15.11.2003

CASTOR im Rückblick

Der Widerstand gegen den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke und die dafür erforderlichen CASTOR-Transporte ist in diesem Jahr enorm gewachsen. Allein bei der Auftaktkundgebung auf einem Acker bei Splietau hatten mit 6.500 Menschen mehr als doppelt so viele beim letzten Mal demonstriert. An der Strecke blockierten eine Vielzahl von Gruppen mit manchmal 500 Personen. Bereits in Frankreich war es diesmal zu einer "bilateralen" Ankett-Aktion gekommen und nach und nach hatte sich die Verspätung des CASTOR-Zuges auf rund sechs Stunden summiert.

Atom-Minister Trittin hat mit seiner termingerecht verkündeten "Ausstiegs"-Party mit Sekt-Empfang bei der Abschaltung des Schrottreaktors Stade genau das Gegenteil dessen erreicht, was er beabsichtigte: Statt den Widerstand zu schwächen, sorgte er für Publizität für den CASTOR-Transport. Längst hatte sich herumgesprochen, daß die einzige Abschaltung eine AKW seit dem "rot-grünen" Regierungsantritt 1998 den "Ausstieg" um keinen Tag näher bringt. Selbstverständlich sind die Menschen in Stade zu beglückwünschen, daß die unmittelbare Bedrohung nun von ihnen genommen wird. Dafür müssen jedoch die AnwohnerInnen anderer AKWs, auf die die sogenannten Restlaufzeiten übertragen werden, entsprechend länger um ihr Leben und ihre Gesundheit fürchten. Ebenso war längst bekannt, daß Stade bereits seit Jahren von den Betreibern selbst als unrentabel eingeschätzt worden war.

Auch Greenpeace und Robin Wood haben dadurch, daß sie sich in den letzten fünf Jahren nicht von der "rot-grünen" Ausstiegs-Rhetorik einlullen ließen und dem Anti-Atom-Widerstand treu blieben, viel zum Wiedererstarken der CASTOR-Blockaden beigetragen. Unübersehbar war, daß gerade junge Menschen bei den letzten beiden Transporten ins Wendland sich in großer Zahl dem Protest anschlossen. Es hat sich gezeigt, daß sich spektakuläre Aktionen wie die aktuelle Besetzung des Förderturms auf dem "gut bewachten" Gelände des geplanten Endlagers, Ankett-Aktionen und Schienen- oder Straßenblockaden sich ideal ergänzen.

In den Wochen vor dem CASTOR-Transport war noch behauptet worden, dieses mal würden nur 13.000 PolizistInnen im Wendland eingesetzt. Damit wurde auch die offizielle Einschätzung, die Proteste würden abflauen, unterstrichen. Im letzten Jahr waren 16.700 PolizistInnen im Einsatz und der finanzielle Aufwand betrug 12 Millionen Euro im Wendland und rund 30 Millionen bundesweit. Inzwischen mußte jedoch auch offiziell bestätigt werden, daß diesmal mindestens 18.000 PolizistInnen für die Entdemokratisierung des Wendlands benötigt wurden. Auch wenn das vielleicht nur eine Million Euro mehr als im letzten Jahr gekostet hat - für alle, die sich beteiligten, war dies eine gute Investition in einen tatsächlichen Atom-Ausstieg.

Während in den Massenmedien der friedliche Charakter der CASTOR-Auseinandersetzung betont wurde, konnten allenfalls Bilder vom Einsatz der Hunde einen Eindruck von der teilweise brachialen Gewalt der Polizeieinsätze vermitteln. Bei einer Versammlung von rund 500 Menschen an der Straßenstrecke bei Grippel wurden diese von der Polizei eingekesselt und ohne Rechtsgrundlage oder Vorführung vor eineN HaftrichterIn für Stunden festgehalten. Völlig grundlos wurden Menschen getreten und geschlagen. Der Einsatz war völlig unkoordiniert. In Langendorf wurde eine Kirche von der Polizei umstellt. Trotz des Gesprächsversuchs des örtlichen Pastors wurde die "Belagerung" nicht abgebrochen.

Der Transport ging wie in den Vorjahren mit inakzeptablen Grundrechtseinschränkungen einher wie auch eine Vielzahl der anwesenden unabhängigen JuristInnen erklärte. Weitläufige Demonstrationsverbote machten Teile des Wendlandes zu demokratiefreien Zonen. Bei einer Sitzblockade in Rohstorf auf den Schienen beispielsweise ging die Polizei mit ungeheurer Brutalität gegen friedliche DemonstrantInnen vor.

Die BI Lüchow-Dannenberg beklagt, daß die Polizei das öffentliche Leben in weiten Teilen des Landkreises immer wieder lahm legte. Wie im vergangenen Jahr der Übergriff auf die Freie Schule, so empört in diesem Jahr die Belagerung des Kirchengrundstücks in Langendorf. In ihrer Bilanz prangert die BI das ruppige und harte Abräumen von SitzblockiererInnen wie auch die abenteuerliche Gefahrenprognose der Bezirksregierung an. Knochenbrüche und andere Verletzungen sind nicht hinnehmbar. Skandalös war wieder einmal die Behandlung der Gefangenen in der Sammelstelle Neu Tramm. Auch Robin Wood und Greenpeace kritisierten den völlig überzogenen Polizei-Einsatz.

 

Harry Weber

 

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