26.03.2005

Artikel

Festung Europa
fordert Tote

Mehr Leichen als Krabben in den Netzen

Heute wurde einmal wieder bekannt, daß vor der Küste Siziliens mindestens sechs Flüchtlinge ums Leben kamen. Nach Angaben der italienischen Küstenwacht überlebten sechs der Flüchtlinge, die von Schleppern gezwungen wurden, knapp 30 Kilimeter vor der Küste ins Wasser zu springen. Es ist nicht zu erwarten, daß die italienische Staatsanwaltschaft gegen Silvio Berlusconi oder Joseph Fischer Ermittlungen wegen Massenmordes aufnimmt.

Zuletzt waren die Mainstream-Medien am 4. Oktober auf das stille Sterben an den Außengrenzen der Festung Europa aufmerksam geworden: Beim Untergang eines mit Flüchtlingen besetzten Bootes vor der tunesischen Küste wurde mit rund 75 Ertrunkenen ein Rekord gebrochen. Das überladene Boot war in der Nacht zum Sonntag vor Sousse, 120 Kilometer südöstlich von Tunis, auseinander gebrochen. Das Boot mit Kurs auf Italien sank eine Stunde nach dem Auslaufen. Bis zum Sonntagabend rettete die tunesische Marine elf Menschen. Sie setzte ihre Suche mit Helikoptern, Schiffen und Tauchern fort.

Italien setzt derweil die Praxis fort, illegale Zuwanderer nach ihrer Ankunft umgehend nach Nordafrika zurück zu verfrachten. Allein an einem Wochenende waren etwa 1.250 Flüchtlinge mit mehreren Booten aus Libyen auf der Insel Lampedusa, südlich von Sizilien gelandet.

Lamedusa ist zum Symbol geworden für den Flüchtlingstod im Mittelmeer. Letzte Woche hat ein Fischer öffentlich die dramatischen Zustände vor der Küste angeprangert: Leichen in den Netzen und Angst vor gewaltsamen Übergriffen der Flüchtlinge prägen seinen Alltag. Zuvor war es ein Tabu-Thema: Das, was die Fischer draußen auf dem Meer zwischen Lampedusa und der libyschen Küste jede Nacht sehen, erlangte nicht die Aufmerksamkeit der Mainstream-Medien. Gerüchte aber kursierten trotzdem. Gerüchte über Fischer, die nur noch bewaffnet hinausfahren und in ihren Netzen immer wieder Leichen finden.

Erstmals interviewten nun TV-JournalistInnen einen Fischer von Lampedusa: "Die italienischen Fischerboote fischen dort Leichen. Wir haben keine Krabben, sondern Leichen in den Netzen - das ist die Situation im Mittelmeer vor der libyschen Küste." Offenbar werden die Fischer unter Druck gesetzt und gezwungen, bei der Sichtung von Flüchtlingsbooten die italienische Marine per Funk zu verständigen. Damit jedoch bringen sich die Fischer in Gefahr, da manche Flüchtlinge mit allen Mitteln um ihr Überleben kämpfen.

Die Aussage des Fischers lenkte das Scheinwerferlicht auch wieder auf eine gängige Praxis, die im Grunde seit der Affäre um das Schiff der Hilfsorganisation 'Cap Anamur' im letzten Jahr bekannt ist: Viele Kapitäne größerer Schiffe schauen bewußt weg, wenn ihnen Flüchtlingsboote im Mittelmeer begegnen. Auch gegenüber den Fischern von Lampedusa weigert sich häufig die Besatzung der großen Schiffe zu helfen oder auch nur den Namen ihres Schiffes zu nennen. Viele Schiffsbesatzungen befürchten Probleme mit den Behörden, wenn sie mit geretteten illegalen Flüchtlingen an Bord in einen Hafen einlaufen wollen.

Nach offiziellen Angaben der Anrainerstaaten sind im Mittelmeer in den vergangenen fünf Jahren 4.300 Flüchtlinge ums Leben gekommen. Die Dunkelziffer derjenigen, die auf den Schiffspassagen ihre Flucht mit dem Leben bezahlen oder im unwirtlichen Gelände Osteuropas vor Erschöpfung sterben und im Winter erfrieren, dürfte noch deutlich höher liegt.

Der Menschenschuggel und das professionelle Schleusertum sind nicht die Ursache für die zunehmende Zahl von Toten an den Außengrenzen der EU-Festung, sondern der wachsende Unterschied im Lebensstandard, die immer rücksichtslosere Ausbeutung der afrikanischen Bodenschätze und die immer stärkere Abschottung der EU gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern. Ohne Aussicht auf Visa und damit auch ohne Möglichkeit, die Grenzen legal zu überschreiten, sind insbesondere die Flüchtlinge aus Afrika auf die Dienste von Menschenschmugglern angewiesen. So ist die immer restriktivere Ausländerpolitik aller europäischen Staaten verantwortlich für die fast täglich im Mittelmeer ertrinkenden Menschen.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen

1 Siehe unsere bisherigen Artikel

      'Tag des Flüchtlings 2004:
      Europa macht dicht! (30.09.04)

      '60 Tote infolge europäischer Unchristlichkeit' (22.12.03)

      'Sind Sie darauf stolz, Herr Schily?' (13.01.03)

 

neuronales Netzwerk