3.02.2007

Basisdemokratie

Im Grunde sind mit der Frage "Was versteht ihr unter Basisdemokratie?" drei Fragen aufgeworfen:

1. Was ist Basisdemokratie im Unterschied zur Gesellschaftsform beispielsweise im heutigen Deutschland, die weithin als Demokratie bezeichnet wird.

2. Wie kann Basisdemokratie in kleinen Gruppen von Menschen, die davon überzeugt sind, realisiert werden?

3. Wie kann ein Wandel der heutigen deutschen Gesellschaft in demokratische Richtung bewerkstelligt werden und wie sieht eine Utopie von Basisdemokratie aus?

Selbstverständlich wollen wir die heutige Gesellschaftsordnung in Deutschland, den USA und anderen als Demokratien bezeichneten westlichen Industriestaaten nicht mit Diktatur oder Gewaltherrschaft gleichsetzen. Zumindest in der Linken jedoch ist unbestritten, daß sich die USA im übergangslosen Kontinuum zwischen Demokratie und Diktatur in den letzten Jahren beschleunigt in Richtung auf eine Diktatur verändert hat.

Der Begriff Basisdemokratie ist im Grunde nur eine Notlösung. Wir stehen in einem Dilemma. Auf der einen Seite können wir die heutige Gesellschaftsform in Deutschland, die de facto einem Zensuswahlrecht wie vor rund zweihundert Jahren mehr ähnelt als der vom Grundgesetz ursprünglich vorgegebenen Ordnung, nicht als wirkliche Demokratie akzeptieren. Auf der anderen Seite halten wir es für sehr wertvoll, - gerade in Deutschland - an ein gewachsenes Demokratieverständnis anknüpfen zu können. Die Erörterung der Frage, ob eine "repräsentative Demokratie" insbesondere unter den Bedingungen des Kapitalismus eine Demokratie in unserem Sinne sein kann, würde jedoch den hier gegebenen Rahmen sprengen. Unter Basisdemokratie verstehen wir daher unser "Ideal" eine Demokratie und zugleich die Ansätze zu deren Realisierung, die es heute bereits gibt.

Eines der ältesten Beispiele, daß Basisdemokratie realisiert werden kann und funktioniert, ist die freie Schule Summerhill in England. Diese Schule wurde 1921 von Alexander S. Neill gegründet und besteht bis heute. Alles, was mit dem Leben der SchülerInnen und LehrerInnen zusammenhängt wird, auf einer wöchentlichen Schulversammlung durch Abstimmung geregelt. Jedes Mitglied des Lehrerkollegiums und jedes Kind, gleichgültig wie alt es ist, hat eine Stimme.

Hier werden zwei grundlegende Prinzipien deutlich: Es gibt keine Hierarchie und keine Delegation der Abstimmungsbefugnis. Es gibt auch keinen Guru. Weitere Beispiele für Gruppen oder Gemeinschaften, die sich basisdemokratisch organisiert haben, sind die Anti-Atom-Gruppe 'X-tausendmal-quer' und die 'Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Baden'.

Die Partei 'Die Grünen' hatte bei ihrer Gründung den Anspruch erhoben, basisdemokratisch zu sein. Sie war zumindest in den 80er-Jahren näher an diesem Anspruch als heute. Ein großes Manko bestand jedoch schon bei der Gründung darin, daß zwar viele, die bereits zuvor politisch aktiv waren (beispielsweise in der Anti-Atom-Bewegung) sich mit basisdemokratischem Gedankengut vertraut gemacht hatten, daß jedoch zugleich viele Menschen aus zum Teil äußerst autoritär organisierten Gruppen in diese Partei strömten. Gerade die durch die konstitutionellen Vorgaben der bestehenden Gesellschaftsordnung nicht an getroffene Entscheidungen der Parteimitglieder gebundenen ParlamentarierInnen, konnten trotz der vorsichtshalber eingerichteten Hürden innerhalb von elf Jahren hierarchische Strukturen und Führungspositionen schaffen und diese besetzen. Es ist kein Zufall, daß das heutige Führungspersonal der "Grünen" durchweg seit rund 15 Jahren in der Partei an der Macht ist.

Basisdemokratische Strukturen sind dennoch in den letzten 25 Jahren weiterentwickelt worden. So hat sich beispielsweise zur Vernetzung lokaler Gruppen das Instrument des SprecherInnenrats als brauchbar erwiesen. Da es nicht immer möglich oder zweckmäßig ist, Vollversammlungen (beispielsweise landes- oder bundesweit innerhalb Deutschlands) zu organisieren, werden zu Koordinierungstreffen von allen beteiligten Gruppen SprecherInnen entsandt. Diese sind nun keineswegs Delegierte und haben keine Abstimmungsbefugnis. Ihre Aufgabe besteht darin, beispielsweise die in Abstimmungen oder Konsensverfahren gewonnene Position der eigenen Gruppe im SprecherInnenrat zu vertreten und zu erläutern. Andererseits sollen die Positionen aus anderen Gruppen aufgenommen und in die eigene Gruppe getragen werden. Wie der Name also bereits signalisiert, handelt es sich um eine rein kommunikative Funktion. Die Kommunikation zwischen den Gruppen kann selbstverständlich zugleich kontinuierlich durch die heute zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel wie u.a. Email und Internet aufrecht erhalten werden. Sie sind aber immer nur ein zweitrangiger Ersatz für den direkten menschlichen Kontakt.

Als äußerst wichtig hat sich erwiesen, daß nicht allein auf die Strukturen geachtet wird, sondern daß alle Beteiligten zugleich "bei sich selber anfangen". Dies bedeutet beispielsweise zu lernen, darauf zu achten und sich aktiv dafür einzusetzen, daß alle zu Wort kommen. Ein Punkt hierbei ist die Entwicklung von Konsensfindungsverfahren. Die 'Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Baden' hat zu diesem Thema eine grundlegende Broschüre erarbeitet. Wir sind allerdings der Auffassung, daß die Frage des Konsens nicht dogmatisiert werden darf wie es in manchen anarchistischen Gruppen geschieht. Solange mit Mehrheitsentscheidungen nicht regelmäßig eine Mindeheitsfraktion "untergebügelt" wird, und alle in der Gruppe gelegentliche Mehrheitsentscheidungen mittragen können, scheint uns dies tragbar.

Es ist ein eingefleischtes Vorurteil, daß basisdemokratische Entscheidungsprozesse viel Zeit benötigen würden. Unbestreitbar ist Befehl-und-Gehorsam die effektivste und schnellste Kommunikation. Wenn allerdings die Langzeitfolgen und die soziale Zerstörungskraft nicht ausgeblendet werden, ist Demokratie schlichtweg effizienter als Hierarchie.

Daß es bereits in früheren Zeiten der Menschheitsentwicklung basisdemokratische Gesellschaftsformen gab, belegt die Matriarchatsforschung (siehe beispielsweise Heide Göttner-Abendroth). Ein leider auch unter FeministInnen nicht seltenes Vorurteil besteht in der Gleichsetzung von Matriarchat und Frauenherrschaft. Gerade das Vernetzungsprinzip der Basisdemokratie weist auf die Verwandtschaft früherer matriarchaler und basisdemokratischer Strukturen.

 

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