19.02.2000

Rede von Birgit Huneke (aus dem Wendland)
bei der 25-Jahr-Feier in Wyhl

 

Liebe Freunde und Freundinnen, sehr geehrte Damen und Herren

Ich freue mich sehr, heute abend hier sein zu dürfen und möchte mich, mit besonderen Grüßen von Marinne Fritzen, Lilo Wollny und Wolfgang Ehmke, im Namen des Gorlebener Widerstandes für die Einladung bedanken.

"Die Ruhe auf dem Land ist oft stille Wut"

Das sagte der im Wendland lebende Schriftsteller Nicolas Born. Und damit beginnen unsere Gemeinsamkeiten. Zwei Landkreise weit ab von geschäftstüchtiger Industrie, von korrupten Politikern. Zwei Landkreise ruhig, brav und mitten in herrlicher Natur. Doch es kam für beide ein Tag an dem sollte sich alles ändern. Jahrelang wurde mit uns das gleiche, teuflische Spiel getrieben. Und es ist nur dem Einsatz von mutigen, aufrechten Menschen zu verdanken, daß sich hier und damit auch anderswo ein Protest gegen die Atomindustrie entwickeln konnte.

Ein Protest der zur Volksbewegung geworden ist, getragen von Hausfrauen, Pastoren, Lehrern, Schülern, Studenten und Bauern. Kinder sind groß geworden mit diesem Protest. Und hier wie auch in Gorleben sind kleine Menschen im Kinderwagen durch Bauplatzschlamm geschoben worden, die heute Erwachsene sind. Wir haben auch gemeinsam, daß wir jetzt das Problem des Generationswechsels angehen müssen. Das ist keine leichte Aufgabe und ich dachte kurz, ob es nicht besser wäre hier heute abend einen jungen Menschen aus Gorleben sprechen zu lassen. Aber ich spüre, daß ich mich über das Reden und Schreiben auch selbst ermutige weiter durchzuhalten, Kraft schöpfe immer wieder die aktuelle Diskussion zu suchen und es nicht irgendwelchen Historikern und Historikerinnen überlassen möchte unsere Geschichte abstrakt zu interpretieren.

Geschichte ist gemacht worden, sie muß weiter gelebt werden und ich bin sicher: Es ist die Mischung aus alten Weisheiten und den selbst zu machenden Erfahrungen von jungen Leuten, die uns bereichern und eine alte/neue Power geben werden. Und der Gegenseite können wir mit dieser Power, ein echtes Problem bescheren.

Gemeinsamkeiten: Zwei Eichen symbolisieren die Wurzeln. Die Jasebecker Eiche steht im Wyhler Wald und die Wyhler Eiche steht im Gorlebener Wald. Und auch die trotzigen Parolen, kurz und bündig wie "Wat mutt dat mutt" oder "Nai Hämmer gsaigt" drücken die Entschlossenheit der freiheitsliebenden Badener und der dickköpfigen Wendländer aus. Wir haben doch von Anfang an das getan, was eigentlich Aufgabe von Politikern ist. Wir haben uns hineingearbeitet in eine hochkomplizierte Materie, wir haben uns einer wichtigen Sache verschrieben, uns organisiert und unsere Freizeit geopfert. Da liegt es doch nur in der Logik der Sache nach so vielen Jahren, in denen wir zusätzlich noch belogen und betrogen wurden, nicht zu verstummen. Auch weil sich die Halbwertzeiten von politischen Hoffnungen drastisch verkürzt haben.

Schröder z.B., Bundeskanzler Schröder, unser Gerhard Schröder, der bei der Bauplatzbesetzung 1004 in Gorleben das Mikrofon zur Hand nahm, lauthals, eindringlich und wirklich sehr überzeugend den Ausstieg aus der Atomenergie und vieles mehr forderte: Also jener Schröder hat die Atompolitik zur Chefsache erklärt. Das dumme ist nur: Er ist nicht der Chef. Atompolitik wird von der Industrie gemacht. Ihr Ziel: möglichst lange Restlaufzeiten für die AKWs, die Fortsetzung der Wiederaufarbeitung und ein Atomausstieg der keine Fristen kennt. Das ganze würde dann Konsens heißen.

Und damit komme ich zum nächsten Hoffnungsträger in der Politik. Herr Trittin, auch ein Mann der ersten Stunden in der Diskussion zur Atomkraft, schleicht sich davon wie ein Eierdieb.
Wer den Betreibern schon vor Beginn der Verhandlungen dreißig Jahre Reaktorlaufzeiten anbietet, hat das Ziel des Atomausstiegs nicht nur aus den Augen verloren, sondern ist im höchsten Maße charakterschwach.

Übrigens, Marianne Fritzen, Ehrenvorsitzende der BI Lüchow-Dannenberg, hat vor zwei Wochen ihr Grünes Parteibuch abgegeben. Die Zeichen im Wendland stehen auf Sturm, Herr Trittin und andere sind völlig fehl beraten, wenn sie glauben, daß bei einer Atomausstiegsregelung die Proteste der AtomkraftgegnerInnen abflauen.
Wir lassen uns weder eine dreißigjährige Laufzeit der Atommeiler als Ausstieg verkaufen, noch geben wir in der Frage der nuklearen Entsorgung nach. Solange die Wiederaufarbeitung nicht gestoppt ist, gehen Menschen massenhaft gegen die Atomtransporte auch aus Frankreich auf die Straße.
Frau Merkel hat einmal gesagt, "denen geht es ja gar nicht um den CASTOR" Sie hat recht! Wir wollen mehr! Wir wollen den Ausstieg! Und wir freuen uns, daß diejenigen, die aus Katastrophen wie Tschernobyl partout nichts lernen wollen, wenigstens am Geldbeutel Empfindungen zeigen. Das Leben ist uns lieb? CASTOR Transporte sind und bleiben teuer. So einfach ist das.

Wir wissen doch alle: Atomkraft ist immer noch ein Riesengeschäft. Niemand der Betreiber nagt am Hungertuch und keiner der Angestellten muß mit der betrüblichen Aussicht auf ewige Arbeitslosigkeit leben. Diese Diskussionen sind Ablenkungsmanöver und zudem ein riesengroßer Quatsch. Die Manager der Atomindustrie setzen alles daran, daß Politik in ihrem Sinne gemacht wird. Es geht um Geld - um viel Geld und überhaupt nicht um unsere Gesundheit. Die Wahrheit läßt sich dann auch nicht durch 30.000 Polizisten außer Kraft setzen. Die Wahrheit ist: Atomkraft tötet. Schleichend leise und in großen Katastrophen. Und kein Reaktor wird sicherer wenn irgendein Politiker oder Betreiber verspricht, daß er in 25 Jahren abgeschaltet wird. Es gilt deshalb weiterhin: Für jeden verantwortungsvollen Menschen gibt es einen Punkt an dem er NEIN sagen muß. An diesem Punkt stehen wir immer noch und wir können immer noch selbstbewußt sagen: wir stehen auf der richtigen Seite.

Das Wort Widerstand hat freilich keinen guten Klang in Deutschland. Widerstand? Das klingt gefährlich und wird oft immer noch mit Aufruhr und Revolution verbunden. Aber ist es nicht auch Widerstand aus einem Taxi auszusteigen, indem der Fahrer ausländerfeindliche Parolen von sich gibt ? Ruhe und Gehorsam ist die erste Bürgerpflicht der Deutschen und es werden heute mit dem Slogan "Ruhe, Ordnung und Sicherheit" Wahlkämpfe gewonnen. Doch wie Hannah Arendt schon sagte: "Niemand hat das Recht zu gehorchen." Unser gemeinsamer Protest über die vielen Jahre haben es der Politik und der Energiewirtschaft nicht erlaubt, die ungelösten Probleme der Entsorgung des Atommülls zu verdrängen. Und hier handelt es sich eben nicht um einen Angriff auf die repräsentative Demokratie, sondern es ist eine gesunde Form des Widerstandes von unten gegen eine Politik von oben. Wenn nämlich an die Stelle der alten Grundrechte ein einziges neues Grundrecht tritt, das Grundrecht auf ungestörte Investitionsausübung, wenn zur Durchsetzung des Rechts der Atomkraftbetreiber der Rechtsstaat Recht und Gesetz bricht, dann müssen wir handeln! Die Anti-AKW-Bewegung hat in den letzten 25 Jahren gehandelt. Couragiert, Kompetent, unermüdlich.

Aber bevor wir unser Ziel nicht erreicht haben, wird uns nichts anderes übrig bleiben, als weiterhin die gesellschaftliche Rolle des Wächters zu behalten, müssen wir weiterhin unangenehm und hartnäckig bleiben und den Ausstieg aus der Atomenergie selber in die Hand und gegebenenfalls auf den Frontlader nehmen. Wenn wir erkennen, das wir uns mitten in einer der positivsten und erfolgreichsten Bürgerbewegungen der letzten Jahrzehnte befinden, wenn wir das NEIN zur Atomenergie weiterhin mit einem JA zum Leben koppeln, dann werden wir die Kraft haben uns auch an einem nächsten Tag X selbstbewußt quer zu stellen. In Gorleben, Fessenheim oder anderswo.

Die Ruhe auf dem Land ist oft stille Wut ..... Und es gibt sie immer noch. Die Ruhe, die herrliche Natur und die liebenswürdigen Menschen. Wir haben immer noch viel zu verlieren. Deshalb gibt es auch immer noch die Wut, die uns weiter kämpfen läßt. Ich wünsche uns allen Kraft und Mut für den Erhalt einer lebenswerten Zukunft ohne Atomkraft.

 

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