22.12.2001

mal wieder etwas Besinnliches gegen Weihnachten

von Hans Georg Brenner

Ein Atheist über Weihnachten

So, in der Hauptsache wär das wohl wieder mal überstanden, wenigstens für elf Monate. Fast könnte ich paradoxerweise mit einem Stoßseufzer zum Himmel sagen: Gott sei Dank! Weil's nämlich von Jahr zu Jahr schlimmer wird... Kein Mausloch, in dem nicht ein Lichterbaum brennt. Kein Lokal, in dem nicht ein Weihnachtsbaum die Gäste belästigt. Kein Hotel, in dem man nicht überrumpelt und zu einem nächstenliebenden Gegendienst verpflichtet wird. Kein dienstbarer Geist, der nicht selbstverständlich auftritt und mit der linken Hand Selbstlosigkeit austeilt, um gleichzeitig die rechte Hand für ein Geschenk von zehn-, zwanzig- oder dreißigfachem Wert offenzuhalten! - Sie bleiben doch nicht einmal in ihren vier Wänden unbehelligt: Selbst wenn sie dort im Dunkeln sitzen, wenn sie auf kein Klingelzeichen reagieren: Die selbstgefällig eingewickelten, mit goldklitzernden Leimruten verschnürten Aufdringlichkeiten häufen sich einfach vor der Flurtür, und die Gegenleistungen werden später eingetrieben. Nein, auch verreisen nützt nichts, im Gegenteil: In einem neuen Kreis fremder Menschen wird umgehend am Fangnetz neuer Verpflichtungen geknüpft. Selbst wenn sie tagelang, mit nahrhaftem Proviant versehen, eine Bergwanderung unternähmen - Tag und Nacht können sie doch nicht unterwegs sein, irgendwo müssen sie einkehren. Ganz abgesehen davon. Vor der Wohnungstür daheim ist sehr viel Platz, der Briefkasten ist auch noch da.... Ja, wenn man das Ganze beim richtigen Namen nennen wollte! Aber so? Einmal Weihnachten 43....(Keine Angst, daß ich nun doch noch anfällig werde! Aber dieses Bild scheint mir bezeichnend zu sein). Irgendwo auf dem Weg zur Front, ein Soldatenheim, versteinerte Landsergesichter, fast schon gezeichnet von dem, was jedem bevorstand, und plötzlich ein kleiner Weihnachtsbaum mit ein paar Kerzen, Honigduft und Bienenwachs, würziger Rauch von angeglühten Tannennadeln, sehr bescheiden alles, und trotzdem: Die versteinerten Gesichter schienen auf einmal aufzublühen unter glitzernden Tränen.

Kein Gedanke ans Christkind oder an einen Erlöser. Bewahre!
Das Bäumchen war plötzlich aufgeputzt mit dem Rauschgold abgestandener Gefühle, es stellte nicht einmal Frieden dar, nur den Abglanz einer fast schon verschollenen Heimat.... Sie meinen, damals genügte das? Nein - damals nicht und auch sonst nicht. Echt war - und ist heute noch - allein die Rührseligkeit, die wie ein Pilzgeflecht unter dem Lichterbaum wuchert. Im Vertrauen gesagt: Mit dem Weihnachtsbaum scheint der Rummel erst richtig angefangen zu haben. Ob man die Weihnachtsgeschichte glauben will oder nicht: Der Lichterbaum hat den Stern von Bethlehem verdrängt, er hat mit seinen Geschenktischen den Erlösungsgedanken zugedeckt und ist - im wahrsten Sinne des Wortes - der dankbarste Aufhänger für alle seit Generationen aufgestaute Familiensentimentalität, die man sich einmal etwas kosten läßt. Damit ist dann die Nächstenliebe für ein ganzes Jahr abgelöst...

Nur gut, daß das Beispiel des Weihnachtsfestes nicht unbegrenzt Schule machen kann. Wollte man etwa versuchen, aus der kommerziellen Erfindung des Muttertags mit ähnlichem Aufwand an offiziellem Gloria und an privaten Gefühlswallungen ein ähnliches Monster-Fest zu entwickeln - nicht auszudenken!

Geistes-Blitz-Werk