11.06.2004

EURATOM und EU-Verfassung

Greenpeace meldet sich zu Wort

Angesichts der mehr oder weniger verdeckten Dienstbarkeit sämtlicher europäischer Regierungen gegenüber der Atom-Mafia ist kaum damit zu rechnen, daß auf der kommenden Sitzung des Europäischen Rats, der aus dem Jahr 1957 stammende EURATOM-Vertrag aufgehoben werden könnte.1 Dieser Vertrag gewährleistet die fortlaufende Subventionierung der "friedlichen" Atomenergie aus europäischen Finanzmitteln.

Die Regierungen der nunmehr 25 EU-Mitgliedsländer wollen - in einem zweiten Anlauf - am 17. und 18. Juni in Brüssel über die von einer Kommission unter dem ehemaligen französischen Präsidenten und Atom-Lobbyisten Valéry Giscard d'Éstaing verfaßte und 267 Seiten dicke EU-Verfassung abstimmen. Zusammen mit dieser Verfassung wird dabei auch über den im Anhang versteckten EURATOM-Vertrag abgestimmt. Inzwischen hat sich auch Greenpeace mit dieser Problematik an die Öffentlichkeit gewandt, da zu erwarten ist, daß damit für weitere Jahrzehnte die uneingeschränkte Subventionierung der Atomenergie festgeschrieben wird.

"In Deutschland den Atom-Ausstieg predigen und in Europa Atompolitik durchwinken, ist unglaubwürdig", kommentierte hierzu Thomas Breuer, Atom-Experte von Greenpeace. "Gerade der grüne Außenminister Fischer muß in Europa ein starkes Signal gegen Atomenergie setzen." Die Bundesregierung könne nicht still halten, wenn "über die Hintertür der Verfassung" die Atomenergie gefördert werden solle, meint Thomas Breuer. Seltsam, daß so wenige Menschen wissen, daß Herrn Fischer bereits zu seinen Zeiten als "Turmschuh"-Umweltminister unter dem hessischen "Dachlatten"-Ministerpräsidenten Holger Börner (SPD) sein Amt wichtiger war als ein mehr als verbaler Widerstand gegen die Atomenergie. Und bereits letzten Sommer bewies Joseph Fischer einmal mehr sein propagandistisches Talent, indem er via 'taz' seinen "Widerstand" gegen das EURATOM-Gesetz verbreiten ließ. Am 11.06.2003 hieß es, Fischer habe auf "erheblichen Druck" und "in letzter Minute" die Aufnahme des EURATOM-Vertrages in die neue europäische Verfassung abgelehnt. Daß die als Erfolg gepriesene Verschiebung des Vertrags-Textes in die Anlage keinerlei rechtliche Bedeutung hat, wurde verschwiegen. Nur wenigen war dabei klar, daß der EURATOM-Vertrag so weiterhin unbefristet gilt und damit für alle EU-Mitgliedsstaaten verbindlich bleibt.

In einer aktuellen Stellungnahme erklärt Greenpeace, der EURATOM-Vertrag sei heute vor allem fragwürdig, weil er an der Realität vieler EU-Länder vorbeigehe. Zwölf Länder sind frei von Atomenergie: Italien, Dänemark, Österreich, Irland, Luxemburg, Griechenland, Portugal, Estland, Lettland, Polen, Zypern und Malta. Vier weitere EU-Staaten haben - zumindest auf dem Papier - einen Atom-Ausstieg erklärt: Deutschland, Schweden (bereits per Volksabstimmung 1980 und vom schwedischen Reichtag 1997 per Abstimmung), Spanien und Belgien. Und in Litauen sollen die Reaktoren aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden. Doch der EURATOM-Vertrag ist so gestaltet, daß er nur durch eine einstimmige Entscheidung aller 25 EU-Staaten aufgehoben werden kann. Einziger Ausweg für europäische Staaten, die nicht jährlich Zahlungen in mindestens zweistelliger Millionenhöhe zur Subventionierung der Atomenergie in Großbritannien, Frankreich oder Finnland leisten wollen, bliebe dann nur noch der Austritt aus der EU.

"EURATOM entstammt den Träumereien der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Wir sind heute weiter und das muß die europäische Verfassung zeigen", meint Thomas Breuer von Greenpeace dennoch frohgemut.

 

Christian Semmler

 

Anmerkung:

1 Siehe auch unseren Artikel
    Neue Atommacht EU? (24.04.04)

 

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