3.07.2007

Neuformierung der
Anti-Atom-Bewegung
in der Schweiz

Mehrjährige Kampagne gegen AKW-Neubau geplant
Kein Kampf um Atomausstieg?

Die Schweizer "Grünen" hatten bereits zu Beginn dieses Jahres versucht, die Führung in der Schweizer Anti-Atom-Bewegung zu übernehmen. Sie griffen die Idee einer bundesweiten Demo auf - die Bundeshauptstadt Bern war im Gespräch. Diese Idee war zwar goldrichtig, um die in einen Dornröschenschlaf versunkene Schweizer Anti-Atom-Bewegung in Fahrt zu bringen. Über viele Jahre hinweg hatte sie sich in Abstimmungs-Initiativen verkämpft und die Illusion einer Schweizer "direkten Demokratie" hatte sich letztlich als süßes Gift erwiesen. Die Kampagnen waren kräftezehrend, zermürbend und die Erfolglosigkeit wirkte auf die Dauer deprimierend. Doch indem sich die Schweizer "Grünen" die Idee einer Groß-Demo zu eigen machten, war sie auch schon gestorben. Denn allzu offensichtlich war, daß sie die AKW-Thematik nur für die im Herbst anstehenden Wahlen instrumentalisieren wollten.

Nun konzentriert sich die Diskussion in der Schweizer Anti-Atom-Bewegung völlig defensiv auf die von der Atom-Mafia vorgegebene Thematik "Klimakatastrophe und Stromlücke". Mit dem Versuch, den auch in der Schweiz nach Jahrzehnten Desinteresse in die öffentliche Diskussion geratenen Klimawandel in ihrem Sinne zu besetzen, treibt sie mit riesigen Finanzmitteln ihre Kampagne für einen AKW-Neubau voran. Die Schweizer Anti-Atom-Bewegung wurde von dieser Kampagne kalt erwischt, hatte sie sich doch in Sicherheit gewiegt, daß nach über zwanzig Jahren Ruhe die Pläne für AKW-Neubauten endgültig ad acta gelegt worden seien.

Nun ist jedoch nicht davon auszugehen, daß die Atom-Mafia noch in diesem Jahr ein Gesuch für eine Rahmenbewilligung einreichen wird. Umweltverbände wie Greenpeace Schweiz, die Schweizer Energiestiftung SES oder auch die auf einen Anti-Atom-Kurs eingeschworene sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP), die ein starkes Gewicht in der Schweizer Anti-Atom-Bewegung haben, meinen nun, daß deshalb für die Mobilisierung auf eine Groß-Demo noch genügend Zeit bleibe. Sie präjudizieren damit die Ausrichtung einer solchen Demo jedoch auf die rein defensive Thematik. Von Atom-Ausstieg ist in der Schweiz nur noch in kleinen örtlichen Gruppen die Rede.

Erschwerend kommt hinzu, daß der Widerstand der Schweizer Bevölkerung gegen ein neues AKW erfahrungsgemäß schwächer ausfallen wird, wenn dieses - wie bereits gerüchteweise zu hören ist - an einem der bestehenden AKW-Standorte Beznau und Gösgen gebaut werden soll. Die im Schweizer "Kernenergiegesetz" vorgesehene Referendumsabstimmung wird kaum vor 2012 stattfinden. Es bliebe also laut den professionalisierten Teilen der Schweizer Anti-Atom-Bewegung Zeit genug, eine Kampagne aufzubauen und den Argumenten der Atom-Mafia entgegenzutreten.

Für den Basler SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner und Co-Präsident von TRAS, einem länderübergreifenden Verband zur Vorbereitung einer Klage gegen den Betrieb des AKW Fessenheim, ist eines der zentralen Argumente, daß sich mit regenerativen Energien und einem effizienteren Energieeinsatz die Atomenergie problemlos ersetzten läßt. Er sieht diese Thematik in der Schweiz in einem kräftigen Aufwind, nachdem kürzlich ein Stromversorgungsgesetz mit Einspeisevergütungen für alle Stromproduzenten und mit der freien Wahl des Strombezugs für GrosskundInnen verabschiedet wurde. "Da passiert eine gigantische Umwälzung", meint Rechsteiner. Seiner Ansicht nach könne ein AKW-Neubau bald allein an den immensen Kosten scheitern, da niemand mehr bereit sei zu investieren. Die Beispiele Olkiluoto in Finnland und Flamanville in Frankreich zeigen jedoch, daß Staaten durchaus dazu fähig sind, auch betriebswirtschaftlich unsinnige Investitionen zu tätigen.

Es wäre nun an der Zeit, daß sich die in Bürgerinitiativ-Strukturen eingebundenen Teile der Schweizer Anti-Atom-Bewegung in die Debatte einbringen, bevor die Entscheidung über die thematische Ausrichtung der geplanten Kampagne oder auch einer Groß-Demo in Bern im Jahr 2008 gefällt wird. Bislang war noch wenig Perspektivisches von Organisationen wie Klar! (die sich beiderseits des Rheins gegen Atomenergie und ein Endlager in Benken im Zürcher Weinland engagiert), von der in der Westschweiz beheimateten Contratom, von Sortir du Nucléaire Schweiz, von Amüs (die jahrelang gegen das AKW Mühleberg gekämpft hatte) oder der neuen Anti-Atom-Gruppe 'Turm it down' aus der Region um das AKW Gösgen zu hören.

Immerhin scheint 'Turn it down' für Bewegung zu sorgen: Die Gruppe hat für August eine Fahrrad-Karawane von Kerzers nach Baden angekündigt. Und ganz so verschlafen wie es von außen betrachtet den Anschein macht, scheint die Schweizer Anti-Atom-Bewegung doch nicht zu sein. Sollte es bei der vorgesehenen Volksabstimmung zu einer Mehrheit für einen AKW-Neubau kommen, wurde bereits angekündigt, daß dann mit Bauplatzbesetzungen und gewaltfreiem Widerstand zu rechnen sei.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      E.on will Endesa schlucken
      Konzentrationsprozeß europäischer Energie-Konzerne schreitet fort
      (22.02.06)

      Benken: Schweizer Kirchenvertreter kritisieren
      geplantes Endlager für Atommüll (26.10.05)

      Schweiz: Alternativen zu Atom-Endlager Benken? (29.09.04)

      Demo gegen Atomares Endlager im Schweizerischen Benken
      (20.07.04)

      Atom-Mafia europaweit im Aufwind? (26.04.04)

      Öko-Institut schadet Schweizer Atomkraft-GegnerInnen (3.02.04)

      Die Schweiz zwischen Atom und "direkter Demokratie" (10.03.01)

      Hier strahlt die Schweiz: Atomklo Hochrhein

 

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