Essen politische Forderungen, die über die Zurückweisung von Studiengebühren hinausgingen - so: "Geld für Bildung - Nicht für Krieg". Während bei früheren Studi-Protesten immer zahlreiche AnhängerInnen von "Grünen", SPD und parteinahen Jugendorganisationen zu sehen waren, fehlte heute im Demonstrationszug jeder Hinweis auf irgendwelche Sympathie mit den Regierungsparteien.

Auch bei der Studi-Demo in Berlin gab es offenbar gezielte Polizei-Provokationen. Mit Fotos wurde dokumentiert wie ein bereits für solche Aktionen bekannter Polizist Demo-TeilnehmerInnen anrempelt. Erst nach etlichen vergeblichen Provokations-Versuchen kam es zu einer - nach Augenzeugen willkürlichen - "Festnahme", bei der ein Student gewürgt, geschlagen und weggeschleift worden sei. Zugleich seien Polizei-Beamte grundlos prügelnd gegen die Demo-Spitze vorgegangen, haben TeilnehmerInnen Transpartente entrissen und diese wie Trophäen den KollegInnen gezeigt. Diese Aktion sei allerdings durch den Einsatzleiter abgebrochen worden.

Laut weiteren Zeugenaussagen hatten die Demo-TeilnehmerInnen keinerlei Anlaß für die Brutalitäten gegeben. Sie seien ausnahmslos friedlich geblieben, seien aber permanent von im Spalier entlang laufenden BeamtInnen beleidigt und verspottet worden. BeamtInnen der 14. Hundertschaft wird vorgeworfen, JournalistInnen angegriffen und auf die Forderung nach Zeigen des Ausweises mit Schlägen reagiert zu haben. Besonders seien dabei BeamtInnen mit der Helmnummer 143 aufgefallen. Von Seiten der Berliner Polizei wurde als offizielle Begründung für die Festnahmen die "Vermummung" von drei Demo-TeilnehmerInnen und in fünf weiteren Fällen "Auseinandersetzungen" angegeben.

In Hamburg hatten sich rund 10.000 Studierende aus rund zwanzig norddeutschen Städten zusammen gefunden. Auch in Hamburg kam nach Augenzeugenberichten zu Provokationen durch die Polizei. Der Demostrationszug stoppte, um damit die Solidarität mit Festgenommenen zu bekunden und deren Freilassung zu fordern. Es gab zwei Prügeleinsätze der Polizei, auch Pfefferspray wurde verwendet und fünf bis sechs TeilnehmerInnen wurden vorübergehend festgenommen.

In mehreren Internet-Foren und eZines wurden Vermutungen laut, daß die in vier Städten ähnlich verlaufenden Polizei-Provokationen abgestimmt waren. Es ist durchaus nicht abwegig, auf eine Strategie zu schließen, die von verschieden gefärbten Landesregierungen gemeinsam im Voraus festgelegt wurde. Die "rot-grüne" Landesregierung in NRW, die "schwarz-gelben" in Sachsen und in Hamburg und die "rot-rote" in Berlin haben alle dasselbe Interesse: Einen Zuwachs der Proteste gegen Sozialabbau und Hartz IV durch rebellierende Studis möglichst schon im Keim zu ersticken. Auch wenn Polizei-Einsätze Ländersache sind und eine Einflußnahme der Bundesregierung nicht anzunehmen ist - alle in den Landesregierungen vertretenen Parteien inklusive der PDS in Berlin vertreten dieselben Interessen.

Daß die informelle Fünf-Parteien-Koalition von den Protesten der Studierenden recht verunsichert sind, beweist auch die heutige Reaktion von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Auf allgemeine Verwunderung stieß seine allzu auffällig überzogene Bekundung, er stehe "auf der Seite der Studenten".

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel

      'Verfassungsgericht öffnet Tür für Studiengebühren'
      Weiterer Akt im Spiel mit verteilten Rollen? (26.01.05)

 

neuronales Netzwerk