Leserbrief

veröffentlicht am 11.04.1981, Badische Zeitung

Solche und solche Drogen

Auf der Titelseite der BZ fand ich einen Artikel mit der Überschrift "Neuer Streit um Drogenrecht" und einen Kommentar zur Rentenpolitik mit der Einleitung: "Nach dreijähriger Zurückhaltung sollen die Rentner im kommenden Jahr wieder einen kräftigen Schluck aus der Pulle erhalten." Paßt das nicht wie die Faust aufs Auge?

Um was geht es? Im Bundestag soll ein Gesetz reformiert werden. Die Juristen sind am Werk. Es geht ums Betäubungsmittelrecht.
Die Fakten aus dem

  • 'Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik', Zusammenfassung. Deutscher Bundestag. Drucksache 7/4200, Bonn 1975 - kurz: Psychiatrie-Enquete (PE), aus
  • 'Medical Tribune' (MT) Nr. 50 v. 15.12.78 und aus der
  • 'Süddeutschen Zeitung' (SZ):

1969: 600.000 Alkoholkranke (PE)
1975: 1,2 bis 1,8 Mio. Alkoholkranke (PE), das heißt 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung, 31 Prozent der Alkoholabhängigen sind Frauen (MT).
1977: 22.000 Tote durch Leberzirrhose (meist durch Alkoholismus hervorgerufene Leberzersetzung) (SZ, 13.11.78), 7 bis 8 Prozent der Alkoholiker sterben durch Selbstmord (MT). Die Lebenserwartung ist bei alkoholabhängigen Männern um 15 Prozent herabgesetzt (MT).
1978 wurden 399 Millionen Mark für Alkoholwerbung ausgegeben. Dem standen 1,2 Millionen Mark für eine Aufklärungskampagne des Bundesgesundheitsamtes gegenüber (SZ, 3.09.79).

Ähnliche Daten gibt es übers Rauchen und über den Medikamentenmißbrauch. Doch merkwürdigerweise geht es bei der Reform nicht darum, sondern um die Drogen, die von Gesetzes wegen (bisher und zukünftig) als Rauschgift bezeichnet werden.
Also im Vergleich die Daten zu Heroin:
1968: 2.200 Heroinsüchtige
1972: 23.000
1979: 60.000

1978: 430 Herointote
1979: ca. 530 (SZ, 18.10.79)
Und Heroin ist - neben Alkohol - die einzige Droge, die im Vergleich zu Morphium, Kokain etc. oder gar Hasch und Marihuana eine gesellschaftliche Gefahr darstellt.

Warum also soll das Strafrecht gegen Drogenkranke (die Alkoholkranken zum Glück ausgenommen) verschärft werden, wo auf der anderen Seite für Drogen geworben werden darf? Dies sogar unter dem besonderen Schutz der Gerichte, wie der Fall der Jägerkleisterreklame - pardon - Jäger/Meisterreklame gezeigt hat. Die Unterscheidung zwischen solchen und solchen Drogen kommt nicht daher, daß etwa die Folgen bei Heroin spektakulärer sind als bei Alkohol. Der Grund liegt darin: Für Heroin gibt es hier keine Industrie, aber für Alkohol, Zigaretten und Medikamente.

Ein Streiflicht zum Schluß: Vielleicht ist es derselbe, der sich tagsüber darüber empört, daß an eine kahle Hauswand 'free dope' gesprüht wurde und der abends einen Dopingskandal in der Sportschau - ein Bier in der Hand - mit den Worten kommentiert: "Das machen die doch alle !"

Klaus Schramm

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