23.09.2007

15.000 in Berlin gegen Stasi 2.0

15.000 Menschen haben gestern (Samstag) in Berlin mit Parolen wie "Freiheit statt Angst" oder "Meine Daten gehören mir!" gegen den Ausbau des Überwachungsstaates demonstriert.

Der Ausbau der angeblich zur Abwendung von Terror-Angriffen betriebenen Bespitzelung der Bürger mit immer neuen technischen Methoden wurde von einem breiten Bündnis etwa 50 Organisationen kritisiert, darunter JuristInnen-, JournalistInnen- und ÄrztInnenverbände, die Gewerkschaft ver.di, der Chaos-Computer-Club und attac. Die zahlreiche Teilnahme an der Demo überraschte das Veranstaltungs-Team positiv. Es war die größte Demonstration für Bürgerrechte und Datenschutz seit dem Volkszählungs-Boykott 1987. Bei der im Jahr 2006 vorangegangenen Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung hatten nur einige Hundert Menschen teilgenommen.

Laut einem aktuellen Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung sollen Telekommunikationsdienste ab 2008 verpflichtet werden, die Daten ihrer Kunden sechs Monate lang zu speichern. Gespeichert wird, wer mit wem per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden ist.

Zahlreiche DemonstarntInnen trugen Aufkleber oder Plakate mit Schäuble-Porträt und dem Zusatz "Stasi 2.0". Angeprangert wurde in Redebeiträgen nicht nur die geplante Einführung von "Bundes-Trojanern" für die Überwachung privater Computer, sondern auch die zunehmende Telefonüberwachung und die geplante Vorratsdatenspeicherung von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten. Thema war zudem der Paragraph 129a, mit dessen Hilfe versucht worden war, linke AktivistInnen in die Terrorecke zu stellen. In Anspielung an die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und anderen PolitikerInnen geschürte Terrorangst sagte der Jurist Patrick Beyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung als Kundgebungsredner: "Wir dürfen uns nicht aus Angst vor dem Tod selbst umbringen." Die Demokratie sei durch die Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung gefährdet.

Auf der Zwischenkundgebung wurden die ungeniert auch auf der Demo auftretenden Parteien FDP, Pseudo-Grüne und Linkspartei deutlich kritisiert: Dort, wo sie an Regierungen beteiligt sind, unterstützten sie den Ausbau von Überwachungsmaßnahmen. Der Berliner "rot-rote" Senat unter dem als zukünftigen Kanzlerkandidat gehandelten Klaus Wowereit etwa plant ein neues Polizeigesetz, das die Mobiltelefonkontrolle verschärfen soll. Weder aus der Berliner "S"PD noch aus der Linkspartei ist hierzu Widerstand erkennbar.

Eine große zahl von DemonstrantInnen trugen Schäuble-Masken, was zuvor als Kunstaktion bei der Polizei angekündigt worden war. Die Polizei nutzte dies jedoch als Vorwand zu Übergriffen, da es sich um einen Verstoß gegen das Vermummungsverbot gehandelt habe. Die Demo und der Auftaktveranstaltung verliefen dennoch weitgehend friedlich. Doch als der Demo-Zug am Denkmal gegen die faschistischen Bücherverbrennungen vorbeikam, griff die Berliner Polizei ohne erkennbaren Grund den sich selbst als "antikapitalistisch" bezeichnenden Block mit Schlagstöcken und Pfefferspray an. Nach Angaben des Veranstaltungs-Teams wurden dabei 32 DemonstrantInnen verletzt, die Polizei sprach ihrerseits von 13 leicht verletzten PolizeibeamtInnen.Aus Rücksicht auf die Sicherheit der Demo löste sich der Block auf. Dieses Verhalten verdient zwar Anerkennung, würde jedoch in der Konsequenz auf Selbstverleugung hinauslaufen.

In Diskussionen während der Demo wurde von vielen TeilnehmerInnen Skepsis laut, ob mit Demonstrationen noch Einfluß auf die Politik ausgeübt werden könne. Bundeskanzlerin Merkel hatte auf dem vorangegangenen CDU-Parteitag in Hannover die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung ausdrücklich mit Sicherheitsargumenten bekräftigt. Viele ÜberwachungsgegnerInnen richtet sich die Demo deshalb eher an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Vor 25 Jahren hatten die Verfassungsrichter das im Grundgesetz nicht ausformulierte Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung entdeckt, nachdem der Druck durch den Volkszählungs-Boykott enorm angewachsen war.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Wie die Bundeswehr ihre Daten schützt
      Daten über "rot-grüne" Kriegseinsätze vernichtet (25.06.07)

      Frankreichs Regierung von US-Geheimdienst abgehört
      "Blackberry" mit Hintertürchen (21.06.07)

      Bundesverfassungsgericht:
      Abhören von El-Masri-Anwalt war verfassungswidrig (16.05.07)

      Staatliches Hacken privater Computer bereits seit 2005
      Im Vergleich zu Schily ist Schäuble ein Waisenknabe (25.04.07)

      Mabuse und Mielke im Jenseits blaß vor Neid
      Neues "rot-grünes" Telekommunikationsgesetz (26.01.04)

      "Rot-Grün" im Überwachungswahn (8.05.03)

 

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