18.10.2011

Interview

Mediation und Durchsetzungs-Strategien
Das Beispiel Frankfurter Flughafen

Widerstand gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens Am kommenden Freitag soll in Frankfurt am Main eine weitere Landebahn eingeweiht werden. Hierzu wird Bundeskanzlerin Angela Merkel per "Premierenflieger" einschweben, während der erbitterte Widerstand Hunderttausender in der von Fluglärm geplagten Rhein-Main-Region von den Mainstream-Medien ignoriert wird. Joachim Keller führte für die Regenbogen Nachrichten ein Interview mit Dirk Treber*, dem Vorsitzenden der Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms (IGF) e.V.

Herr Treber, vor wenigen Tagen lobte Wilhelm Bender (SPD), ehemaliger Chef der Fraport**, in einem Interview mit der 'Frankfurter Neue Presse' das sogenannte Mediations-Verfahren, das vor einigen Jahren wesentlich dazu beitrug, den Ausbau des Frankfurter Flughafens durchzusetzen. Nun hat der neue baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ankündigte, "sein" Bundesland stehe ab sofort für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Müll zur Verfügung. Dabei bezog er sich ausdrücklich auf sogenannte transparente Verfahren der Bürgerbeteiligung wie sie in der Schweiz neuerdings eingesetzt werden, um dort ein Atommüll-Endlager durchzusetzen. Bekanntlich basiert das Verfahren in der Schweiz auf dem Frankfurter Vorbild. Auch bei der sogenannten Geißler-Schlichtung, die im Herbst 2010 auf Betreiben von Kretschmann zustande kam und die vorgeblich den Streit um das Bahnhofs-Projekt "Stuttgart 21" friedlich lösen sollte, stand das Ergebnis offensichtlich schon vorher fest. Welches waren Ihre Erfahrungen mit der Mediation, die doch dazu beitragen soll, Konflikte friedlich zu lösen?

Dirk Treber:
Nach meinem Eindruck stand das Ergebnis beim sogenannten Frankfurter Mediationsverfahren von Anfang an fest: Der Frankfurter Flughafen sollte ausgebaut werden. Nach der Empfehlung der drei Mediatoren im Januar 2000 haben sich die sechs Vertreter der an der Mediation beteiligten Kommunen in einer Protokollnotiz vom Flughafenausbau distanziert. Die Lufthansa AG ihrerseits hat erklärt, daß sie das Nachtflugverbot nicht akzeptieren wird.

In den beiden wesentlichen Punkten: Flughafenausbau und Nachtflugverbot gab es bereits von Anfang an keinen Konsens. Sieben Jahre lang hat die Hessische Landesregierung, der CDU-Ministerpräsident Roland Koch und sein FDP-Stellvertreter Jörg-Uwe Hahn immer wieder der Bevölkerung versprochen, Flughafenausbau und Nachtflugverbot gehören zusammen, dies seien zwei Seiten einer Medaille, Flughafenausbau nur mit Nachtflugverbot und so weiter und so fort...

Das Ergebnis des Planfeststellungsbeschlusses vom Dezember 2007 ist bekannt: von 22 Uhr bis 6 Uhr sind jede Nacht durchschnittlich 150 Flüge, davon zwischen 23 und 5 Uhr durchschnittlich 17 genehmigt. Als der Hessische Verwaltungsgerichtshof im Dezember 2010 diese Nachtflugbeschränkungen nicht in Übereinstimmung mit dem Landesentwicklungsplan Hessen angesehen und die Zahl der Nachtflüge zwischen 23 und 5 Uhr als gegen Null gehend erklärt hat, hat die Landesregierung "aus übergeordneten Interessen und aus Gründen der Rechtssicherheit" beim Bundesverwaltungsgerichtshof in Leipzig Revision eingelegt. Die Landesregierung klagt also gegen ein ihr eigenes Versprechen, daß sie sieben Jahre lang gebetsmühlenartig wiederholt hat.

Das sogenannte Mediationsverfahren zum Flughafen Frankfurt war also nichts anderes als ein Instrument zur Akzeptanzschaffung für den Ausbau. Das Nachtflugverbot sollte niemals wirklich ernsthaft realisiert werden. Alles andere ist Augenwischerei, Lug und Trug.

Frage:
Wilhelm Bender von der Fraport argumentierte nun in der 'Frankfurter Neuen Presse', damals sei es darum gegangen, "unter allen Umständen bürgerkriegsähnliche Zustände zu verhindern, wie wir sie bei der Startbahn 18 West erlebt haben." Weiter behauptete er: "Es wird oft vergessen: Damals sind zwei Polizeibeamte ermordet worden, Heinz-Herbert Karry, der hessische Wirtschaftsminister, ist einem Mordanschlag zum Opfer gefallen..."

Dirk Treber:
Die Ermordung von Heinz-Herbert Karry steht in keinerlei Verbindung zu den Protesten der Bürgerinnen und Bürger gegen die Startbahn 18 West. Dies wird auch dann nicht dadurch wahrer, wenn Herr Bender wie auch in den vergangenen Jahren verschiedene führende FDP-Landespolitiker diese Diffamierung immer wieder öffentlich verbreiten.

Kamen die polizeilichen Ermittlungen zu keinem Ergebnis?

Dirk Treber:
Bis heute ist es den Polizei- und Justizbehörden nicht gelungen, diesen Mordanschlag aufzuklären.

Was also bezwecken die Behauptungen, der Mordfall Karry habe etwas mit dem Startbahn West-Protest zu tun?

Dirk Treber:
Es ist richtig, daß am 2. November 1987 bei einer Demonstration aus Anlaß des 6. Jahrestages der Hüttendorf-Räumung zwei Polizisten erschossen und andere Polizeibeamte verletzt wurden. Zunächst wurde ein größerer Personenkreis verdächtigt, am Schluß hat es zwei Verfahren gegeben, wobei in einem Fall eine mehrjährige Gefängnisstrafe ausgesprochen wurde. Bis heute sind die genauen Umstände dieser Ereignisse nicht lückenlos aufgeklärt worden. Die Bürgerinitiativen haben sich immer zu friedlichen und gewaltfreien Protest bekannt, daran hat sich bis heute nichts geändert.

Wurde die Gewalt von staatlicher Seite aus angeheizt?

Dirk Treber:
Für die bürgerkriegsähnlichen Zustände in den Startbahn West-Auseinandersetzungen sind ursächlich führende hessische Landespolitiker verantwortlich, die ab Mitte 1981 verbalradikal gegen die breite "Bürgerallianz aus Langhaarigen und Grauhaarigen" aufgerüstet haben. Dazu nur drei Beispiele: der damalige Hessische Ministerpräsident Holger Börner (SPD) wollte die Probleme mit den Startbahngegnern mit der Dachlatte regeln. Der Hessische Innenminister Ekkehard Gries sprach von den protestierenden Bürgern als "Asozialen, Chaoten und Kriminellen, die für einen Tagessatz von 10 Mark aus der DDR ferngesteuert werden". Der Hessische CDU-Chef Alfred Dregger beschwor gar "den Untergang des deutschen Vaterlandes" herauf, den die Startbahngegner mit ihren Protesten herbeiführen würden.

Hatte diese Hetze von Politikerinnen und Politikern Auswirkungen auf das Verhalten der Polizei?

Dirk Treber:
Angesichts dieser Verbalentgleisungen von politischen Persönlichkeiten, die Vorbildcharakter in einer demokratischen Gesellschaft haben sollten, braucht man sich über die gewalttätigen, brutalen und menschenverachtenden Polizeieinsätze nicht zu wundern: Es gab zwischen den 11. Oktober 1981 und dem 31. Januar 1982 hunderte von schwerverletzten Bürgerinnen und Bürgern durch die Polizeihundertschaften, die aus dem gesamten Bundesgebiet am Frankfurter Flughafen über Monate zusammengezogen worden waren.

Ich will noch drei weitere Beispiele für besonders brutale Polizeieinsätze nennen:

Am 11. Oktober 1981, einen Tag nach der großen Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten gegen den NATO-Doppelbeschluß wurde ein Gottesdienst in der Nähe der Startbahnmauer mit Hubschraubern, bewaffneter Bereitschaftspolizei und drei Mammut-Wasserwerfern so gewalttätig auseinander getrieben, daß dieser Tag als "Blutsonntag“ in die Geschichte der Startbahn-Auseinandersetzung eingegangen ist.

Am 2. November 1981, nach der Räumung des Hüttendorfes, wurde die Bürgerinnen und Bürger, die von überall her in den Flörsheimer Wald kamen, unter massivem Schlagstock- und Tränengaseinsatz durch den Wald getrieben und verjagt.

Und in der Nacht vom 3. auf den 4. November 1981 fand in der Rohrbachstraße im Frankfurter Nordend eine Einkesselung von mehreren hundert Startbahngegner statt, die mit extra langen Knüppeln, Fußtritten in den Unterleib von Frauen, Tränengas- und Wasserwerfereinsatz malträtiert wurden. Knochenbrüche,schwere Kopfverletzungen, Prellungen, Augenverletzungen und zahlreiche andere Blessuren bei vielen Bürgern sind durch ärztliche Atteste, Fotos, Zeitungs- und Fernsehberichte dokumentiert. Selbst Journalisten, die sich ausweisen konnten, wurde der Polizeischlagstock übergezogen.

War damals nicht von einem ökologischen Bürgerkrieg die Rede?

Dirk Treber:
All dies erinnert in der Tat an einen "ökologischen Bürgerkrieg", mit dem die hessische Landesregierung in Zusammenarbeit mit Polizei, Justiz, einem Teil der Medien und der Luftverkehrswirtschaft das Rhein-Main-Gebiet aus Gründen der Staatsräson überzogen hat. Der Bau der Startbahn 18-West wurde mit Staatsgewalt durchgesetzt. Das Vertrauen in Demokratie und Rechtssaat wurde damals schwer erschüttert.

Vielen Dank für das Gespräch.

* Der Diplom-Soziologe Dirk Treber ist Vorsitzender der Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms (IGF) e.V. und war einer der Mitbegründer der Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung im Herbst 1978 in Mörfelden. In den vergangenen 33 Jahren war er an fast allen Auseinandersetzungen um den Ausbau des Frankfurter Flughafens beteiligt.

** Wilhelm Bender, ehemalige Chef der Fraport AG, ist SPD-Mitglied. Die Fraport AG (genau: Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide) mit Sitz in Frankfurt am Main ist die börsennotierte Betreibergesellschaft des Flughafens Frankfurt am Main.

 

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Menschenkette gegen Fluglärm
      24.000 am Müggelsee (28.08.11)

      Absturz von US-Kampfflugzeug bei Laufeld
      Verseuchung durch Uran-Munition? (2.04.11)

      Frankfurter Flughafen
      Demo gegen Fluglärm in Mainz (20.02.11)

      Berliner S-Bahn planmäßig ruiniert
      Verantwortlich war Bahn AG (14.01.11)

      Winter schützt Klima
      Flugverkehr lahmgelegt (30.12.10)

      60.000 Bäume für VW-Flughafen
      Abholzung im Querumer Forst (8.01.10)

 

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