22.03.2003

Dokumentation

Rede
von Pfarrer Pfandler, Mühlen am Neckar

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde

...ein elfjähriges Mädchen liegt in einem großen Krankensaal. Ihre linke Hand ist verletzt - das linke Bein bis zum Knie verstümmelt, das rechte Bein bis zum Unterschenkel abgenommen. Vielleicht wird sie sich - in ferner Zukunft einmal - mit Krücken fortbewegen können. Vielleicht!

...ein kaum bekleideter Mann trägt einen Küchenstuhl mit sich. Er hält ihn über seinem Kopf - will sich vor dem nächsten Bombenangriff schützen. Sein Haus wurde zerstört, seine ganze Familie getötet - nur dieser Küchenstuhl ist ihm geblieben. Seinen Verstand hat er verloren.

Nur der Küchenstuhl ist geblieben. Schützend trägt er ihn mit sich herum.

...eine verkohlte Leiche liegt auf dem Boden. Von dem Mann ist nur noch das dunkle Gesicht erkennbar. Der ganze Körper ist verschmort und geschrumpft. Doch die Augen in dem dunklen Gesicht drücken blankes Entsetzen aus.

All das sind Bilder des Krieges. Und es sind nicht nur Bilder, sondern es sind Realitäten!
Wir erhalten vom Krieg im Irak wieder nur zensierte, geschönte Nachrichten, aufbereitet als gruselig schönes Event. Doch wir lassen uns nicht täuschen von virtuellen Lügen. Jeder Krieg ist ein Verbrechen an den Opfern. Der ökumenische Rat der Kirchen hat im September 2002 die Rolle des Krieges in heutiger Zeit als "Sünde gegen Gott und eine Entwürdigung des Menschen bezeichnet". Krieg ist Sünde vor Gott! Und auch dieser Krieg ist eine Form des Terrors: nämlich Staatsterror!
Unsere Solidarität und unsere Gebete gelten der irakischen Bevölkerung, die diesem Krieg hilflos ausgeliefert ist.

In den USA - in Washington sitzen diejenigen, die den Krieg im Irak um jeden Preis wollten - solche Menschen nennen wir Kriegstreiber, wenn nicht gar Kriegsverbrecher. Denn ein Angriffskrieg wie dieser bricht das Völkerrecht der UN in noch nie dagewesener Weise. Die überwiegende Mehrheit der Völker dieser Erde wollten diesen Krieg nicht. Doch die amerikanische Regierung spielte ohne Wenn und Aber ihre militärische Überlegenheit aus. Die Macht des Starken bricht hier das sensible Geflecht des Völkerrechts.
Wir wollen diese neue amerikanische Weltordnung nicht!
Die politischen Folgen für die vielen Konflikte in unserer Welt sind nicht absehbar.
Wir wollen keine Präventivkriege und wir ächten auch die Androhung, Atomwaffen einzusetzen!!

Manchmal frage ich mich, was für Bilder vom Krieg der amerikanische Präsident und seine Getreuen haben. Sind es die Computer- und Satellitenbilder, die einen Krieg wie ein Neujahrsfeuerwerk erscheinen lassen?

Oder sind es die Bilder, auf denen amerikanische Truppen heldenhaft vorrücken und als Sieger ihre Flagge hissen? - überall auf der Welt!?
Begriffe wie Kollateralschäden oder "Weiche Ziele" verstellen den Blick auf die Wirklichkeit: im Krieg wird gelitten und gestorben, die Menschen werden zu Krüppeln geschossen, sie werden zerrissen und pulverisiert, sie ersticken und sie verdampfen... und die meisten der Opfer sind Zivilisten.

Wenn ich George W. Bush auf meinem Fernsehbildschirm betend in Szene gesetzt sehe, dann frage ich mich, ob wir Christen wirklich für so dumm verkauft werden können. Er fühlt sich berufen, die Menschen und Völker in Gut und Böse einzuteilen! Und das im Namen von Freiheit und Gerechtigkeit! Jetzt steht der Irak ganz oben auf der schwarzen Liste - welches werden die nächsten Länder sein? Was die amerikanische Regierung vorantreibt, ist ein höchst aggressiver Fundamentalismus und nichts anderes als Größenwahn. Die Freiheit des einen bedeutet Unterdrückung für die anderen. Es ist zynisch, im Namen von Gerechtigkeit Kriege zu führen. Denn Krieg ist in jedem Fall der Nährboden für neues Leid, für neue Ungerechtigkeit, für Hass, Gewalt und Terror!
Und was ist, wenn durch die Invasion im Irak ein Flächenbrand entzündet wird, der die ganze Region in den Flammen eines Bürgerkrieges aufgehen lässt? Es gibt dort so viele lang unterdrückte Spannungen zwischen Volksgruppen und religiösen Gruppierungen. Es ist leicht, ein Feuer zu entfachen, doch wer soll und kann es löschen? Und wer übernimmt dann dafür die Verantwortung?

Die Herren Blair und Bush halten den Krieg gegen den Irak für moralisch legitimiert. Da müssen wir als Christen und als Freunde des Friedens laut widersprechen. Dieser Krieg bricht das Völkerrecht! Er ist damit ein Verbrechen. Es gibt keinen gerechten Krieg - es kann nur einen gerechten Frieden geben. Und deshalb müssen wir uns beharrlich der Logik des Krieges entgegenstellen.

Der Sicherheitsrat der UN einigte sich im letzten Herbst mit der Resolution 1441 auf die Entwaffnung des diktatorischen Regimes in Bagdad von Massenvernichtungswaffen. Damit sollte gerade ein Automatismus zum Krieg hin verhindert werden. Die Resolution ermächtigt eindeutig nicht einen Regimewechsel. Die Berichte über die Erfolge der Waffeninspektoren ließen auf eine friedliche Lösung dieses Konfliktes hoffen. Durch die sture Haltung der Kriegstreiber wurden diese Bemühungen zur Makulatur. Von Anfang an wurde die Karte des Krieges gespielt und der Sicherheitsrat unter Druck gesetzt. Schon Anfang September des letzten Jahres sagte G. W. Bush: Entweder, die UNO macht, was wir für richtig halten, oder sie wird für uns bedeutungslos. (Zitat G. W. Bush, 15.9.02)

Für diesen Krieg wurden - nach den praktischen Erfahrungen im Krieg gegen Afghanistan - neue Waffen entwickelt. Die Wirkungen dieser High-Tech Waffen sind verheerend. Die neueste Perversität ist die Bombe MOAB mit der Wirkung einer kleinen Atombombe. In vorchristlicher Zeit war Moab ein Vasallenstaat des babylonischen Reiches. Das Kerngebiet der Moabiter lag östlich des Jordan. Der biblische Name dieser Bombe legt eine symbolische Deutung und Drohung nahe. Eine andere sogenannte Präzisionswaffe ist die Impulsbombe, die elektrische Geräte lahm legen soll. Sie lässt alle Flüssigkeit im Körper von Lebewesen im Umkreis von 100 m auf einen Schlag verdampfen. Streubomben, die schon geächtet sind, wurden in Afghanistan und werden nun auch im Irak eingesetzt.
Ich frage Euch, sind solche Höllenmaschinen keine Massenvernichtungswaffen? Auch sie gehören geächtet und verboten!
Für diejenigen, die durch Massenvernichtungswaffen den Tod erleiden, macht es dabei keinen Unterschied, ob sie von einer gewählten Regierung oder von einem Diktator eingesetzt wurden.

Im Übrigen verfügen die USA über genug eigene Erfahrungen mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Die ersten Atombomben wurden von ihnen auf Städte abgeworfen. Im Vietnamkrieg wurden chemische Kampfstoffe wie Agent Orange gleich DDT in Massen eingesetzt. Und bei den letzten Kriegen im Irak, in Serbien und in Afghanistan wurde in großen Mengen Uranmunition eingesetzt. Diese Munition strahlt eine Ewigkeit: 4,5 Millionen Jahre! Bis jetzt sind in den USA ca. 10.000 GIs aus dem letzten Golfkrieg an den Folgen dieser strahlenden Munition gestorben, im Südirak, wo diese Munition eingesetzt wurde, ist die Krebsrate besonders bei Kindern um 1000 Prozent gestiegen. Ich meine, es reicht. Deshalb demonstrieren wir auch hier in Oberndorf. Der Waffenhandel muss gestoppt und international geächtet werden. Denn sonst werden immer wieder die hochgerüsteten Freunde von heute die Feinde von morgen sein!

Die USA und auch andere europäische Staaten haben immer wieder diejenigen militärisch und politisch unterstützt, die auf ihrer Seite waren und ihre Interessen vertreten haben. Da war und ist es gleichgültig, ob es eine Militärdiktatur oder ein fundamentalistisch totalitäres Regime ist.
Was bedeuten auf diesem Hintergrund Worte wie Demokratie, Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit? - wenn sie nach Belieben uminterpretiert und mit Füßen getreten werden, wie es in den letzten Wochen durch die amerikanische Regierung der Fall war?
Der Sicherheitsrat wurde wissentlich mehrfach belogen, die Telefone der anderen Mitglieder wurden geheimdienstlich abgehört.
Es wurde versucht, Mitglieder des Sicherheitsrates zu bedrohen, zu bestechen und zu kaufen! Das ist Bestechungsdiplomatie und hat mit demokratischen Grundwerten rein gar nichts zu tun!
Und die amerikanische Regierung tritt ihre eigene demokratische Tradition mit Füßen, wenn im eigenen Land die Presse unter Druck auf die eigene Kriegslinie gebracht wird. Das eigene Volk wurde über die Lage der Bedrohung belogen - und das seit Monaten, Tag für Tag. Als ob Saddam Hussein kurz davor stünde, in den USA einzufallen! Die Kriegspropaganda ist in den Medien zum täglichen Ritual geworden und leider fällt die Mehrheit des Volkes darauf herein.
Zudem werden ganze Volksgruppen zu verdächtigen Personen erklärt. Die Herkunft aus einem arabischen Land und die Tatsache, Muslim zu sein, reichen aus, um Wochen und Monate in Einzelhaft genommen zu werden. Bis zu 1000 Menschen sitzen seit über einem Jahr ohne Rechtsbeistand, ohne Anklage in Haft. Einer, der 7 Monate ohne Anklage in Haft war, hat berichtet: die Zelle war 1,50 x 2 m groß. Tag und Nacht war sie beleuchtet und 2 Kameras beobachteten jede Bewegung. Einmal am Tag gab es warmes Wasser mit ein paar Haferflocken, das war alles. Auch die Gefangenen in Guantanamo befinden sich nach wie vor im rechtsfreien Raum. Ein Regierungsvertreter kommentierte das mit folgenden Worten: das erlaubt eine störungsfreie Verhörpraxis.
So ein Umgang mit Inhaftierten ist einer Demokratie unwürdig!
Wir wollen diese neue Weltordnung nicht, die sich solcher Mittel bedient!!!

Doch es gibt in den USA auch sehr viele Bürgerinnen und Bürger, die gegen diese Art von Politik ihrer Regierung auf die Strasse gehen. Mit ihnen und mit all den Millionen anderer Kriegsgegnern aus allen Teilen der Welt erklären wir uns solidarisch. Uns eint ein gemeinsames Ziel über alle Unterschiede in Kultur und Religion: Der Einsatz für Frieden unter den Völkern in Gerechtigkeit.

Die Menschen des 21 Jahrhunderts wollen keinen Krieg mehr!
Lasst uns dafür eintreten und unsere Stimme erheben!
Heute, morgen, und immer wieder, wenn der Frieden bedroht ist!
Denn nach Gottes Willen soll Krieg nicht sein!

 

 

 

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