18.07.2007

Japanisches AKW durch Erdbeben
schwerer beschädigt
als bisher bekannt

Über 50 Prozent mehr Radioaktivität ausgetreten
Auch Schweizer AKWs mangelhaft gegen Erdbeben geschützt

Aus dem japanischen Atomkraftwerk Kashiwazaki ist nach dem schweren Erdbeben1 vom Montag mehr Radioaktivität ausgetreten als bislang gemeldet wurde. Das berichtet die japanische Nachrichtenagentur Kyodo Tsushin am Mittwoch.

AKW Kashiwazaki bei Tokio

Der AKW-Betreiber, die Tokio Electric Power (Tokyo Denrioku) - kurz: TEPCO - räumte inzwischen laut Kyodo Tsushin ein, zu Wochenbeginn falsche Angaben zu radioaktiven Belastungen gemacht zu haben. So sei durch radioaktiv kontaminiertes Wasser nicht wie zunächst gemeldet 60.000 Becquerel, sondern 90.000 Becquerel an Radioaktivität ins Meer gelangt. Am Montag hatte TEPCO zunächst behauptet, es sei keine Radioaktivität ausgetreten.

Dank Messungen von UmweltschützerInnen wurde später bekannt, daß auch die Angabe von 60.000 Becquerel unmöglich zutreffen konnte. Weiter mußte TEPCO einräumen, daß "geringe Mengen" Radioaktivität an die Luft abgegeben worden sind. Gemeldet wurden nun auch rund 50 nicht näher spezifizierte Schäden am AKW. Im Fundament wurden Risse entdeckt. Der Bürgermeister von Kashiwazaki, Hiroshi Aida, verbot daraufhin den Betrieb. Es ist zumindest damit zu rechnen, daß das beschädigte AKW für mehrere Monate betriebsbedingt ausfällt. Die Wirtschaftszeitung 'Nikkei' berichtete heute, das weltgrößte AKW könnte möglicherweise noch mehr als ein Jahr lang abgeschaltet bleiben. Den Stopp werde die japanische Regierung möglicherweise anordnen, bis eine Studie zur Reaktor-Sicherheit abgeschlossen sei

Angeblich seien auch Fässer auf dem AKW-Gelände während des Erdbebens umgestürzt und ausgelaufen. Mit dieser reichlich obskuren Mitteilung versuchte der AKW-Betreiber offenbar zunächst das Austreten radioaktiv kontaminierter Flüssigkeit aus den Reaktorgebäuden zu verschleiern. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat erst heute ein weiteres Leck entdeckt. Für die öffentliche Gesundheit oder die Umwelt bestehe jedoch keine Gefahr.

Die Herkunft des kontaminierten Wassers ist bisher nicht ausreichend geklärt. Eine weitere im Laufe der Zeit nachgeschobene Erklärung ist ebenfalls wenig glaubwürdig: So sei radioaktiv verseuchtes Wasser aus einem Abklingbecken für verbrauchte Brennstäbe geschwappt, als es durch das Beben erschüttert wurde. Bei dem Beben waren vier Reaktoren automatisch herunter gefahren worden. Drei weitere waren wegen Überprüfungen abgeschaltet.

TEPCO mußte darüber hinaus einräumen, daß die Reaktoren nicht für so starke Erschütterungen wie das Beben zu Wochenbeginn gebaut wurden, bei dem zehn Menschen getötet und hunderte verletzt wurden. Der Chef der Internationalen Atomenergieagentur IAEO, Mohammed al-Baradei, hat TEPCO vorgeworfen, das Erdbebenrisiko unterschätzt zu haben. Es dürfte sich jedoch einzig und allein um eine Entscheidung über die Höhe der Investitionskosten gehandelt haben. In der öffentlichen Diskussion wird jedenfalls bezweifelt, daß es sich um eine Frage der Einschätzung gehandelt habe: In Japan bebt die Erde mindestens alle fünf Minuten - und auch Stöße wie am Montag mit einer Stärke von 6,8 kann niemand auf Grund früherer Erfahrungen ernsthaft ausschließen. Das beschädigte AKW liegt allerdings direkt über der Verwerfung, die am Montag das Beben ausgelöst hatte. Das habe die Auswertung seismologischer Daten der Meteorologischen Behörde gezeigt, berichtete die Nachrichtenagentur Kyodo.

Auch in der Schweiz wurden offenbar die Risiken durch Erdbeben bislang systematisch "unterschätzt". Wie erst kürzlich die Schweizer Aufsichtsbehörde bekanntgab, brachte das mehrjährige Forschungsprojekt 'Pegasos' bedeutende Mängel der eidgenössischen AKWs bei der Erdbebenfestigkeit zutage. Nachrüstungen seien bereits im Gange.

Am 27. Juni hatte die 'Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen' (HSK) in Würenlingen JournalistInnen die von einer Gruppe hochkarätiger SeismologInnen und Nuklearfachleuten erarbeitete "Probabilistische Erdbebengefährdungsanalyse für die KKW-Standorte in der Schweiz", kurz Projekt Pegasos, vorgestellt. Dessen Resultate sind brisant, auch wenn es sich im Wesentlichen um theoretische Abschätzungen handelt. Die in den Jahren 2000 bis 2004 unter internationaler Beteiligung erarbeitete Studie hat zur Konsequnz, daß laut Ulrich Schmocker, dem Direktor der HSK, das Risiko eines Kernschmelzunfalls rund doppelt so hoch angesetzt werden muß wie bisher. Konkret heißt das zum Beispiel bei den Atomkraftwerken Beznau und Mühleberg, daß die Wahrscheinlichkeit für einen solchen Unfall nun über den von der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) für Neuanlagen empfohlenen Wert von höchstens eins pro hunderttausend zu liegen kommt - aufgrund der alten Annahmen für die Häufigkeit und Stärke von Schadenbeben hatten die Anlagen diese Marge der IAEO noch erfüllt.

Seit den 1980er Jahren, als die Vorgaben für die Erdbebensicherheit der heutigen Schweizer Atomkraftwerke formuliert wurden, haben die SeismologInnen weltweit bei unzähligen Erdbeben eine Vielzahl von Messungen der aufgetretenen Kräfte gemacht, wie Domenico Giardini, der Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes, in Würenlingen erklärte. Die Auswertung dieses Datensatzes zeigte, daß für die Sicherheit der Schweizer Atomkraftwerke weniger die ganz großen, seltenen Erdbeben der Stärke 7 und mehr ins Gewicht fallen, sondern flächenartige Quellen von "mittleren" Beben der Stärke 5,5 bis 6,5 in einer Entfernung von vielleicht 10 bis 20 Kilometern. Diese sind zahlenmäßig weniger selten und können gelegentlich zu größeren Beschleunigungen führen als bisher angenommen. Im übrigen sei inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen, daß nicht allein die Beschleunigungswerte, sondern eine Reihe weiterer Faktoren eine entscheidende Rolle spielen: So ist nicht zuletzt die Frequenz der Erschütterungen und die Eigenfrequenz der Reaktorgebäude von Bedeutung.

 

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Anmerkung

Siehe auch unsere Artikel:

    Erdbeben verursachte Unfall in japanischem AKW
    Radioaktives Wasser trat aus (16.07.07)

    Schweres Erdbeben erinnert an
    AKW-Stilllegung vor einem Jahr (26.03.07)

    AKW Fessenheim
    30 Jahre tödliche Gefahr (7.03.07)

    Japan: AKW Shika abgeschaltet
    Gericht erkennt auf mangelhafte Erdebebensicherheit (25.03.06)

 

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