29.08.2003

Das Pfeifen
im dunklen Walde

Von erwarteten Erwartungen

Während die Wirtschafts-Zahlen immer roter werden - und das nicht etwa weil sich die hiesige Sozialdemokratie vor einigen Jahren von orange auf rot umgestylt hat - überschlagen sich die optimistischen Stimmen aus den Wirtschafts-Redaktionen der großen Tageszeitungen und aus den bekanntermaßen wissenschaftlichen Wirtschafts-Instituten geradezu. Die Fakten können dennoch nicht ganz unterschlagen werden: Die US-Regierung produziert gerade das größte Haushaltsdefizit aller Zeiten (480 Milliarden Dollar = 443 Millarden Euro), nahezu 5 Prozent des BIP, die deutsche Regierung - Mastricht ist Mostricht - reißt zum dritten Mal in Folge die Drei-Prozent-Marke und erhöht dieses Jahr auf 3,8. Das US-Außenhandelsbilanz schlägt alle negativen Rekorde, weitere Multis stehen kurz vor der Pleite und in Deutschland jagt ein Insolvenz-Rekord den nächsten.1 Der weltgrößte Rückversicherer, die 'Münchener Rück', verzeichnet im fünften Quartal in Folge Verluste und der frühere Mobilcom-Chef Gerhard Schmid, einst Milliardär muß ein privates Insolvenzverfahren anmelden.

Während vor Jahresfrist noch bei Wachstumszahlen von knapp unter einem Prozent von "Rezession" schwadroniert wurde und das offizielle wirtschaftswissenschaftliche Kriterium von der Unterschreitung der Null bei drei Quartalen in Folge nun tatsächlich erfüllt ist, gilt das Wort plötzlich als unaussprechlich. Ja, nun heißt es plötzlich von Seiten der Unternehmen, sie rechneten mit dem Aufschwung. Von irgendeinem Index heißt es in allen Medien, er steige mehr als erwartet. Welcher Index ? Der Geschäftsklimaindex des 'ifo-Instituts für Wirtschafts- forschung' stieg zum vierten Mal in Folge. Dabei handelt es sich nicht etwa um einen Börsen-Index, sondern um das Ergebnis einer Meinungsumfrage unter 7000 Unternehmen. Deren Erwartungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung werden dabei abgefragt. Aha, die Erwartungen steigen also mehr als erwartet.

Bundeskanzler Schröder bemerkte sofort das "positive Zeichen, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse aufhellen" und sprach von einer "sehr, sehr positiven Nachricht". Auch die Massenmedien bemerkten nun sofort, daß es sich dabei um eine Nachricht handelte und verbreiteten das Wissen als Top-Meldung.

 

Harry Weber

 

Anmerkung:
1 Siehe auch unseren Artikel:
Pleiten, Pleiten und - noch mehr Pleiten (20.07.2003)

 

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